Jens Spahn polarisiert mit Post zu Atomkraft-Aus: Hat Habeck um ...
Stand: 28.11.2024, 12:46 Uhr
Von: Amy Walker
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Die Behauptung, Deutschland müsse nach dem AKW-Aus mehr Strom importieren, hält sich hartnäckig. Doch die Zahlen erzählen eine andere Geschichte.
Berlin – Die Debatte um die Atomkraft bleibt in Deutschland ein heißes Eisen. Sollten sie nach den Neuwahlen im Februar 2025 an der Regierung beteiligt sein, plant die Union, die Betreiber der Atomkraftwerke zu konsultieren, ob eine Wiederinbetriebnahme möglich wäre. Allerdings haben die Betreiber bereits Zweifel geäußert. Friedrich Merz, der Vorsitzende der CDU, hat daher eingestanden, dass die Atomkraft in Deutschland wahrscheinlich endgültig der Vergangenheit angehört. Stattdessen möchte er auf Kernfusion als Technologie der Zukunft setzen.
Jens Spahn setzt irreführenden Post über Atomstrom aus Frankreich abEin hartnäckiges Gerücht innerhalb der CDU ist, dass Deutschland aufgrund des Atomausstiegs mehr Strom importieren muss als vorher. Ein aktuelles Beispiel ist ein Post des ehemaligen Gesundheitsministers Jens Spahn auf X (früher Twitter): „Um Atomstrom aus Frankreich betteln. Aber Kernkraftwerke in Deutschland abschalten. Die grüne Energiepolitik ist voller Widersprüche und hat unserer Wirtschaft nachhaltig geschadet!“
Der Auslöser für diesen Post war ein Artikel in der Bild-Zeitung, in dem über einen Brief des Wirtschaftsministers Robert Habeck (Grüne) an seine Amtskollegin Agnès Pannier-Runacher berichtet wurde. In diesem Brief vom 8. August 2022 fragt Habeck die französische Energieministerin: „Du sagtest, dass das Ziel der französischen Regierung ist, zum 1. November 2022 40 Gigawatt AKW-Leistung und zum 1. Januar 2023 50 Gigawatt am Netz zu haben. Kannst Du mir bestätigen, dass ich das richtig erinnert habe?“
Die Bild-Zeitung und Jens Spahn interpretieren dies so, dass Habeck prüfen wollte, ob Frankreich nach der Abschaltung der Atomkraftwerke in Deutschland genug Strom zur Verfügung hätte, um Deutschland zu versorgen. Die Atomkraftwerke in Deutschland wurden am 15. April 2023 abgeschaltet.
Strom-Importe nach Atomkraftwerk-Abschaltung waren laut Habeck nicht Gegenstand des BriefsSpahn und die Bild-Zeitung behaupten weiterhin, dass der Import von Atomstrom aus Frankreich nach der Abschaltung der Atomkraftwerke in Deutschland stark gestiegen sei. Das ist teilweise richtig (im April 2023 hat Deutschland mehr Strom nach Frankreich exportiert als importiert), aber laut dem Ministerium von Habeck war das nicht der Inhalt des Briefes.
Das Wirtschaftsministerium stellte in einer öffentlichen Reaktion auf den Post von Spahn klar: „Die Darstellung trifft nicht zu. Genau andersrum ist es richtig: Es ging nicht um den Import von französischem Strom nach Deutschland, sondern um die Frage des Exports nach Frankreich, um die französische Stromversorgung zu sichern. Bundesminister Habeck musste seinerzeit berechnen lassen, wie viel Strom Deutschland an Frankreich im Winter 22/23 liefern musste, um die Ausfälle der störanfälligen französischen AKWs zu kompensieren.“
Deutschland hat 2023 insgesamt mehr Strom importiert: Vor allem grüner Strom aus SkandinavienUnabhängige Überprüfungen bestätigen dies: Die Energy Charts für Europa zeigen, dass Deutschland im Jahr 2022 durchgehend mehr Strom nach Frankreich geliefert hat. Im November waren es 1,48 Terrawattstunden, im Dezember 2,02 TWh, im Januar 2023 1,66 TWh, im Februar 2023 1,12 TWh und im März 1,42 TWh.
Nach der Abschaltung der Atomkraftwerke änderte sich das Bild jedoch: Frankreich lieferte tatsächlich mehr Strom nach Deutschland als umgekehrt. Im Gesamtjahr 2023 waren die Stromimporte und -exporte zwischen den beiden Ländern jedoch etwa ausgeglichen: Deutschland exportierte 8,92 TWh nach Frankreich und importierte 9,34 TWh aus dem Nachbarland.
Jens Spahn hält das AKW-Aus in Deutschland für einen Fehler. © dpa/MontageDeutschland importierte jedoch deutlich mehr Strom aus Dänemark, wo der Anteil erneuerbarer Energien besonders hoch ist. 2023 versorgten die Dänen uns mit über 15 TWh Strom. Wir erhielten auch viel Strom aus den Niederlanden, wo der Anteil der Atomenergie nur drei Prozent der Stromerzeugung ausmacht. Auch Norwegen exportierte nach Deutschland, dort wird sehr viel Strom aus Wasserkraft erzeugt. Insgesamt stammten 83 Prozent des importierten Stroms aus den skandinavischen Ländern.
Stromimporte sind kein Grund zur Sorge: Strompreis wird dadurch gedrücktDas Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat sich im Sommer ebenfalls mit dem Thema beschäftigt. „Dieser Importüberschuss ist aber kein Zeichen dafür, dass der deutsche Kraftwerkspark nicht mehr ausreicht, die eigenen Bedarfe zu decken. Neben der zunehmenden Anzahl erneuerbarer Energien standen im vergangenen Jahr auch in Zeiten, in denen fleißig importiert wurde, nicht nur bestehende Kohlekraftwerke, sondern auch ausreichende Gaskapazitäten zur Verfügung“, erklärte das IW in einer Nachricht im Juni 2024.
„Strom wird schlichtweg zu den Zeiten importiert, in denen der Strompreis in den Nachbarländern niedriger ist und die grenzüberschreitenden Leitungen ausreichend freie Kapazität aufweisen, um diesen nach Deutschland zu leiten. Dadurch können Importe den Strompreis an der Börse zeitweise absenken, wenn günstiger Strom in den Nachbarländern zur Verfügung steht.“ Laut dem Wirtschaftsinstitut war der importierte Strom meistens grün (aus Solar-, Wasser- und Windkraft), weil dieser besonders günstig ist. 73 Prozent des importierten Stroms stammte aus diesen Quellen.
Deutschland kann eigenen Strombedarf ausreichend decken„Die gestiegenen Stromimporte sind daher kein Grund zur Sorge. Stattdessen sollten wir das günstige Stromangebot aus den europäischen Partnerländern begrüßen und die nötigen Leitungskapazitäten weiter ausbauen“, so das Fazit des IW.
Trotz der Abschaltung der Atomkraftwerke kann Deutschland seinen eigenen Strombedarf ausreichend decken. Der Stromhandel zwischen den europäischen Ländern dient dazu, den Strompreis in ganz Europa zu senken und sicherzustellen, dass der Strommix so oft wie möglich aus grünen Quellen stammt. Wenn also der Wind in Deutschland nicht weht, aber in Norwegen, bietet der internationale Handel eine Möglichkeit, weiterhin günstigen Windstrom zu beziehen, bevor Kohle- und Gaskraftwerke genutzt werden müssen.