Sachsen und Thüringen: Warum die FDP jetzt nicht die Nerven ...

26 Tage vor
FDP
Nach den Landtagswahlen Warum die FDP jetzt nicht die Nerven verlieren wird

Die FDP gehört in Sachsen und Thüringen nun zu den „sonstigen Parteien“. Was das für die Ampel bedeutet? Vermutlich gar nichts. Die Zukunft der Liberalen entscheidet sich anderswo. Eine Analyse.

Eines muss man Wolfgang Kubicki ja lassen: Er war wieder einmal schnell, sehr schnell sogar. Die ersten Prognosen zu Sachsen und Thüringen waren gerade eine Viertelstunde alt, da hatte der FDP-Vize seine Sicht auf die Wahlergebnisse schon rausgehauen. „Die Ampel hat ihre Legitimation verloren“, schrieb er bei X, früher Twitter.

Zuvor hatte Kubicki seine Gemütslage wortgleich der „Bild“ anvertraut. „Die Menschen haben den Eindruck, diese Koalition schadet dem Land“, sagte er. Und schob hinterher: „Sie schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei.“

Da war sie wieder, diese Neigung der Liberalen, immer mal wieder mit dem Ampel-Aus zu kokettieren.

Die Menschen haben den Eindruck, diese Koalition schadet dem Land. Und sie schadet definitiv der Freien Demokratischen Partei. 2/2 WK

— Wolfgang Kubicki (@KubickiWo) September 1, 2024

Man kann das ja verstehen. 0,9 Prozent in Sachsen, 1,1 Prozent in Thüringen – die einst stolze Funktionspartei der Bonner Republik firmiert in diesen sogenannten neuen Ländern jetzt unter „Sonstige“ – in etwa gleichauf mit der Tierschutzpartei. „Im bürgerlichen Spektrum hat die FDP keine parlamentarische Bedeutung mehr“, sagt der Parteienforscher Benjamin Höhne. Das ist die Realität, mit der die FDP-Spitze umgehen muss.

Da liegt es nahe, laut über Optionen nachzudenken, Konsequenzen einzufordern, ins Handeln kommen zu wollen, und sei es nur um des Handelns Willen, damit Höhnes Befund nicht bald auf den Rest der Republik ausgeweitet werden muss. Kubicki war so frei, er interpretiert seine Rolle seit jeher freier als andere Freidemokraten. Und es stimmt ja: Die FDP tut sich schwer in der Ampel – und ihre Wähler noch viel schwerer mit ihr.

Irgendwann kommt vielleicht der Augenblick, an dem sich der Ausstieg aus der Koalition besser begründen lässt als das Weiter-so.

Nur fällt die Analyse, ob es nun so weit ist, am Montagmorgen nach den Landtagswahlen nicht anders aus als am Samstagabend davor. Die FDP mag in den vergangenen Monaten dann und wann vor der Frage gestanden haben: Gehen oder bleiben? Meist gab es dafür gute Gründe. Die Bedeutungslosigkeit der Partei in Ostdeutschland gehört nicht dazu.

Das heißt nicht, dass Kubicki der einzige bleibt, der jetzt nölt. Auch Ex-Euro-Rebell Frank Schäffler hat sich schon geäußert: „Flasche leer! #Ampel“. Wenn nun die Gremien der Partei tagen, wird wohl niemand gleich zur Tagesordnung übergehen. Aber der Wahlsonntag wird keine neue Erkenntnis bringen, keinen Einfluss haben auf die Strategie – sofern man das, was die Liberalen leitet, so nennen möchte.

Nein, FDP-Chef Christian Lindner hat andere Sorgen.

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Die Niederlagen in Sachsen und Thüringen waren eingepreist. Nicht in dieser Härte zwar, aber dennoch. In Sachsen saß die FDP ohnehin nicht mehr im Parlament. Zudem gilt der Landesverband als geschwächt, seit ein Ex-Vorsitzender, der die Partei 20 Jahre geprägt hatte, austrat, um eine eigene zu gründen. In Thüringen wiederum führt Thomas Kemmerich die FDP, jener Kurzzeit-Ministerpräsident, der sich mit den Stimmen der AfD hatte wählen lassen, und mit dem die Parteiführung in Berlin daraufhin wenig bis gar nichts mehr zu tun haben wollte.

Im Umgang mit beiden Fällen gibt es eine erprobte politische Praxis, die die Liberalen keinesfalls exklusiv anwenden: Für Risiken und Nebenwirkungen von Solitären und zerstrittenen Landesverbänden übernehmen Parteizentralen in Berlin keine Verantwortung.

Hinzu kommt, was die Nachwahlbefragung in beiden Bundesländern gezeigt hat. Demnach wählte etwa jeder zweite die CDU nicht aus christdemokratischer Überzeugung, sondern um die AfD zu schwächen. Da wird auch der ein oder die andere Liberale dabei gewesen sein.

Wichtiger als die Wahlen: die Wirtschaftswende

Selten also war es so leicht für FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, zwei Wahldebakel mit dem Verweis auf lokale Besonderheiten abzumoderieren. Was er nicht tat. Djir-Sarai sprach von einem „vorübergehenden Rückschlag und Ansporn zugleich“. Schließlich reagierte er nicht nur auf die eigene Niederlage. Der Gesamteindruck, als Ampel abgestraft worden zu sein, prägt jetzt den Übergang von der Sommerpause ins letzte Regierungsjahr.

Womit wir uns Ort und Zeit nähern, an dem die Frage des Gehens oder Bleibens für die FDP wirklich relevant war – und vielleicht noch einmal wird. Im Haushalsstreit mit SPD und Grünen ist Lindner hart geblieben, durchaus verbunden mit dem Risiko, dass die Koalition bricht. Zuletzt hat er dem Kanzler den Bretagne-Urlaub vermiest, als er den zuvor gefundenen Kompromiss auf Basis neuer Gutachten öffentlich infrage stellte, um vor den Augen der Union und der wirtschaftsliberalen Presse bloß nicht erneut als Budget-Bastler dazustehen.

Die Botschaft ist stets dieselbe: Die Schuldenbremse wird eingehalten, die Steuern werden nicht erhöht. Die FDP hält, was sie versprochen hat. Mit ihr in der Ampel steht das Land besser da als ohne sie.

Lindner hat auch darauf bestanden, parallel zum Haushalt ein Wachstumspaket zu verabschieden. Ob die 49 Maßnahmen den gewünschten Effekt auslösen, wird sich zeigen. Lindner jedenfalls feierte sie als „Einstieg in eine nötige Wirtschaftswende“.

Nur ein Einstieg, aber immerhin.

Der Kampf um die Listenplätze

Hätte Lindner irgendwann in den vergangenen Wochen das Gefühl gehabt, nicht genug durchgesetzt zu haben, er hätte aussteigen können. Er hätte es begründen können: Mit dieser Ampel kann ich weder eine solide Haushalts- noch eine vernünftige Wirtschaftspolitik gestalten. Und er hätte auf ein Momentum hoffen können, auf die Dankbarkeit der Wähler, dass die Liberalen das Land von der Ampel erlösen?

Er hätte. Hat er aber nicht. Daran wird auch ein besorgter Kubicki nicht viel ändern.

Auch in einer Partei, in der die Freiheit des Individuums über allem steht, gibt es Zusammenhalt, Loyalität, vielleicht sogar Solidarität. Diese Dinge enden jedoch spätestens dann, wenn jeder Bundestagsabgeordnete um die eigene politische Zukunft kämpft. Demnächst beginnt das Ringen um die besten Listenplätze. Und der ist vor allem dort entscheidend, wo die FDP traditionell am stärksten ist: in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg.

In diesen Bundesländern gibt es Kreisverbände, die größer sind als Landesverbände im Osten. Auch dort ist der Ampel-Frust groß. Aber die FDP-Spitze setzt darauf, dass sie ihr finanzpolitisches Stehvermögen im Wahlkampf mit dem Prädikat „besonders glaubwürdig“ vermarkten kann. Dass in den kommenden Monaten bei dem ein oder anderen Streitthema noch ein bisschen FDP pur gelingt. Und dass irgendwann erste Impulse des Wachstumspakets spürbar sind. Von diesem Kurs werden Lindner und Co. nicht abweichen. Nicht wegen zwei Niederlagen, mit denen zu rechnen war.

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