Formel 1 in Brasilien: Max Verstappen gewinnt im Regenchaos

20 Tage vor

Mehr als die Hälfte des Grand Prix von Brasilien war noch zu fahren, eine vermeintliche Ruhe war eingekehrt auf dem Autódromo José Carlos Pace von Interlagos. Während einer der vielen Unterbrechungen in diesem chaotischen Regenrennen tuckerten die Fahrer auf dem nassen Asphalt hinter dem Safety Car her, als plötzlich Franco Colapinto in die Bande knallte. Der Einschlag war heftig, viele Teile seines Williams flogen durch die Luft: Rote Flagge, Abbruch nach 32 Runden, alle mussten zur Box bis die Strecke wieder frei war.

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Foto Süddeutsche Zeitung

In diesem Moment führte Esteban Ocon vor Max Verstappen und seinem Alpine-Teamkollegen Pierre Gasly. Und auch wenn man nichts hörte und nichts sah, dürfte Verstappen zumindest gedanklich gejauchzt und gejubelt haben. Denn nach einem schwarzen Wochenende sah der Niederländer auf einmal Glanz und Gloria entgegen. Sein ärgster Konkurrent im Titelkampf, Lando Norris, benannte im Funk den entscheidenden Vorteil, den Verstappen durch den Colapinto-Crash erhielt: „Ich schätze, jetzt gibt's einen Reifenwechsel für lau.“ Kein Taktieren, kein Verlieren, Verstappen konnte in aller Ruhe frische Pneus an seinen Red Bull montieren lassen. Als das Formel-1-Rennen dann fortgesetzt wurde, belohnte er eine zähe Aufholjagd von Startplatz 17 mit seinem achten Saisonsieg. Im Ziel hatte er nach seiner Triumphfahrt satte 19,4 Sekunden Vorsprung. Zuletzt hatte er im Juni in Spanien gewonnen.

:Verstappen im Kreuzverhör

Vor dem Großen Preis von Brasilien werden die verbalen Angriffe auf den Weltmeister schärfer. Es verfestigt sich der Eindruck, dass es hier nicht mehr nur um den Formel-1-Titel geht. Sondern um einen Kampf von Gut gegen Böse.

Und dann waren Jauchzen und Jubel auch deutlich zu hören. „Was für ein unglaubliches Rennen, einfach wunderbar!“, funkte Verstappen. In der WM hatte Norris zuletzt den Abstand auf ihn verkürzen können - nun baute Verstappen ihn wieder aus. Der 27-Jährige hat 393 Punkte gesammelt, McLaren-Pilot Norris kommt nach seinem sechsten Platz von Brasilien auf 331 Zähler. Drei Rennen stehen noch aus. „Meine Emotionen heute, das war eine echte Achterbahnfahrt“, sagte Verstappen, der in São Paulo ordentlich Wut angesammelt hatte, die nun verpufft war. „Ich wusste, dass es ein hartes Rennen werden würde. Aber wir haben die richtigen Entscheidungen getroffen und sind geflogen.“ Schon beim kommenden Stopp in Las Vegas in drei Wochen könnte er sich seinen vierten Titel vorzeitig sichern. Red-Bull-Motorsportberater Helmut Marko meinte beim Sender Sky: „Max war in einer eigenen Welt unterwegs.“

Dass neben ihm auf dem Podium die beiden Alpine-Fahrer, der zweitplatzierte Esteban Ocon und Pierre Gasly, ebenfalls Trophäen überreicht bekamen, verdeutlichte, was für ein ungewöhnliches Rennen zu Ende gegangen war. Die Dramaturgie hatte viel mit dem Regen zu tun, der an diesem Wochenende vom dunklen Himmel prasselte.

Lando Norris verpatzt abermals den Start von der Pole Position

Es regnete derart viel, dass die Qualifikation von Samstag auf Sonntagmorgen verschoben werden musste. Erst fünfmal zuvor war das in der Königsklasse des Motorsports vorgekommen. Bevor die Qualifikation beendet war, gab es fünf Unterbrechungen nach heftigen Unfällen. Was zu einer so bunt durchmischten Aufstellung führte, dass sie wert ist, aufgelistet zu werden: Norris ergatterte sich zum siebten Mal in dieser Saison den besten Startplatz vor George Russell im Mercedes, gefolgt von Yuki Tsunoda vom Red-Bull-Schwesterteam Racing Bulls und Esteban Ocon. Fünfter wurde Formel-1-Neuling Liam Lawson (Racing Bulls), dahinter Ferrari-Pilot Charles Leclerc. Verstappen kam nicht über Platz zwölf hinaus, im Unfallchaos war bei einer roten Flagge in einem ungünstigen Moment kein weiterer Versuch für ihn drin. Und weil sein Motor gewechselt werden musste, gab es oben drauf eine Versetzung um fünf weitere Plätze nach hinten.

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Das passte ins Bild: Im Sprint am Samstag bekam er von den Rennkommissaren eine Strafe von fünf Sekunden und einen Strafpunkt verpasst, weil er in einer späten Virtual-Safety-Car-Phase beim Neustart zu schnell Gas gegeben hatte. Damit war er seinen dritten Platz los und konnte erstmals in dieser Saison in der Kurzfassung des Grand Prix nicht siegen, alle vier vorherigen Sprints hatte der Niederländer gewonnen. Dafür reüssierte Norris, weil ihn Teamkollege Oscar Piastri kurz vor Schluss vorbeiziehen ließ, und verkürzte den Rückstand im Titelrennen auf 44 Zähler.

Weil die Prognose später erneut schwere Niederschläge vorhersagte, war das Rennen am Sonntag um anderthalb Stunden vorgezogen worden. Beim Start machte der Regen zwar eine Pause, chaotisch ging es dennoch weiter. In der Einführungsrunde rutschte der Aston Martin von Lance Stroll weg und drehte sich in die Bande. Als Stroll zurück auf die Strecke fahren wollte, entschied er sich für Offroad statt Asphalt - und blieb im Kiesbett stecken. Es gab einen Startabbruch, um Strolls Auto zu bergen, und eine zweite Einführungsrunde, fälschlicherweise initiiert von Norris. Der Brite hatte wohl auf eine Ampel vor sich geachtet statt auf die großen Lichter über sich. Die Lichter vor ihm gingen aus, die über ihm leuchteten noch rot. Manche Fahrer blieben deshalb stehen, andere folgten seinem McLaren, der Regelverstoß hatte keine unmittelbare Folge - außer eine Verkürzung der Gesamtdistanz von 71 auf 69 Runden.

Nicht nur das Auto von Franco Colapinto (hinten) muss von der Strecke abtransporiert werden - bei diesem Grand Prix von Brasilien gab es diverse Unfälle auf dem nassen Asphalt. (Foto: Miguel Schincariol/AFP)

Etwa 20 Minuten später als geplant, begleitet von den ersten Regentropfen, ging es dann endlich wirklich los. Niemand strandete im Kiesbett, niemand schaute auf die falsche Ampel. Was Norris aber auch nicht half. Denn wie schon so oft begann ein Grand Prix mit einem Ärgernis für den 24-Jährigen: Er konnte den Vorteil der vordersten Position nicht wirklich auskosten, den Start gewann Russell. Und sein Titelrivale? Der verlor keine Zeit bei der Aufholjagd: In der zehnten Runde war Verstappen bereits Zehnter nach einer beeindruckenden Reihe von Überholmanövern, erst durch die Mitte auf der Geraden, dann auf der Außenseite der Strecke.

Nach 22 Runden - längst war der Regen heftiger geworden und die Autos zogen eine Gischtwolke hinter sich her - hatte sich Verstappen bis an Charles Leclerc herangekämpft, beinahe hätte er auch ihn schnell geschnappt, aber er wollte keinen Unfall riskieren. Vielleicht ahnte der dreimalige Weltmeister, dass sich bald die nächste Gelegenheit ergeben würde. Drei Umläufe später war es so weit: Leclerc bog ab zum Reifenwechsel, dadurch war Verstappen Fünfter. Der Regen wurde stärker, die Unfallgefahr höher. Der Deutsche Nico Hülkenberg kam in der 27. Runde mit seinem Haas von der Strecke ab, das rief das virtuelle Safety Car auf den Plan. Diese Chance nutzten Norris und Russell für frische Pneus. Doch aus dem anvisierten Zeitvorteil wurde nichts. Nun führte Ocon den Grand Prix mit acht Sekunden Vorsprung vor Verstappen und Gasly an, dahinter folgten Russell und Norris.

Eine Szene mit Symbolkraft: Norris verbremst sich - und muss in die Auslaufzone ausweichen

Auf dem Asphalt hatte sich so viel Wasser gesammelt, aus Sicherheitsgründen rückte in Runde 30 das Safety Car und versammelte die Autos in mäßigerem Tempo hinter sich. Ärgerlich für Norris, der kurz zuvor Russell überholt hatte und ja drauf und dran war, seinen WM-Vorsprung auszubauen. Doch dann verunfallte Colapinto und es kam zum Abbruch, der alles änderte.

Als es um 14.04 Uhr Ortszeit in der 33. Runde weiterging mit einem fliegenden Start, lauerte Verstappen angriffslustig hinter Ocon. Aber der Franzose gab sich nicht mit der Rolle der leichten Beute zufrieden, er entkam dem roten Bullen, während weiter hinten Norris der nächste Fehler unterlief, durch den Russell vorbeikam. Als die Reifen gerade wieder so richtig aufgewärmt waren, wurde abermals die Gelbe Flagge gewedelt. Carlos Sainz war in der 39. Runde mit seinem Ferrari gecrasht und fiel aus, wie insgesamt vier Fahrer. Der Deutsche Nico Hülkenberg musste ebenfalls vorzeitig aussteigen. Das Safety Car fuhr raus, dadurch rückte das Feld wieder zusammen. Und als diesmal die Strecke freigegeben wurde, hatte Ocon keine Chance zu entkommen. Verstappen setzte sich nach 43 harten Runden an die Spitze des Feldes und zog davon.

Auf einmal hatte sich das Kräfteverhältnis des Wochenendes umgedreht - und Norris lieferte auch noch die passende symbolische Szene dazu: Im Duell mit Leclerc verbremste er sich, musste in die Auslaufzone ausweichen und rutschte nach hinten. Lando Norris konnte sich nicht mehr befreien, während Max Verstappen an der Spitze bei einer Darbietung seiner fahrerischen Extraklasse eine schnellste Runde nach der anderen ablieferte, 17 waren es insgesamt. Die stärkeren Nerven im Titelkampf, daran erinnerte der Weltmeister eindrücklich, hat er.

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