„In Frankfurt brauche ich keinen Schutzhelm“
Stand: 23.10.2023, 18:22 Uhr
Von: Maria Sterkl
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Alon ist gebürtiger Frankfurter, lebt in Israel und ist jetzt im Norden des Landes stationiert. Foto: Maria Sterkl © Maria SterklIn Israel an der Front, aber besorgt um die Eltern daheim am Main. Alon lebt seit elf Jahren im Kibbuz und ist jetzt im Krieg.
Zwischen den Büschen: Coladosen, leere Chipspackungen. Alon seufzt. Wenn er den Müll im Wald sieht, dann kehrt es den Deutschen in ihm hervor: „Furchtbar, wie das aussieht“, sagt der 36-jährige Frankfurter, der seit 13 Jahren in Israel lebt. An seinem Hosenbund hängt ein Revolver. Alon ist jederzeit schussbereit, und bald könnte er von seinem jahrelangen Schießtraining Gebrauch machen müssen. Nicht, weil es ihm Spaß macht, sondern weil es seine Pflicht ist: Alon ist als Reservesoldat an der Grenze zum Libanon stationiert. Wenn die Terroristen auch in Israels Norden eindringen, wird es auch an ihm liegen, sie abzuwehren. Es ist das erste Mal, dass er in den Krieg zieht.
Alon wuchs in Frankfurt auf, als Sohn eines deutschen Juden und einer Israelin. Mit 23 beschloss er spontan, nach Israel zu gehen, um dort den Armeedienst zu absolvieren, der zwei Jahre dauerte. Danach blieb er, seitdem lebt er in einem kleinen Kibbuz im Norden des Landes. Einmal pro Monat fliegt er nach Deutschland, besucht seine Familie und macht Erledigungen für das Cybertech-Unternehmen in Tel Aviv, das er vertritt. Anfang Oktober war er zuletzt in Deutschland. Kurz nach seiner Rückkehr brach der Krieg aus. Seither ist nichts, wie es war.
Alle Welt blickt auf Israels Süden. Längst ist aber auch der Norden, die Grenze zum Libanon, Teil des Kriegsgeschehens, wenngleich es nicht so benannt wird. Jeden Tag feuern Terroristen Panzerabwehrgranaten nach Israel, die israelische Armee antwortet mit dem Beschuss von Zielen der Hisbollah. Allein an einem Tag landeten zehn Raketen auf israelischem Gebiet, eine davon schlug unweit von Alons Haus im Kibbuz Dan ein.
„Die Lage ist sehr, sehr angespannt“, sagt er und nimmt einen Zug von einer Zigarette. Schlafen sei kaum möglich, nicht nur wegen der Schüsse. Auch wegen der Nervosität, weil es jederzeit losgehen kann. Am Montagmorgen griff die israelische Armee militärische Ziele der Hisbollah an, darunter auch ein Waffenlager, das für den Beschuss einer israelischen Stadt im Norden bereitstand. Bei den Luftangriffen sollen mehrere Kämpfer der Hisbollah tödlich verletzt worden sein.
Alon ist Teil der lokalen Batterie der israelischen Streitkräfte, deren Aufgabe es ist, „die Zäune des Kibbuz zu sichern“, wie er es formuliert. In den Kibbuzim im Süden war das am 7. Oktober unter tragischen Umständen gescheitert. Lokale Sicherheitsteams gibt es zwar auch dort, aber die Frühwarnung hatte versagt. Die Menschen wurden von den eindringenden Terroristen überrascht und massakriert. Im Norden will man es nun besser machen. „Wir sind auf das Schlimmste gefasst“, sagt Alon.
Schon vor Monaten hatte die Hisbollah angekündigt, einen Teil Galiläas „besetzen“ zu wollen. Israel befürchtet, dass die Terrorgruppe ihre Angriffe verstärken wird, sobald die Bodenoffensive im Gazastreifen beginnt. Auch ein Eindringen von Bodentruppen der Hisbollah ist nicht auszuschließen.
Die Armee hat deshalb die Städte Kiriat Schmona und Metula sowie 14 Dörfer an der libanesischen Grenze evakuiert. Die Bewohner wurden in Hotels im Zentralraum Israels untergebracht. Die Evakuierung ist eine Vorsichtsmaßnahme, niemand ist verpflichtet zu gehen. Manche sind geblieben, auch im Kibbuz Dan. Nicht zuletzt um ihre Sicherheit muss sich Alon nun kümmern.
Ob er keine Angst hat, in den Kämpfen verwundet zu werden, zu sterben? Alon schüttelt den Kopf. Seit Jahren hat er für diesen Einsatz trainiert, alle drei Monate jeweils für ein paar Tage. Das beste Training schützt aber nicht davor, überwältigt zu werden oder von einer Granate getroffen zu werden, das weiß auch Alon. „Aber was nun? Soll ich meine Koffer packen und zu ( dem deutschen Botschafter in Tel Aviv, Steffen ) Seibert sagen: ,Bitte bring mich nach Hause‘?“ Man könne nicht in Israel leben und sich wünschen, es sei so sicher wie in Frankfurt. „In Frankfurt muss ich keinen Schutzhelm und keine kugelsichere Weste im Auto haben, aber hier ist das normal.“
Den Deutschen wirft Alon vor, zu lange Zeit die Augen geschlossen zu haben. „Man hat ignoriert, wie die Hamas funktioniert.“ Jeder bilde sich eine Meinung, aber nur wenige versuchten zu verstehen, was in Israel passiert. „Hier arbeiten israelische Araber in den Krankenhäusern, sie sind Richter, Polizisten.“ Es gebe aber eben auch Terroristen, die Israel auslöschen wollen.
An den 7. Oktober, der heute in Israel von manchen „Schwarzer Samstag“ genannt wird, erinnert sich Alon ganz genau. „Ich war sehr früh wach, ging mit dem Hund raus“, erzählt er. „Dann kamen plötzlich ganz viele Nachrichten. Ich wusste, etwas Schlimmes ist passiert.“ Schon um 13 Uhr bekam er seinen Einberufungsbefehl in den Norden. „Es war immer klar: Wenn in Gaza etwas Großes passiert, geht auch die Hisbollah mit ins Boot.“
Ein beängstigendes Szenario: Laut israelischen Schätzungen verfügt die irantreue Miliz über ein Arsenal von rund 150 000 Raketen, darunter auch Langstreckenraketen.
Für seine Familie in Frankfurt sei es sehr schwer, dass er in Israel ist, sagt Alon. Umgekehrt macht auch er sich Sorgen um die Eltern. Mit gutem Grund: Vor einigen Tagen schleuderten Unbekannte einen großen Stein in Richtung seines Elternhauses. Aus Angst vor noch mehr Gewalt gegen seine Familie will Alon seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen.
Bis der Krieg auch in Israels Norden losgeht, herrscht dort angespannte Stille. „Seit 15 Tagen bin ich in einer Art High- Zustand“, sagt Alon. „Das Downsein, das Alleinsein ist noch nicht gekommen.“
Irgendwann wird auch dieser Krieg ein Ende haben. „Ich hoffe, dass es schnell vorbeigeht“, sagt Alon. „Und dass wir irgendwann in einer ruhigen Umgebung leben können.“