Fed-Zinsentscheid: Vorsicht mit Leitzinssenkungen!

14 Dez 2023
Fed
Geldpolitik Vorsicht mit Leitzinssenkungen!

Die US-Notenbank Fed stellt für nächstes Jahr sinkende Leitzinsen in Aussicht. Das setzt die EZB unter Druck. Doch die Notenbanken sollten Vorsicht walten lassen. Die Inflation ist noch lange nicht tot.

Zwei Dinge fürchten Notenbanker wie der Teufel das Weihwasser: dass ihnen die Kontrolle über die Inflation entgleitet und dass sie die Finanzmärkte in Turbulenzen stürzen. Gemessen daran dürfte Jerome Powell nach dem gestrigen Entscheid der von ihm geführten US-Notenbank Fed ruhig schlafen. Denn die Notenbank lieferte, was die Märkte erwarteten und löste damit ein Kursfeuerwerk aus. So hielt die Fed den Leitzins unverändert im Bereich zwischen 5,25 und 5,5 Prozent und deutete zugleich an, ihn im nächsten Jahr zu senken. In ihren Zinsprojektionen gehen die Notenbanker im Mittel davon aus, dass der Leitzins bis Ende nächsten Jahres um 75 Basispunkte sinkt.  

Der Grund dafür sind die Erfolge bei der Bekämpfung der Inflation. Seit dem Hoch im Juni vergangenen Jahres von 9,1 Prozent hat sich die Teuerungsrate auf 3,1 Prozent im November dieses Jahres gedrittelt. Auch der Anstieg des Preisindex für die persönlichen Konsumausgaben, auf den die Fed besonders schaut, hat nachgegeben. Die Rate sank im Oktober auf 3,0 Prozent. Rechnet man Nahrungsmittel und Energie heraus, waren es 3,5 Prozent. Für November rechnet die Fed mit einem weiteren Rückgang auf 2,6 beziehungsweise 3,1 Prozent. Damit nehmen die Teuerungsraten Kurs auf den Zielwert der Fed von 2,0 Prozent. 

Auch die Wirtschaft kühlt sich ab. Nach dem kräftigen Plus im dritten Quartal von annualisiert 5,2 Prozent zeichne sich für das vierte Quartal eine deutlich langsamere Gangart beim Wachstum ab, sagte Powell. Dies trage dazu bei, dass sich auf dem Arbeitsmarkt das Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage langsam, aber stetig abbaue. Für das nächste Jahr erwarten die Washingtoner Notenbanker nur noch ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent nach 2,6 Prozent in diesem Jahr. Die Arbeitslosenquote werde von 3,8 auf 4,1 Prozent leicht steigen. 

Den Anstieg des Preisindex der Konsumausgaben sehen die Notenbanker Ende nächsten Jahres bei 2,4 Prozent. Den Zielwert von 2,0 werde die Teuerungsrate allerdings erst Ende 2026 erreichen. Dass die Notenbanker dennoch sinkende Leitzinsen für nächstes Jahr in Aussicht stellen, erklärte Powell damit, dass es falsch sei, so lange mit Zinssenkungen zu warten, bis die Inflation ihren Zielwert erreicht hat. Weil geldpolitische Maßnahmen mit erheblicher Verzögerung auf die Realwirtschaft und die Preise wirken, müsse die Notenbank rechtzeitig handeln. Sonst bestehe die Gefahr, die Wirtschaft abzuwürgen und das Inflationsziel zu unterschreiten. 

Wann sinken die Leitzinsen? 

Die spannende Frage ist nun, wann die Fed mit dem Abstieg vom Zinsgipfel beginnt. Auf die Frage in der Pressekonferenz, welchen Einfluss die im nächsten Jahr stattfindende US-Präsidentschaftswahl auf die Entscheidungen der Notenbank habe, antwortete Powell pflichtgemäß, es gebe keinen Einfluss. Die Fed orientiere sich allein an ihrem Mandat der Preisstabilität und den dafür maßgeblichen ökonomischen Indikatoren. 

Schneller schlau: Inflation

Was ist Inflation?

Wenn die Preise für Dienstleistungen und Waren allgemein steigen – und nicht nur einzelne Produktpreise – so bezeichnet man dies als Inflation. Es bedeutet, dass Verbraucher sich heute für zehn Euro nur noch weniger kaufen können als gestern noch. Kurz gesagt: Der Wert des Geldes sinkt mit der Zeit.

Was ist die Inflationsrate?

Die Inflationsrate, auch Teuerungsrate genannt, gibt Auskunft darüber, wie hoch oder niedrig die Inflation derzeit ist.

Um die Inflationsrate zu bestimmen, werden sämtliche Waren und Dienstleistungen herangezogen, die von privaten Haushalten konsumiert bzw. genutzt werden. Die Europäische Zentralbank (EZB) beschreibt das wie folgt: „Zur Berechnung der Inflation wird ein fiktiver Warenkorb zusammengestellt. Dieser Warenkorb enthält alle Waren und Dienstleistungen, die private Haushalte während eines Jahres konsumieren bzw. in Anspruch nehmen. Jedes Produkt in diesem Warenkorb hat einen Preis. Dieser kann sich mit der Zeit ändern. Die jährliche Inflationsrate ist der Preis des gesamten Warenkorbs in einem bestimmten Monat im Vergleich zum Preis des Warenkorbs im selben Monat des Vorjahrs.“

Wie viel Inflation ist gut/schlecht?

Eine Inflationsrate von unter zwei Prozent gilt vielen Experten als „schlecht“, da sie ein Zeichen für schwaches Wirtschaftswachstum sein kann. Auch für Sparer sind diese niedrigen Zinsen ein Problem. Die EZB strebt mittelfristig eine Inflation von zwei Prozent an.

Warum dämpft die Inflation die Konjunktur?

Deutlich gestiegene Preise belasten Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie können sich für ihr Geld weniger leisten. Der Privatkonsum ist jedoch eine wichtige Stütze der Konjunktur. Sinken die Konsumausgaben, schwächelt auch die Konjunkturentwicklung.

Tatsächlich aber agiert die Fed nicht im politikfreien Raum, was auch daran liegt, dass die Mitglieder des Direktoriums von der Politik berufen werden. Nach Lage der Dinge zeichnet sich bei der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr ein Rennen zwischen Amtsinhaber Joe Biden und seinem Vorgänger Donald Trump ab. Das engt den Handlungsspielraum der Fed spätestens ab dem Sommer ein. Zinssenkungen mitten im Wahlkampf dürften von den Republikanern als Wahlkampfhilfe für Biden interpretiert werden. Sollte Donald Trump erneut ins Weiße Haus einziehen, könnte er sich dafür rächen, indem er die Fed einer stärkeren Kontrolle durch den US-Kongress unterwirft und damit ihre Unabhängigkeit in Frage stellt. 

Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Fed nicht allzu lange Zeit lässt mit Zinssenkungen. Genau hierin aber liegt die Gefahr. Lockert die Fed bei weiter gut laufender Konjunktur die Leitzinsen, gibt sie der Inflation neue Nahrung. So steigen die Stundenlöhne mit vier Prozent noch immer stärker als es mit dem Inflationsziel der Fed vereinbar ist. Zudem ist die Geldversorgung der US-Wirtschaft nach wie vor zu üppig. Zwar hat sich die Geldmenge M2 (Bargeld, Sichteinlagen, Termineinlagen und Geldmarktfonds) seit ihrem Höhepunkt im Sommer vergangenen Jahres etwas zurückgebildet. Doch liegt sie noch immer deutlich über ihrem Trend. Das deutet auf ein weiterhin bestehendes Inflationspotenzial hin. Mit allzu schnellen und kräftigen Zinssenkungen könnte sich die Fed beim Kampf gegen die Inflation daher ins eigene Bein schießen. 

Das weiß auch Powell. Daher bemühte er sich, die Zinssenkungserwartungen der Märkte nicht ins Kraut schießen zu lassen. So wies er in der Pressekonferenz mehrfach darauf hin, die Fed könne den Leitzins durchaus erhöhen, falls dies aus konjunkturellen und stabilitätspolitischen Gründen nötig sei. Allerdings würde ein solcher Kurswechsel an den Finanzmärkten wohl für heftige Turbulenzen sorgen. Die in Aussicht gestellten Zinssenkungen sind daher eine Wette der Fed auf eine schwächelnde Konjunktur und weiter sinkende Teuerungsraten. 

Was macht die EZB? 

Spannend ist nun, wie die Europäische Zentralbank (EZB), die heute in Frankfurt über den weiteren Kurs der Geldpolitik berät, agiert. Wird Christine Lagarde, die Chefin der EZB, die Märkte rhetorisch ebenfalls auf sinkende Leitzinsen im nächsten Jahr einstimmen? Auch in der Eurozone spekulieren die Finanzakteure auf baldige Zinssenkungen. Denn Wachstum und Inflation befinden sich auch hierzulande in einem Abwärtstrend.   

So haben die höheren Leitzinsen – die EZB hat sie seit Juli vergangenen Jahres um insgesamt 450 Basispunkte angehoben – die Teuerungsrate in der Währungsunion von ihrem Höchststand von 10,6 Prozent im Oktober vergangenen Jahres auf zuletzt 2,4 Prozent gedrückt. Damit ist die EZB ihrem Zielwert von 2,0 Prozent sogar etwas näher als die Fed. 

Zudem läuft die Konjunktur in Europa schlechter als in Amerika. Im dritten Quartal ging die Wirtschaftsleistung um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal zurück. Besserung ist ausweislich der im Rezessionsbereich verharrenden Frühindikatoren wie den Einkaufsmanagerindizes nicht in Sicht. Einflussreiche Mitglieder des EZB-Rats haben daher jüngst in Reden und Interviews über sinkende Leitzinsen im nächsten Jahr räsoniert.  

Risiko Zweitrundeneffekte

Doch die Notenbanker sollten Vorsicht bei ihren Zinsentscheidungen walten lassen. Denn die Inflation ist noch lange nicht besiegt. Ebenso wie in den USA ist auch in der Eurozone noch immer zu viel Geld im Umlauf, auch wenn die Geldmengen M1 (Bargeld und Sichteinlagen) und M3 (M1 plus Termin- und Spareinlagen, Geldmarktfonds und kurzlaufende Schuldverschreibungen) seit einigen Monaten schrumpfen. 

Die monetäre Überversorgung könnte sich rasch in steigenden Inflationsraten entladen, wenn die Gewerkschaften in den anstehenden Lohnrunden ihre hohen Forderungen durchsetzen. Im dritten Quartal stiegen die Tariflöhne in der Währungsunion im Schnitt um 4,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Angesichts der schrumpfenden Produktivität sind die Lohnstückkosten nach Berechnungen der Ökonomen der IESEG School of Management an der Universität von Lille im dritten Quartal um 6,8 Prozent in die Höhe geschnellt. Die sich für das vierte Quartal abzeichnenden Tariflohnsteigerungen in der Eurozone um sechs Prozent dürften den Anstieg weiter beschleunigen. 

Die EZB ist daher gut beraten, abzuwarten, wie sich die Lohnrunde entwickelt und zu schauen, ob es den Unternehmen gegebenenfalls gelingt, steigende Lohnkosten in den Preisen an die Kunden weiterzureichen. Schaukeln sich Löhne und Preise gegenseitig hoch, ist die Preisstabilität nur um den Preis einer scharfen Rezession wiederherzustellen. 

Zeitenwende in der Weltwirtschaft

Die größte Gefahr für die Notenbanker auf beiden Seiten des Atlantiks lauert jedoch in der Kurzfristigkeit ihrer Perspektive auf die Wirtschaft, die sich aus dem zeitlich beschränkten Prognosehorizont ihrer Modelle ergibt. In der Weltwirtschaft vollzieht sich eine Zeitenwende. Die hohen Inflationsraten der vergangenen Jahre haben die Preiserwartungen der Bürger und Unternehmen verändert. Ohne einen schnellen und nachhaltigen Rückgang der Inflation auf den Zielwert von zwei Prozent, dürften Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Vermieter und Kapitalgeber höhere Geldentwertungsraten als in der Vergangenheit in ihre Lohn- und Preisforderungen einkalkulieren. Der Inflationsprozess droht sich dadurch zu verselbstständigen.  

Für einen anhaltenden Aufwärtsdruck auf die Preise sprechen auch die demografisch bedingte Verknappung von Arbeitskräften und die anhaltenden Tendenzen zur Deglobalisierung, die sich in Marktabschottungen und Zöllen äußern. Das anhaltende Bestreben der Regierungen, die Wirtschaft zu dekarbonisieren, dürfte darüber hinaus fossile Brennstoffe und die mit ihnen hergestellten Güter verteuern. 

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