Stichwahl in Frankreich: „Paris könnte die EU von innen aushöhlen“

7 Jul 2024
Frankreich
Stichwahl in Frankreich „Im schlimmsten Fall wird Paris die EU von innen aushöhlen“

Gelingt es, die Rechtsradikalen des Rassemblement National im zweiten Wahlgang von der Macht fernzuhalten? Was würde deren Sieg für die EU bedeuten? Frankreichexpertin Sophie Pornschlegel vom Jaques Delors Center in Brüssel sieht die Entwicklung mit großer Sorge.

WirtschaftsWoche: Frau Pornschlegel, Sie analysieren von Brüssel aus die französische Europapolitik. Was bedeutet die Wahl in Frankreich für das künftige Funktionieren der Gemeinschaft? Wird die EU auseinanderfallen?
Sophie Pornschlegel: Die erste Wahl hat den französischen Präsidenten geschwächt, und somit die Position Frankreichs in der EU. Frankreich hat trotz der schwierigen deutsch-französischen Beziehung in den letzten Jahren stets eine konstruktive Rolle gespielt und Europapolitik mitgestaltet, nicht zuletzt im Bereich der Industrie- und Verteidigungspolitik. Das wird in den nächsten zwei Jahren bis zur nächsten Präsidentschaftswahl 2027 sicherlich schwieriger.

Was wenn die Rechtsradikalen des RN gewinnen?
Sollte der Rassemblement National an die Macht kommen, wird Frankreich bestenfalls eine geschwächte Rolle in der EU haben, aber nichts weiter blockieren. Im schlimmsten Fall jedoch wird Paris eine destruktive Position einnehmen und die EU von innen aushöhlen wollen. Besonders in den Verhandlungen zum nächsten EU-Budget, die im Sommer 2025 starten, könnte eine rechtsextreme französische Regierung zu einem großen Problem werden, da sie die Beiträge Frankreichs reduzieren wollen.

Wo wird der Einfluss des RN und eines möglichen RN-Premierministers eher zu spüren sein: Im EU-Parlament oder im EU-Rat? 
Im Europaparlament wird es auf die Konstituierung der Fraktionen ankommen aber der französische RN wird mit 30 von 81 französischen Sitzen jede Fraktion dominieren. Der RN hat sich in der Vergangenheit vor allem durch seine Abwesenheit im EU-Parlament ausgezeichnet. Der RN hat außerdem EU-Gelder veruntreut, um parlamentarische Assistenten zu bezahlen, die nicht im EU-Parlament gearbeitet haben, und musste dem Parlament deshalb 330.000 Euro zurückzahlen. Ich denke, dass der Einfluss des RN auf Brüssel wahrscheinlich stärker im Rat der EU zu spüren sein würde. Die französische Europapolitik wird ungefähr zu zwei Drittel im Élysée-Palast vom Präsidenten bestimmt und zu einem Drittel vom Premierminister. Besonders die Verhandlungen in den Ministerräten könnten problematisch werden.

Zur Person

Sophie Pornschlegel

Sophie Pornschlegel ist eine deutsch-französische Politikwissenschaftlerin und Publizistin. Derzeit arbeitet sie als Studiendirektorin beim Brüsseler Think-Tank Europe Jacques Delors.

Wird Paris unter dem Einfluss des RN einen Obstruktionskurs gegen Europa fahren? Oder erwarten Sie einen eher pragmatischen Umgang, so wie die Rechtspopulistin Giorgia Meloni es nach ihrem Wahlsieg in Italien bislang gemacht hat? 
Der RN ist in den letzten Jahren einen sogenannten „Normalisierungskurs“ gefahren, mit Erfolg. Sie sind nicht mehr für einen Frexit, also einen Austritt Frankreichs aus der EU, aber sie möchten ein „Europa der Nationen“. Das bedeutet im Kern, dass sie die EU von innen aushöhlen wollen, so wie Ungarns Viktor Orbán oder bisher in einem geringeren Maße – die italienische Regierungschefin Georgia Meloni. Es ist aber bisher schwierig vorherzusagen, welche Rolle der RN auf europäischer Ebene spielen würde. Fest steht, dass Frankreich ein weniger kompromissbereiter Partner sein wird, und sicherlich eine viel weniger konstruktive Rolle einnehmen würde in vielen Bereichen, sei es in der Klima-, Wirtschafts- oder Außenpolitik. Es bedeutet auch, dass Deutschland seinen wichtigsten Partner auf europäischer Ebene verlieren würde.

Die EU-Ratspräsidentschaft wird ab jetzt bis zum Ende des Jahres von Ungarn und der Regierung von Victor Orban geführt. Was kommt da auf Brüssel zu?
Mit dem Motto „Make Europe Great Again“ wird der Ton angegeben: Viktor Orbán lässt sich ganz klar von der Politik Trumps inspirieren. Die Ratspräsidentschaft wird deshalb sicherlich kein „europäisches Fest“. Doch aufgrund des Kalenders könnte der Schaden begrenzt werden: Die EU-Kommission wird erst Anfang November ihre Arbeit aufnehmen, und die Verhandlungen um die Spitzenposten wurden glücklicherweise vor dem Start der ungarischen Ratspräsidentschaft finalisiert. Darüber hinaus spielt seit der Schaffung des Postens des Ratspräsidenten die rotierenden Ratspräsidentschaften eine weniger wichtige Rolle in der Europapolitik.

Bis jetzt hat die EU im Kampf gegen Putin zusammengehalten. Wird die Solidarität zur Ukraine auch mit einem Premierminister Jordan Bardella bestehen bleiben? 
Die Außenpolitik in Frankreich wird in erster Linie vom Präsidenten bestimmt, dennoch ist wenig verfassungsrechtlich festgehalten. Eine „cohabitation“ - also ein Premierminister einer anderen Partei als der des Präsidenten - mit einer rechtsextremen Partei wäre eine historische Premiere, sodass es schwierig vorherzusehen ist, welche Auswirkungen ein rechtsextremer Premier auf die französische Außenpolitik hätte.

Und in Bezug auf Russland?
Die „Washington Post“ hat klare Verbindungen des Rassemblement National zu Russland nachgewiesen. Die Partei hat sich gegen russische Sanktionen ausgesprochen. Entsprechend könnte sich das auf die zukünftige Unterstützung der Ukraine durch Frankreich auswirken.

Was ist mit der Option einer Minderheitsregierung?
Wir wissen ja noch nicht, ob der RN eine absolute Mehrheit gewinnt und Jordan Bardella Premierminister wird. Andere Ergebnisse, die zu einer Minderheitsregierung führen würden, könnten Frankreich in eine institutionelle Krise stürzen. Die Lage ist im Moment sehr volatil.  

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