Dieser Thriller ist der Countdown eines angekündigten Mordes: Nach 200 Filmminuten explodiert in Bad Homburg jene Autobombe, die Alfred Herrhausen tötet. Installiert und gezündet wurde die komplizierte Sprengfalle von der RAF, für die der Vorstandssprecher der Deutschen Bank an der „Spitze der faschistischen Kapitalstruktur“ stand.
Der Banker und die RAF waren schon mal Gegenstand eines viel beachteten und ausgezeichneten Dokumentarfilms. In „Black Box BRD“ hatte Andreas Veiel anno 2001 die Biografien von Alfred Herrhausen und von Terrorist Wolfgang Grams gegeneinander gestellt. Der aktuelle Zweiteiler der ARD beginnt im Jahr 1987, basiert laut Vorspann auf einer „wahren Geschichte“ und fügt den skeptischen Nachsatz an: „Soweit Geschichte wahr sein kann.“
In „Herrhausen“ sind die Terroristen nur noch Nebenfiguren, versprengte Wirrköpfe, die in einer Art ideologischer Blase im Nahen Osten auf ihre letzten Gefechte in Deutschland warten. Nun wurden die RAF-Mitglieder im deutschen Film zigfach ins Zentrum gerückt – die ARD würdigt diesmal einen Mann, der nicht nur ihr Opfer wurde, sondern in seinem Wirken viel einflussreicher und mit manchen Ideen im Grunde revolutionärer war als die Sprengmeister von der RAF mit ihren bleiernen, hohlen Parolen. In einem Punkt hatten seine Mörder recht: Der Banker hatte damals tatsächlich einen großen Einfluss auf die Politik.
So besaß seine Forderung, Ländern wie Mexiko ihre immensen Schulden wenigstens teilweise zu erlassen, eine politische Sprengkraft, stieß besonders bei den US-Banken auf viel Widerstand. Herrhausen erkannte auch früh, dass die Reformbestrebungen im Osten Europas mit Krediten unterstützt werden sollten. „Helfen wir den Russen, helfen wir uns selbst“, erklärt Film-Herrhausen (Oliver Masucci). „Bei uns wird’s warm und bei denen bunt!“
Der Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen starb bei einem RAF-Anschlag.HR/Deutsche Bank
Innerhalb der Deutschen Bank stritt er für Digitalisierung, Zentralisierung und einen globalen Fokus, hin zum Investmentbanking – und er holte mit Ellen Schneider-Lenné (Bettina Stucky) die erste Frau in den Vorstand einer deutschen Großbank. Mit seinem Duzfreund Helmut Kohl diskutierte er im Herbst 1989, wenige Tage vor seiner Ermordung am 30. November, über die immensen Kosten der kommenden Einheit – seine Warnungen wurden nicht mehr gehört. Die Entscheidungen traf immer noch die Politik – und nicht die Deutsche Bank.
Drehbuchautor Thomas Wendrich, zuletzt für sein Drehbuch zu dem Brasch-Film „Lieber Thomas“ ausgezeichnet, hat seinen Helden in ein sehr dichtes, mitunter etwas ausuferndes Geflecht von Figuren gesteckt. „Herrhausen“ kommt vor allem als hochtouriger, atemloser Polit-Thriller daher. Denn Herrhausen legt sich nicht nur mit Bankern und Politikern an. Ob CIA, Verfassungsschutz oder Stasi – sie allen lauschen voller Unruhe mit, und alle haben irgendwie Kontakt zu den Bombenbauern im Nahen Osten, die mitunter fast wie nützliche Idioten erscheinen. Der zynische Satz „Wo bleibt die RAF, wenn man sie mal braucht?“ fällt mehrfach – auf allen Seiten.
Schauspielerisch funktioniert der ARD-Zweiteiler vor allem dann, wenn die realen Figuren nicht so stark in der Öffentlichkeit standen. Thomas Loibl und August Zirner geben Herrhausens skeptischen Gegenspielern innerhalb der Deutschen Bank das nötige Gewicht. Kritisch wird es oft, wenn sehr bekannte Politiker nachgespielt werden. So sieht Sascha Nathan als Helmut Kohl eher wie Hans-Dietrich Genscher aus, Peter Jordan als Genscher ähnelt eher dessen Nachfolger Klaus Kinkel.
Auf der Todesliste der RAFOliver Masucci als Alfred Herrhausen aber passt mit seinem energiegeladenen Spiel in jeder Beziehung. Die Begleit-Doku zeigt, wie nahe er dem Original-Herrhausen kommt, der gern vor Kameras posierte, in Talkshows auftrat – immer mit einer eleganten, eloquenten Art. Die privaten Szenen mit Julia Koschitz als Herrhausens Gattin Traudl aber belegen, wie sehr der Mann an seine physischen und psychischen Grenzen ging. Er wusste schon lange, dass er auf der Todesliste der RAF stand: In einer Verfügung hatte er festgehalten, dass im Falle seiner Entführung nicht auf die Forderungen der Geiselnehmer eingegangen werden solle.
Wie Regisseurin Pia Strietmann seine immer häufigeren Albträume mit den Todesahnungen in Szene setzt, gehört zu den stärksten Momenten eines starken Dramas. Die Fragen, die Alfred Herrhausen aufwarf, über die Rolle der Banken, über den Umgang mit dem Osten und dem Süden, den Russen und den Amerikanern, sind keineswegs weniger aktuell geworden. Im Gegenteil.
Herrhausen – Der Herr des Geldes. 1.10., 20.15 Uhr und 3.10., 21.45 Uhr in der ARD; Begleit-Doku „Herrhausen – Die Macht des Bankers“ folgt um 23.25 Uhr. Als vierteilige Serie ab Mo, 30.9., in der ARD-Mediathek