Hertha BSC blickt in eine mögliche Zukunft
Sa 30.11.24 | 08:24 Uhr | Von Marc Schwitzky
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Hertha BSC hat mit dem Sieg in Magdeburg eine starke Antwort auf die zuletzt enttäuschenden Ergebnisse gefunden. Beim 3:1 waren taktische Anpassungen von Trainer Cristian Fiél, die nötige Reife und drei Rückkehrer entscheidend. Von Marc Schwitzky
Es war in den letzten Wochen oftmals geradezu frustrierend, der Mannschaft von Hertha BSC beim Spielen zuzusehen. In eigentlich jeder Partie der laufenden Saison haben die Berliner ihre für Zweitligaverhältnisse enorme Klasse aufblitzen lassen. Unter Trainer Cristian Fiél hat sich ein blau-weißes Fußball-Ballett aus technischen Ausnahmekönnern zusammengefunden, das Gegner schwindelig spielen kann. Kann. Und doch hatte Hertha nach 13 Ligaspielen erst fünf Siege verbucht und mäanderte so im Tabellenmittelfeld der überaus engen 2. Bundesliga.
Zuletzt konnte die "alte Dame" sogar drei Spiele am Stück nicht gewinnen. Bei allen vielversprechenden Ansätzen vergaß die Mannschaft, die harte Währung des Fußballs – Punkte – einzusammeln. Hertha agierte immer mehr wie ein schlampiges Genie: zu allem in der Lage, doch viel zu selten wirklich zwingend darin. In den meisten bisherigen Partien war nicht der Gegner das Problem, der Hauptstadtklub stellte sich selbst ein Bein und kann von Glück reden, nicht bereits aus der Kandidatenliste für die Aufstiegsplätze herausgestolpert zu sein.
Spätestens nach dem ernüchternden 2:2 am vergangenen Spieltag gegen Aufsteiger Ulm war klar, dass die Berliner etwas verändern müssen.
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Hertha BSC zeigt sich weiter auswärtsstark in dieser Saison, siegt in einem lange Zeit offenen Spiel beim 1. FC Magdeburg und ist zurück im Aufstiegsrennen. Fast genauso wichtig: Das Comeback des Fabian Reese.
Rückkehrer Nummer einsDas Unentschieden gegen Ulm hat final klargestellt, dass Hertha die nötige defensive Stabilität fehlt. Vor allem individuelle Fehler luden Gegner zuletzt immer wieder ein, auf einfachste Weise Tore zu erzielen.
Gegen den 1. FC Magdeburg nahm Trainer Fiél zwei wichtige Änderungen vor. Personell konnte er wieder auf Toni Leistner zurückgreifen. Der erfahrene Kapitän kehrte nach überstandenem Muskelfaserriss in die Startelf zurück und verlieh Herthas Innenverteidigung eine neue Stabilität. Zwar sah auch der 34-Jährige beim Gegentor zum zwischenzeitlichen 0:1 alles andere als gut aus, doch über die gesamte Spielzeit war Leistner durch sein Stellungsspiel und Zweikampfverhalten ohne Zweifel ein Sicherheitsfaktor. Seine Rückkehr ist von enormem Wert und sollte nicht das einzige Comeback an jenem Abend gewesen sein.
Fiél passte gegen den FCM auch sein System an – wenn auch nur leicht. Doch jene kleine Änderung verlieh Hertha eine deutlich größere Kompaktheit. Seit dem Ausfall von Mittelfeldchef Diego Demme war es den Blau-Weißen nicht gelungen, das Zentrum und vor allem den Raum vor der Innenverteidigung effektiv zu schließen. Erst Michal Karbownik und zuletzt Kevin Sessa vermochten es mit ihrem Offensivdrang nicht, die Sechserposition verlässlich auszufüllen. Es klaffte eine riesige Lücke im Berliner Maschinenraum.
Sessa spielte auch gegen Magdeburg im defensiven Mittelfeld – jedoch nicht alleine. Pascal Klemens konnte durch die Rückkehr Leistners eine Position aufrücken und so neben Sessa spielen. Durch die Doppelsechs im 4-2-3-1 schloss Hertha das Zentrum, Magdeburg, das gerne durch die Mitte kombiniert, biss sich dort die Zähne aus. Die Arbeitsteilung ging gut auf.
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Reife Leistung"Wir müssen mehr das Spiel lesen und manchmal besser in unserer Position bleiben und nicht überall hin- und herlaufen. Ich, auch die anderen - wir wollen immer unseren Mitspielern helfen. Das ist gut, trotzdem müssen wir mehr in der Position bleiben", analysierte Michael Cuisance nach dem 2:2 gegen Ulm. Der spielerisch so beschlagenen Hertha-Elf mangelte es bislang zu oft an taktischer Disziplin und nötiger Reife. Bei allem Talent und Willen besinnt sich das Team zu selten darauf, ein Spiel zu beruhigen und die einfachen Dinge gut zu machen.
Das Trainerteam muss hier angesetzt haben, denn gegen Magdeburg agierte Hertha – vor allem in der ersten Halbzeit – zwar wesentlich unspektakulärer, aber dafür auch gegen den Ball deutlich fokussierter. Das 4-4-2 gegen den Ball presste meist erst im Mittelfeld, schenkte den Hausherren somit keinerlei Tiefe. Daraus ergaben sich weniger eigene Offensivmomente, da der Weg zum gegnerischen Tor oft lang war, aber zum Halbzeitpfiff stand die Null – nach Abpfiff ein Expected-Goals-Wert Magdeburgs von gerade einmal 0,67.
Stimmen die Grundtugenden, tut man sich mit der Schippe oben drauf wesentlich leichter. Weil Hertha es zuvor so souverän gestaltete, fiel die Mannschaft nach dem überraschenden 0:1-Gegentreffer in der 48. Minute in kein Loch. Im Gegenteil, die Berliner wirkten im Anschluss zwingender als jemals zuvor in dem Spiel. "In so einem Hexenkessel musst du einen kühlen Kopf bewahren – wir sind nicht hektisch geworden und haben unseren Plan weiter durchgezogen", so Leistner nach Abpfiff.
Das 1:1 fiel durch einen hohen Ballgewinn und einfachen Pass von Jonjoe Kenny auf Derry Scherhant, der es dann sehenswert per eleganten Schlenzer ins lange Toreck löste. Der Schuss ist individuelle Klasse, doch die Balleroberung Kennys und die Strafraumbesetzung Herthas im Vorfeld die nötige Arbeit, die nun einmal geleistet werden muss, um alles danach so schnörkellos aussehen zu lassen.
Das 2:1 wirkt wie ein regelrechtes Wunder, da Hertha in den letzten Jahren nahezu keine Tore nach Eckbällen erzielte. Die punktgenaue Hereingabe und einstudierte Positionierung von Vorlagengeber Leistner wie Torschütze Florian Niederlechner sind aber die bereits erwähnten Grundtugenden, die Hertha so oft schleifen lässt. Diese Tugenden, dieser Fokus auf die einfachen Dinge lassen ein so gut besetztes Team erst sein wirkliches Potenzial entfalten.
Ein wichtiger Teil jenes Potenzials fehlte zuletzt jedoch. Die Verletztenliste bei Hertha war und ist immer noch sehr lang, doch Diego Demme und Fabian Reese fehlten der Mannschaft wohl am stärksten. Neben Leistner sollten auch sie ihr Comeback gegen Magdeburg feiern. Reese wurde in der 73. Minute eingewechselt, Demme in der 84. Minute – und beide sollten in der kurzen Zeit auf Anhieb ihren Wert für Hertha unterstreichen.
Flügelläufer Reese strahlte in jeder seiner Aktionen die so vermisste Zielstrebigkeit aus. Aus jedem Moment das Maximum zu pressen, ist eine Eigenschaft, die einige andere Hertha-Spieler noch lernen müssen. Zwar gelang dem Geburtstagskind nicht alles, doch durch seine Präsenz ging ein merklicher Ruck durch die Mannschaft. Reese hielt Bälle, gewann Dribblings, stachelte Team wie Gegner an – und war am 3:1-Siegtreffer per Vor-Vorlage direkt beteiligt.
Demme sollte ebenfalls andeuten, weshalb er so schmerzlich vermisst wurde. Der 33-Jährige zeigte sich in einer Phase, in der hochgepeitschte Magdeburger noch einmal alles nach vorne schmissen und jeden Ballführenden attackierten, äußerst souverän und ballsicher. Er ließ die FCM-Akteure unscheinbar hinterherlaufen und nahm so Zeit von der Uhr. So brannte in den Schlussminuten nichts mehr an. Jene Routine ist etwas, das der so jungen Hertha-Mannschaft oftmals noch fehlt.
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Was alles möglich sein könnteDer verdiente 3:1-Auswärtssieg in Magdeburg ist nach den zuletzt enttäuschenden Wochen eine Wohltat für blau-weiße Seele – und er zeigt, was für Hertha möglich ist, spielt die Mannschaft ihr volles Potenzial aus. Gesellt sich zu der hohen individuellen Klasse auch noch Reife, taktische Disziplin, die nötigen Grundtugenden und dank Rückkehrern auch mehrere sehr gute Einwechseloptionen, ergibt sich eine Mischung, die nur wenig andere Teams in der 2. Bundesliga anbieten können.
Nun muss Hertha jedoch eine Eigenschaft zeigen, die bislang kaum zu sehen war: Konstanz. Können die Berliner nicht an den Erfolg in Magdeburg anknüpfen, gehen aufgrund der verbesserten Personallage allmählich die Argumente aus. Magdeburg kann nur ein Anfang gewesen sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.11.2024, 9:15 Uhr