Person der Woche: Greta Thunberg und der tiefe Judenhass der ...
Von Wolfram Weimer 14.11.2023, 10:10 Uhr Artikel anhören
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Sie war die globale Ikone der Klimabewegung. Doch nun hetzt sie lautstark gegen Israel. Viele ihrer Bewunderer sind entsetzt, doch im links-ökologischen Milieu gibt es auch Applaus. Der Thunberg-Eklat zeigt: Im politischen Kosmos der Linken gibt es ein großes Antisemitismus-Problem.
Mit Palästinensertuch um den Hals hat Greta Thunberg vor 85.000 Menschen in Amsterdam erneut Anti-Israel-Aktivismus betrieben. Sie rief der Menge entgegen, die Klimaschutzbewegung habe die Pflicht, "auf die Stimmen jener zu hören, die unterdrückt sind". Dann gab Thunberg das Mikrofon an Sara Rachdan (ebenfalls im Palästinensertuch), die behauptete, Israel begehe "in meinem Land einen Völkermord". Rachdan ist bekannt dafür, dass sie die Angriffe der Hamas auf israelische Zivilisten feiert, Terroristen bewundert und den Holocaust verharmlost. Viele Teilnehmer der Demonstration reagierten empört, ein Mann sprang sogar vor laufenden Kameras auf die Bühne und rief ins Mikrofon: "Ich bin für eine Klimademonstration hierhergekommen, nicht, um politische Ansichten zu hören." Thunberg konterte den Auftritt des Mannes mit dem Skandieren von "No climate justice on occupied land".
Thunberg hatte nach den Massakern an mehr als 1200 israelischen Zivilisten keine Worte des Mitgefühls oder gar des Protests, sie solidarisierte sich stattdessen sofort mit den Palästinensern. Schon vor zwei Wochen ließ sie sich mit Mitstreiterinnen fotografieren, die ein "freies Palästina" forderten und eine Plüschkrake bei sich hatten - ein klassisches, von den Nazis weithin benutztes Antisemitismus-Symbol für die angebliche Weltbeherrschung durch die Juden. Dann teilte sie Beiträge, die den angeblichen "Genozid" in Gaza anprangern und die Vernichtung Israels unter dem Slogan "From the river to the sea" einfordern. Zu den Raketenangriffen und Terroranschlägen der Hamas dagegen hört man nichts.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und Grünen-Politiker Volker Beck bezeichnete Thunbergs Äußerungen als das "Ende von Greta Thunberg als Klimaaktivistin". Sie sei "ab jetzt hauptberuflich Israelhasserin". Die ehemalige Grünen-Vorsitzende Simone Peter, schreibt: "Wie bitter, dass sie sich mit ihrer Israel-Haltung komplett diskreditiert." Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marlene Schönberger ist enttäuscht: "Greta ist kein Vorbild mehr."
Luisa Neubauer auf DistanzViele Klima- und Ökobewegte sind vom lauten Antisemitismus Thunbergs befremdet bis entsetzt. Thunberg war vor fünf Jahren durch die Bilder eines besorgten Mädchens, das mit einem Pappkarton in der Hand unermüdlich gegen den Klimawandel protestiert, berühmt geworden. Sie verlieh der von ihr ausgelösten Jugendbewegung Sichtbarkeit und den Mythos jugendlicher Unschuld. Erste Risse bekam die Thunberg-Ikonografie, als bekannt wurde, dass Thunberg mit ihrem Vater allerlei lukrative PR-Geschäfte betrieb. Auch ihre unbarmherzige Rhetorik ("How dare you") befremdete einige, andere ärgerten sich über Falschinszenierungen von Fotos. Doch mit ihrem demonstrativen Anti-Israel-Kurs verspielt Thunberg jetzt in gewaltiger Dimension Sympathie und Glaubwürdigkeit.
"Es ist offensichtlich, dass gerade einiges zerbricht", geht auch Luisa Neubauer, die prominenteste Aktivistin von "Fridays for Future" in Deutschland, auf Distanz. Man müsse nun schauen, "mit wem wir noch eine Arbeitsgrundlage auf Basis gemeinsamer Werte finden und wo die sein könnte", sagte sie der "Zeit".
Doch es gibt nicht nur Kritiker. Thunberg spaltet die Klimabewegung regelrecht. Denn in einem beachtlichen Teil der links-ökologischen Szene bekommt sie Applaus - so auch auf der Demonstration in Amsterdam. Der Israelhass ist in der internationalen Klimabewegung durchaus verwurzelt. Jüngste Beiträge der internationalen "Fridays for Future"-Bewegung in den sozialen Medien legen davon erschreckendes Zeugnis ab.
Linker Antisemitismus speist sich aus unreflektiertem Postkolonialismus, Globalisierungskritik und Antikapitalismus, Israel wird als Handlanger der USA ("Mächte des Kapitals") in einer Art Bonsai-Anti-Amerikanismus stigmatisiert.
Schon Marx war AntisemitDoch die eigentlichen Wurzeln linken Antisemitismus liegen noch tiefer. Karl Marx selbst lieferte mit seinem Text "Zur Judenfrage" (1843) Material für blanken antisemitischen Hass: "Welches ist der weltliche Grund des Judenthums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus der Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld." Die Passagen von Marx über Juden lesen sich zuweilen wie Originaltexte von Nazis. Das Judentum sei "ein allgemeines gegenwärtiges antisociales Element". In der jüdischen Religion liege "die Verachtung der Theorie, der Kunst, der Geschichte, des Menschen als Selbstzweck". Selbst "das Weib wird verschachert".
Diese Kritik von Marx wurde hernach über Generationen von Linken adaptiert. Die KPD wie die DKP warnten in Deutschland jahrzehntelang vor "jüdischem Kapital" und viele Mitglieder der RAF-Terroristen wurden in Camps palästinensischer Gruppen in Jordanien oder Jemen ausgebildet. Am 13. Februar 1970 wurde mit einem Benzinkanister Feuer im Altersheim der Israelitischen Kultusgemeinde München gelegt. Sieben ältere Menschen, meist Überlebende des Holocaust, kamen im Haus Reichenbachstraße 27 um Leben. Das Attentat geht nach Recherchen des Historikers Wolfgang Kraushaar auf das Konto linksradikaler Täter der Gruppe "Tupamaros München". Nach dem palästinensischen Anschlag auf israelische Sportler bei den Olympischen Spielen 1972 schrieb Ulrike Meinhof in der Haft ein Papier "zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes". Darin lobte sie die Geiselnahme jüdischer Sportler als beispielhaft und attackierte die Bundesrepublik, weil sie Israel "sein Wiedergutmachungskapital" bezahlt und Waffen geliefert habe.
Antisemitische DDR-TraditionAuch der Sowjetkommunismus war stark antisemitisch ausgerichtet, eine "Säuberungskampagne" unter Stalin war gegen eine angebliche "jüdische Ärzteverschwörung" gerichtet. Seit dem Sechstagekrieg 1967 ergriffen Linke in Deutschland weithin einseitig für die arabisch-palästinensische Seite Partei. Dabei vermischten sich alte antisemitische Stereotypen mit linksextremem Antiimperialismus.
Auch in der DDR gab es eine breite Tradition des sozialistischen Antisemitismus. Der ARD-Fernsehjournalist Stefan Meining ("Kommunistische Judenpolitik") und der Historiker Michael Wolffsohn ("Die Deutschland-Akte") haben das ausführlich belegt. Diese antisemitische DDR-Tradition setzte sich auch in der PDS und der Nachfolgepartei Die Linke fort. Israel gilt im linksextremen Milieu als Handlanger der USA, des "Imperialismus und Kolonialismus". Palästinenser und Araber, Muslime seien Opfer, Israel und die USA Täter. Dabei ist Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten, umgeben von lauter arabischen Diktaturen.
Die neuere Strömung des linken Antisemitismus vermengt postkoloniale Attitüden mit uralten Ressentiments. Letztlich wird der Versuch des "Cancelns" von Israel unternommen. Thunberg wird hier zu einer Anführerin der Israelkritik. Denn ihre Massenkommunikation leistet ausgerechnet in einer Bewegung, die auf Wissenschaft hören wollte, dem Verbreiten von Verschwörungsideologien und Hamas-Propaganda Vorschub. Thunberg erreicht 15 Millionen Follower bei Instagram, ihr "Free Palestine"-Foto ist auf X (vormals Twitter) 25 Millionen Mal angezeigt worden - vorwiegend vermutlich von jugendlichem Publikum. Sie bringt damit den Israelhass und tief sitzenden Antisemitismus der Linken in eine ganz neue, junge Zielgruppe.