Vizekanzler: Habeck will Lieferkettengesetz aussetzen

7 Jun 2024

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck schlägt eine Aussetzung des deutschen Lieferkettengesetzes vor – bis die europäische Regelung greift. So hatten es zuvor Wirtschaftsverbände verlangt. Die SPD sieht den Plan kritisch.

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07.06.2024, 16.00 Uhr

Robert Habeck: Opfert der Spitzenpolitiker Menschenrechte, »um sich bei den Familienunternehmern anzubiedern«?

Foto: Jochen Eckel / picture alliance

Vize-Kanzler Robert Habeck will das deutsche Lieferkettengesetz für zwei Jahre aussetzen. Mit diesem Vorschlag hat der Wirtschaftsminister von den Grünen für Unruhe innerhalb der Ampelkoalition gesorgt. Während FDP-Chef Christian Lindner den Plan begrüßte, äußerte sich die SPD ablehnend. Habeck deutete an, dass eine Aussetzung des Gesetzes Teil des Ampelpakets zur Standortstärkung werden könnte.

Die Wirtschaft hat das Gesetz immer wieder scharf kritisiert, weil es bürokratische Dokumentationspflichten mit sich bringe und kaum umzusetzen sei. Habeck plädierte angesichts der Stagnation der deutschen Wirtschaft für eine Pause, bis die entsprechende europäische Richtlinie greife. »Das wäre das Beste. Das halte ich für absolut vertretbar«, sagte er beim Tag der Familienunternehmen im Berliner Nobelhotel Adlon. Manche Betriebe wollten die Vorgaben umsetzen. Man könne die Verpflichtung aber aussetzen. Das könnte ein Befreiungsschlag sein. Habeck deutete zudem an, dass es noch zwei bis drei Wochen dauern könnte, bis ein Ergebnis vorliege.

Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP will sich bis Anfang Juli auf einen Haushaltsentwurf für 2025 verständigen. Parallel sollen Maßnahmen zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts präsentiert werden, der in den vergangenen Jahren an Attraktivität eingebüßt hat. Viele Experten attestieren Deutschland strukturelle Schwächen, weshalb Investitionen deutscher Firmen immer öfter im Ausland getätigt werden.

Knackpunkt Haftung

Unter anderem der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, hatte nach der Einigung auf europaweite Standards verlangt,  das bereits geltende deutsche Recht zu Lieferketten außer Kraft zu setzen. Die deutsche Wirtschaft dürfe nicht länger mit einem nationalen Regelwerk einseitig belastet werden, argumentierte er. »Eine nationale Gesetzgebung aufrechtzuerhalten, während in fast allen anderen EU-Mitgliedstaaten eine derartige Regelung noch gar nicht existiert, schafft eindeutig Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft.«

Lindner begrüßte den Habeck-Vorschlag, das deutsche Gesetz auszusetzen. »Es wäre ein Baustein der Wirtschaftswende.« Es sei sinnvoll, das deutsche Lieferkettengesetz jetzt aufzuheben und die europäische Richtlinie in schlanker Form umzusetzen. Der Mittelstandexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Carl-Julius Cronenberg, ergänzte, es liege nun an Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), schnell zu handeln. »Mit der Aussetzung schaffen wir eine Atempause für den Mittelstand.« Dies wäre in wirtschaftlich angespannten Zeiten überfällig.

Habeck bereits seit Herbst fürs Aussetzen?

Nach dem seit Anfang 2023 geltenden Recht sind Unternehmen hierzulande verpflichtet, den Schutz der Umwelt und der Menschenrechte entlang der globalen Lieferketten zu verbessern. Offen war bislang, wie genau sich das deutsche Gesetz und die neue EU-Richtlinie zueinander verhalten. Die europäische Regelung geht jedoch in einem entscheidenden Punkt über das deutsche Gesetz hinaus. Während die neue EU-Richtlinie vorsieht, dass sich aus den Verpflichtungen der Unternehmen auch eine Haftung für Schäden ergibt, sieht das deutsche Gesetz bislang bei Verstößen gegen Sorgfaltspflichten eine Sanktion durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) vor.

Eine Sprecherin des SPD-geführten Arbeitsministeriums sagte, Ausbeutung dürfe kein Geschäftsmodell sein. Eine bürokratiearme Umsetzung stehe stets im Fokus. Der arbeitsmarktpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Rosemann, zeigte sich wegen der Habeck-Forderung verwundert. »Will hier ernsthaft ein Spitzenpolitiker der Grünen die Menschenrechte opfern, um sich bei den Familienunternehmern anzubiedern?« Faire Lieferketten seien keine Belastung, sondern eine moralische Verpflichtung.

Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums sagte indes, Habeck vertrete seine Position bereits öffentlich seit dem vergangenen Herbst. Er wolle Doppelungen bei den Berichtspflichten von Unternehmen vermeiden. Weite Teile der Grünen sind allerdings für das Gesetz.

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