„15 Jahre“ mit Hannah Herzsprung: Gefangen in der Freiheit ...

6 Jan 2024

Kinofilm „15 Jahre“ mit Hannah Herzsprung

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Hannah Herzsprung - Figure 1
Foto RND

Getrieben vom Gedanken an Rache: Hannah Herzsprung als Jenny von Loeben in einer Szene des Films „15 Jahre“.

© Quelle: -/Wild Bunch/dpa

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• 5 Minuten

Jenny zurück aus dem Knast: Im Kinodrama „15 Jahre“ entwickelt Hannah Herzsprung ihre frühere Figur weiter. Was den Film zusammenhält, ist die Wucht, mit der Herzsprung den permanenten emotionalen Notstand verkörpert. Trotz aller Einwände ist dieses aufgekratzte Werk ein kleines Wunder.

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Diese hochgezogenen Schultern, diese Wut im Blick, diese Spannung im Körper, die jeden Augenblick in Gewalt umschlagen kann: Jenny von Loeben ist wieder da, die junge Frau, der so übel im Leben mitgespielt wurde, dass sie ihren Mitmenschen nurmehr mit maximalem Misstrauen begegnet.

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In den ersten Szenen des Kinodramas „15 Jahre“ könnte man meinen, dass Regisseur Chris Kraus mit Jenny ganz einfach da weitermacht, wo er sie 2006 verlassen hat. Hannah Herzsprung als Jenny sitzt im Kreisrund einer Therapiestunde, als wäre sie nie aufgestanden. Sie scheint – jedenfalls auf den ersten Blick – kaum gealtert, wirkt mit dunklen Ringen um die Augen nur schrecklich müde.

Ihre verhärmt wirkende Therapeutin erinnert an die wunderbare Monica Bleibtreu, die wir in „Vier Minuten“ als Musiklehrerin in einer ihrer letzten Rollen sahen. Nun heißt die professionelle Helferin Frau Markowski, wird gespielt von Adele Neuhauser („Tatort“-Kommissarin Bibi Fellner) und soll Jenny mit Gottesglauben aus Not und Pein befreien.

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Ob da etwas draus wird? Seinem Film hat der Regisseur ein eher unchristliches Motto vorangestellt: „Vergebung bedeutet, jede Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufzugeben.“ Das klingt nicht nach einer gelingenden Resozialisation. Putzkraft Jenny wird beim Feudeln und Wischen mit religiösen Zitaten traktiert. Da tickt sie aus.

„Vier Minuten“ war vor 17 Jahren eine kleine Kinosensation, von der Deutschen Filmakademie gefeiert als bester Film des Jahres. Die Geschichte zweier verletzter Seelen – die Klavierlehrerin hier, ihre Schülerin dort – mündete in einem fulminanten Solo Jennys bei einem Pianistenwettbewerb, an dem sie gar nicht hätte teilnehmen dürfen. Die Hochtalentierte saß im Knast wegen eines Mordes, den sie nicht begangen hatte. Gefängnisärzte hatten zudem den Tod ihres Kindes verschuldet. 15 Jahre später setzt Regisseur Kraus diese Geschichte fort.

Hannah Herzsprung - Figure 2
Foto RND
Weder Klavierspielen noch Kickboxen

Sein Film „Vier Minuten“ hatte damals schon vorab Aufsehen erregt: Die noch kaum bekannte Hannah Herzsprung hatte sich für die Rolle beworben, obwohl sie weder Klavierspielen noch Kickboxen konnte. Beides aber hatte der Regisseur von den Bewerberinnen verlangt.

Die Notlüge zahlte sich für die Hauptdarstellerin aus: Nach diesem Film war Herzsprung ein Name in der Kinobranche. „Ich würde das tatsächlich immer wieder tun“, hatte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gesagt. Umso mehr warf sie sich ins Zeug für die Jenny und lernte, was sie bis dahin nicht konnte.

Nun ist Jenny zurück in der Freiheit, die sich für sie immer noch wie ein Gefängnis anfühlt. Sie trifft durch Zufall auf den Mann, an dessen Stelle sie 15 Jahre lang im Gefängnis saß. Er ist jetzt ein berühmter Musiker, moderiert eine hochgejazzte TV-Talentshow für psychisch und körperlich Behinderte und hat sich den vielsagenden Künstlernamen Gimmiemore (Albrecht Schuch) zugelegt. Alles ist auf einen Showdown der beiden angelegt – auch wenn dieser schließlich ganz anders ausfällt als erwartet.

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Rabiat verknotete Filmenden

Für Regisseur Kraus ist diese Ausgangslage eine Chance, ins dunkle Herz einer jener menschenverachtenden Castingshows zu schauen, in denen sich die Kandidatinnen und Kandidaten einer sich gottgleich aufspielenden Jury ausgeliefert sehen. Aber was bleibt Jenny übrig: Will sie Rache, muss sie sich für den Auftritt in der Manege hergeben.

Aber das ist nur eine von vielen erzählerischen Enden, die Kraus hier rabiat verknotet. Ein ausgebrochener Löwe zu Beginn ist eine Zugabe. Assoziationen zum Schicksal Jennys sind keinesfalls zufällig: noch so ein Wesen, das sich nach Freiheit sehnt. Zumindest das Leben des Löwen endet im Kugelhagel eines Maschinengewehrs.

Dank ihres früheren musikalischen Mitstreiters Harry Mangol (Christian Friedel) lernt Jenny einen dem syrischen Bürgerkrieg knapp entronnenen Pianisten kennen. Regisseur Kraus ließ sich vom Leben und Leiden des syrischen Pianisten Aeham Ahmad inspirieren. Mal eben blendet Kraus ins syrische Kriegsgebiet, wo Fanatiker des sogenannten Islamischen Staats dem Klavierspieler Omar Annan (Hassan Akkouch) den Unterarm abhacken. Mit seiner Lebenslust bleibt Omar trotz allem der Gegenpol zur unberechenbaren Jenny.

Was diesen Film zusammenhält, ist die Wucht, mit der Herzsprung den permanenten emotionalen Notstand verkörpert. Auf Dauer ist das fürs Publikum aber anstrengend. Schön, dass der gefeierte Showmoderator Gimmiemore den aufgekratzten Ton herunterdimmt. Albrecht Schuch versteht es wie in beinahe jeder Rolle, sich hinter seiner Figur unkenntlich zu machen.

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Ein Wunder ist dieses aufgekratzte Werk trotz aller Einwände: Regisseur Krauss („Die Blumen von gestern“) ist es nach eineinhalb Jahrzehnten gelungen, Jennys Biografie weiterzuspinnen. Das dürfte ihn ähnlich viel Energie gekostet haben wie Jenny der Weg in die Freiheit.

„15 Jahre“, Regie: Chris Kraus, mit Hannah Herzsprung, Albrecht Schuch, Christian Friedel, 144 Minuten, FSK 12

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