Urteil im Pelicot-Prozess – Gericht spricht Ehemann in allen ...
Gisèle Pelicot am Donnerstag vor dem Gerichtsgebäude in Avignon
Foto:Clement Mahoudeau / AFP
Im Vergewaltigungsprozess von Avignon ist der Hauptangeklagte Dominique Pelicot der schweren Vergewaltigung schuldig gesprochen worden. Er sei in allen Punkten der Anklage schuldig, befanden die Richter am Donnerstag in Avignon. Pelicot hatte seine mittlerweile geschiedene Frau fast zehn Jahre lang immer wieder mit Medikamenten betäubt und im Internet zur Vergewaltigung angeboten. Das Gericht verhängte eine 20-jährige Haftstrafe gegen ihn. Am Ende seiner Haftstrafe will die Justiz über eine eventuelle Sicherheitsverwahrung für Dominique Pelicot entscheiden.
Neben der schweren Vergewaltigung an seiner Frau ist Pelicot auch der schweren Vergewaltigung an einer weiteren Frau schuldig gesprochen worden. Außerdem befand ihn das Gericht der Aufnahme und Verbreitung von Bildern sexuellen Charakters von Gisèle Pelicot, seiner Tochter Caroline Darian-Peyronnet und seinen beiden Schwiegertöchtern Aurore Lemaire und Celine Pelicot für schuldig.
Auch die meisten der 50 Mitangeklagten Pelicots, denen er seine Frau zum Missbrauch anbot, sind der schweren Vergewaltigung schuldig gesprochen worden. Insgesamt gibt es keinen einzigen Freispruch. Das Gericht verhängt neben der Höchststrafe für Dominique Pelicot Gefängnisstrafen zwischen drei und 15 Jahren.
Podcast zum Pelicot-Prozess
Etwa 200 Vergewaltigungen dürfte Gisèle Pelicot erlitten haben, wie sie vor Gericht angab. Ihr Ehemann hielt die Taten auf Hunderten Videos und Fotos fest. Die Ermittler vermuten, dass es ein Dutzend weitere Täter gibt, die jedoch nicht identifiziert werden konnten.
Pelicot bekam wegen der starken Medikamente, die ihr damaliger Gatte ihr unters Essen mischte, von den jahrelangen sexuellen Übergriffen nichts mit. Ans Licht kamen die Taten erst, als Dominique Pelicot im September 2020 festgenommen wurde, weil er im Supermarkt Frauen unter den Rock gefilmt hatte. Ermittler fanden dann bei ihm die Missbrauchsbilder.
Neben dem Ex-Mann standen 50 weitere Männer vor Gericht. Zum Tatzeitpunkt sollen sie zwischen 21 und 68 Jahren alt gewesen sein. Einem von ihnen warf die Staatsanwaltschaft lediglich sexuelle Gewalt vor und forderte vier Jahre Haft. Den übrigen 49 lastete sie Vergewaltigung an und plädierte für Gefängnisstrafen zwischen 10 und 18 Jahren.
Während Dominique Pelicot seine Taten von Beginn an gestanden hatte, verteidigten die Anwälte der Mitangeklagten ihre Mandanten: Sie hätten nicht gewusst, was sie taten. Sie hätten die bewusstlose Frau gar nicht vergewaltigen wollen. Viele erklärten, sie seien überzeugt gewesen, sie hätten sich an einem Sexspiel eines freizügigen Paares beteiligt.
Das Gericht folgte dem nicht. Die Beeinträchtigung des Urteilsvermögens bei vielen Angeklagten, die von deren Anwälten bei über 30 Männern mit dem Ziel einer Strafminderung beantragt wurde, wurde bis auf ganz wenige Ausnahmen vom Gericht abgelehnt. Einige der Angeklagten weinen bei der Verkündung der Strafe. Eine Frau stößt im Saal für die Familienmitglieder der Angeklagten einen lauten Schrei aus und beginnt zu weinen, als sie hört, dass ihr Sohn zu neun Jahren Gefängnis verurteilt wird. Das Gericht verhängte unter anderem folgende Strafen für die Mittäter Pelicots:
Der Feuerwehrmann Christian L., heute 56 Jahre alt, wird zu neun Jahren verurteilt. Er war ein einziges Mal nach Mazan gekommen und hatte vorgegeben, von Dominique Pelicot Substanzen verabreicht bekommen zu haben. Er könne sich an nichts erinnern, von dem Moment an, in dem er in das Schlafzimmer der Pelicots gekommen sei, er habe einen totalen Blackout von da an gehabt, sagte er vor Gericht aus. Die Staatsanwaltschaft hatte 14 Jahre für ihn gefordert.
Charly A. war 21 Jahre alt, als er zum ersten Mal zu den Pelicots fuhr. Er kam insgesamt sechsmal nach Mazan ins Haus des Ehepaars und wird zu 13 Jahren verurteilt.
Romain V., der insgesamt sechsmal zu den Pelicots kam, um Gisèle Pelicot zu vergewaltigen, muss für 15 Jahre ins Gefängnis.
Nur wenige Angeklagte wurde nicht wegen schwerer Vergewaltigung für schuldig befunden. Andy R., der an einem Silvesterabend 2019 zu den Pelicots gefahren ist, wird nur wegen versuchter Vergewaltigung für schuldig gesprochen. Ein anderer wurde wegen sexueller Aggression verurteilt. Insgesamt können etwa ein halbes Dutzend der Mitangeklagten das Gericht erst einmal auf freiem Fuß verlassen – teilweise, weil sie krank sind und erst entsprechende Haftanstalten gefunden werden müssen.
Am Montag waren die Anhörungen in dem Prozesss mit den Schlussworten der Angeklagten zu Ende gegangen. Dominique Pelicot bat seine Ex-Frau erneut um Verzeihung, diese verzog keine Miene. Die drei erwachsenen Kinder der beiden waren an dem Tag nicht vor Gericht erschienen, um dort die letzten Worte ihres Vaters zu hören. Heute, zur Urteilsverkündung, erschienen sie.
Die drei erwachsenen Kinder der Pelicots auf dem Weg zum Gericht am Donnerstagvormittag
Foto: Alexandre Dimou / REUTERSDer Fall hat Frankreich aufgewühlt. Täglich kamen Dutzende Menschen, um den Prozess beizuwohnen und Gisèle Pelicot zu unterstützen. Das Verfahren hat auch die Debatte um »Ja heißt Ja« wieder angestoßen. Eine Änderung des Strafrechts, um die explizite Einwilligung in sexuelle Handlungen aufzunehmen, könnte kommen.
Das Opfer der Vergewaltigungen, Gisèle Pelicot, ist zu einer feministischen Heldin geworden. Bei ihrer Ankunft im Gericht wurde die 72-Jährige heute unter großem Beifall und »Bravo, bravo«-Rufen empfangen. Sie hatte ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit abgelehnt und sich mit ihren Anwälten dafür eingesetzt, dass Videos der Taten im Gericht offen gezeigt wurden. Die Scham müsse die Seite wechseln, so Pelicot. Nicht sie, sondern ihre Vergewaltiger müssten sich schämen. Für ihre Haltung und ihren Mut wurde sie weltweit gefeiert.
Gemeinsam mit ihren Anwälten sichtete Gisèle Pelicot die Videos ihrer Vergewaltigung. Danach entschied sie: Dieser Fall muss öffentlich verhandelt werden. Was unsere Frankreich-Korrespondentin Britta Sandberg im Gerichtssaal erlebte, lesen Sie hier.