Heiligabend: Wenn die Kirche einmal im Jahr voll ist: Was eine ...
Wenn Pfarrer sonntags in ihre Kirche gehen, um Gottesdienste zu halten, sind oft mehr Bänke leer als voll. Gerade in den Dörfern können nicht mehr überall Gottesdienste angeboten werden, weil die Nachfrage nicht groß genug oder gar nicht vorhanden ist. Doch einmal im Jahr ist es soweit: an Heiligabend! Die sogenannten "U-Boot-Christen" tauchen auf und plötzlich platzen die Kirchen aus den Nähten.
Der Erfurter Pfarrer Christoph Knoll und die Pfarrerin Charlotte Reinhold aus Großobringen im Weimarer Land berichten im Interview, was die vollen Kirchen an Weihnachten für sie bedeuten und wie sie damit umgehen.
Herr Knoll, Sie sind seit 30 Jahren Pfarrer an der Erfurter Thomaskirche. Wie voll wird es denn an Heiligabend?
Knoll: Ja, also wir haben hier an der Thomasgemeinde tatsächlich vier Gottesdienste: Um 14, 16, 18 und 23.15 Uhr. Die sind im Durchschnitt alle sehr gut besucht, aber das Highlight ist in der Regel das Krippenspiel um 14 Uhr. Da kommen etwa 800 Menschen. Da stehen die Leute überall da, wo man stehen kann, wir versuchen dann auch, die Rettungswege frei zu halten, aber alles andere ist dann wirklich besetzt, beziehungsweise 'bestanden'. (lacht)
Frau Reinhold, ist das in Ihren Dörfern ähnlich?
Reinhold: Ich bin seit eineinhalb Jahren Pfarrerin im Pfarrbereich Schöndorf-Großobringen. Und weil ich letztes Jahr das erste Mal zu Weihnachten in den Dorfkirchen war, hab ich mir gedacht, ich versuche jetzt mal in alle fünf Dörfer zu fahren: Heichelheim, Kleinobringen, Sachsenhausen, Wohlsborn und Großobringen.
Und da hab ich dann fast schon mit Erstaunen gesehen, als ich dann so kurz vor knapp in die Dörfer reingefahren bin, dass wirklich die Leute in die Kirche strömen. Es sind überall Menschen und die gehen alle in eine Richtung und das fand ich schon wirklich cool. Ich hab ja auch wirklich kleine Kirchen teilweise, und auch die sind dann wirklich voll - auf den Emporen stehen dann die Leute dreireihig hintereinander... in der einen Kirche hat sich die Kirchenälteste Sorgen gemacht, dass die Emporen halten, weil es wirklich richtig voll war.
Wie ist das für Sie, wenn dann einmal im Jahr die Kirche so brechend voll ist? Wie erklären Sie sich das?
Knoll: Das finde ich jedes Mal das größte Wunder an diesem Tag, dass die Kirchen so voll sind wie das ganze Jahr über nicht. Die Gründe, warum die Menschen kommen, egal ob jung oder alt, die sind ganz unterschiedlich. Für viele gehört es dazu, die Tradition spielt da schon eine ganz große Rolle. Und dann sind wir Heiligabend einfach empfindlicher, empfindsamer als das Jahr über, das ist auch so ein Phänomen. Streit an Heiligabend - das mag keiner wirklich und deshalb bemühen sich auch alle, Heiligabend gut miteinander umzugehen.
Und dieses Gefühl, so zart besaitet zu sein wie Fotopapier - das macht irgendwas mit den Menschen. Und deswegen suchen sie in den Kirchen, nach meiner Erfahrung heraus, wirklich einen Ort, wo sie einmal im Jahr etwas für das ganze Jahr mitnehmen können. Und ich hab es wirklich auch schon erlebt, dass Leute gesagt haben, Herr Knoll, Sie haben vor Jahren in einer Weihnachtspredigt diesen Satz gesagt und der begleitet mich seitdem. Und das ist doch toll!
Reinhold: Es gibt wirklich auch viele, die sagen, wenn ich nicht in die Kirche gehe, fehlt irgendwas. Da ist dann das Gefühl, dass es vielleicht doch ein bisschen inhaltslos ist, schon irgendwie da. Tatsächlich auch bei denen, die sagen, sie glauben gar nicht an Gott, aber Kirche, das muss schon sein.
Das ist das, was Weihnachten ausmacht: diese Sehnsucht nach Heilung. Und das ist etwas, was nicht nur mit Christ-Sein zu tun hat, sondern ein menschliches Grundbedürfnis.
Was ich merke, ist, dass es so eine Art Sehnsucht schon gibt. Vielleicht auch nach diesem einen kurzen, heiligen Moment, dass mal kurz alles gut ist, dass es so ist, wie es immer ist und dass, auch wenn die Familie total zerstritten ist, man noch einmal zusammen kommt. Und das ist ja das, was Weihnachten ausmacht: diese Sehnsucht nach Heilung. Und das ist etwas, was nicht nur mit Christ-Sein zu tun hat, sondern ein menschliches Grundbedürfnis, finde ich.
Es gibt diesen hämischen Begriff 'U-Boot-Christen' - also die Christen, die genau einmal im Jahr an Heiligabend auftauchen und den Rest des Jahres den Kirchen fern bleiben. Was halten Sie davon?
Reinhold: Also, als ich den Begriff im Studium das erste Mal gehört habe, da musste ich lachen. Weil es natürlich schon zutreffend ist, dass manche Menschen dann einfach wieder auftauchen zu gegebenen Anlässen. Aber wenn ich länger über den Begriff nachdenke, gefällt mir erstens das Militärische daran nicht, also U-Boot als militärisches Fahrzeug. Und außerdem ist der Begriff wirklich auch negativ.
Ich find's eher positiv, dass die Leute kommen! Heute irgendwo aufzutauchen ist ja eh schwierig, das sieht man ja in allen möglichen Vereinen, dass gerade jüngere Menschen wirklich einen vollen Terminkalender haben, und wenn das Bedürfnis so groß ist und sie kommen, finde ich das einfach nur schön.
Das sind Menschen, die etwas suchen, die etwas wollen. Und dann sind sie herzlich willkommen! Da spielt es für mich überhaupt keine Rolle, ob die gläubig sind oder nicht, ob die einer anderen Religion angehören oder gar keiner Religion.
Knoll: Ich finde den Begriff diffamierend, es gibt keine 'U-Boot-Christen'! Menschen kommen einmal in die Kirche und wenn sie einmal im Jahr den Weg in die Kirche finden - aus guten Gründen, das wissen die Menschen am besten - dann sind das Menschen, die etwas suchen, die etwas wollen. Und dann sind sie herzlich willkommen!
Da spielt es für mich überhaupt keine Rolle, ob die gläubig sind oder nicht, ob die einer anderen Religion angehören oder gar keiner Religion, völlig Rille! Sie sind da und sie haben das Recht darauf, einen inspirierten Gottesdienst miteinander zu feiern.
Bereiten Sie sich denn auf den Heiligabend-Gottesdienst dann besonders gut vor, wenn Sie wissen, Sie erreichen viele Menschen?
Knoll: Ich sehe es schon als meine Aufgabe, da nochmal ne Schippe drauf zu legen bei der Vorbereitung und nochmal an der Predigt zu feilen - geht das so, geht das auch für Menschen, die es sonst nicht so gewohnt sind, in die Kirche zu gehen, verstehen die das, was ich sage?
Wäre das für den ein oder anderen was für den Alltag, ist dieser Satz so gut besetzt, dass sie ihn behalten können? Also: Wie bei einer Party, Du feilst sozusagen am Rezept, dass Du das beste Essen auf den Tisch kriegst und nach Möglichkeit die Leute hinterher sagen: Toll, hat mir gut getan!
Frau Reinhold, abschließend: Ist es für Sie denn ein Stück weit auch schade, dass da im Gottesdienst viele Menschen sitzen, die sonst nie kommen? Würden Sie im Gottesdienst versuchen, Menschen dazu bewegen, vielleicht nächste Woche gleich wieder zu kommen?
Reinhold: Natürlich wäre es schöner, wenn es das ganze Jahr so wäre, dass die Kirche rappelvoll ist. Aber ich bin auch realistisch und es ist jetzt nicht so, dass ich mit nem halb weinenden Auge zu Weihnachten in der Kirche stehe. Ich würde eher versuchen - und das habe ich auch letztes Jahr gemacht - etwas zu sagen, was die Leute berührt, also wo sie sagen, an dem Punkt war das jetzt für mich weihnachtlich, oder da habe ich jetzt das Gefühl gehabt, auch wenn ich jetzt nicht weiß, was Gott ist oder nicht an Gott glaube, es gibt da vielleicht doch mehr in dieser Welt, wer weiß.
Das wäre mein Ansporn und natürlich ist aber die Idee dahinter immer, dass die Menschen sich in der Kirche irgendwie wohl fühlen. Also dass sie nicht sagen, da geh ich nie wieder hin.
Vielen Dank Frau Reinhold und Herr Knoll für das Gespräch und Ihnen beiden schöne und erfüllte Weihnachtsgottesdienste!