FDP-Projekt „D-Day“: Hat Stark-Watzinger die Verhandlungen um ...
BERLIN. Wer ist schuld am Aus der Ampel-Koalition? SPD und FDP machen sich gegenseitig schwere Vorwürfe. Nun sorgen Medienberichte für Aufregung, wonach die Liberalen den Koalitionsbruch längst akribisch geplant hatten. Die Veröffentlichungen lassen auch die Verhandlungen um den Digitalpakt 2.0 als Farce erscheinen.
Verhandlungen als Farce? Bettina Stark-Watzinger, bis vorvergangene Woche Bildungsministerin auf FDP-Ticket. Foto: Shutterstock / Jürgen NowakSPD-Politiker haben empört auf Medienberichte reagiert, wonach die FDP sich seit Ende September auf ein Ende der Ampel-Koalition vorbereitet haben soll. „Verantwortung als Fremdwort, Bösartigkeit als Methode: Ich bin tief erschüttert über dieses Verhalten der FDP“, schreibt Arbeitsminister Hubertus Heil auf der Plattform X. Gesundheitsminister Karl Lauterbach nennt den von der „Zeit“ und der „Süddeutschen Zeitung“ geschilderten Vorgang eine „unfassbare Enttäuschung“. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt quittiert die „bemerkenswerten“ Berichte mit einem knappen „aha“.
Laut Recherchen der „Zeit“ soll sich die FDP akribisch auf ein Ende der Ampel-Koalition vorbereitet und als Projekt „D-Day“ tituliert haben – in Anlehnung an die Landung der Alliierten in der Normandie, die das Ende von Nazi-Deutschland einleitete. Teilgenommen an den vorbereitenden Treffen hätten unter anderen die damaligen FDP-Minister. Die „Zeit“ beruft sich auf Schilderungen mehrerer Personen, die mit den Vorgängen vertraut seien. Zudem habe die Redaktion Dokumente eingesehen, die in diesen Wochen entstanden seien.
„Das Stimmungsbild wird von Teilnehmern wie folgt erinnert: Bettina Stark-Watzinger spricht sich für den provozierten Bruch aus”„Am Sonntag, dem 29. September 2024, wird im Haus Erlenkamp wieder einmal Geschichte geschrieben. Diesmal zwar keine Weltgeschichte, aber zumindest ein Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik. Um 10.40 Uhr trifft sich eine vertraute Runde im Kaminzimmer, dem Hauptraum der Villa“, so schreibt die „Zeit“. „Bijan Djir-Sarai ist dabei, Generalsekretär der FDP, Johannes Vogel, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, der Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Die Minister der FDP in der Bundesregierung: Bettina Stark-Watzinger, Volker Wissing, Marco Buschmann und Christian Lindner. Dazu ein kleiner Kreis von Mitarbeitern und Vertrauten. F-Kabinett wird die Runde in der FDP genannt. Insgesamt sind es zwölf Personen. Im Nebenraum ist ein Imbiss vorbereitet. Aber erst einmal wird nun geredet.“
Bei diesem Treffen seien mehrere Szenarien zur Ampel-Koalition durchgespielt worden. „Das Stimmungsbild wird von Teilnehmern wie folgt erinnert: Bettina Stark-Watzinger spricht sich für den provozierten Bruch aus. (…) Lindner hört sich die Argumente an. Widerspricht, wenn er etwas anders sieht. Manche Teilnehmer der Runde betonen, es habe in dieser Sitzung keinen Automatismus für ein Regierungsende gegeben. Andere nehmen es so wahr, dass die Debatte nun nur noch um den Bruch kreist. Die Frage ist bloß: Wie stellt man es am besten an?“
Und weiter: „Am 6. Oktober, um 16 Uhr, trifft die Runde in der Villa Erlenkamp erneut zusammen. Eigentlich sollen die Mitarbeiter die vorbereiteten Papiere vorstellen, aber Christian Lindner ist offenbar schon einen Schritt weiter. Er hat eine neue Powerpoint-Präsentation mitgebracht, in der das Vorgehen beim Ausstieg aus der Regierung präzisiert wird.“
Stimmt der Sachverhalt – dass also die FDP-Spitze den Koalitionsbruch praktisch bereits Ende September entschieden hat –, dann erscheint insbesondere auch das Agieren der damaligen Bundesbildungsministerin und FDP-Vizevorsitzenden Stark-Watzinger in neuem Licht: Hat sie eine Einigung zwischen Bund und Ländern bei der Neuauflage des Digitalpakt zumindest in den vergangenen Monaten bewusst sabotiert, um der Ampel und den Kultusministerien der Länder (kein einziges davon wird von der FDP geführt) zu schaden? Der Eindruck drängt sich auf.
Denn für den 10. Oktober (unmittelbar nach dem FDP-Treffen) meldet sich die Bundesbildungsministerin bei der KMK als Gast an – angeblich, um die stockenden Verhandlungen voranzubringen. Sie begrüße sehr, dass Stark-Watzinger bei der Konferenz teilnehmen werde, sagte die KMK-Präsidentin, Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) im Vorfeld. «Das ist gutes Signal.» Eile sei geboten. Denn in den einzelnen Bundesländern liefen die Haushaltsverhandlungen. Auch im Bundeshaushalt 2025 muss der Digitalpakt 2.0 mit einem Ausgabenposten hinterlegt werden. Der erste Digitalpakt ist ja längst ausgelaufen – die Ausstattung verrottet seitdem.
Die Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die Schulträger bräuchten Planungssicherheit. „Deswegen ist eine Einigung sehr dringend notwendig“, betont die KMK-Präsidentin. Die Digitalisierung schreite „mit großen und dynamischen Schritten voran“, sagt Streichert-Clivot mit Blick insbesondere auf die Entwicklungen bei der Künstlichen Intelligenz. Nur in den Schulen herrscht seit geraumer Zeit Stillstand.
Doch Stark-Watzinger hat es augenscheinlich überhaupt nicht eilig. Im Gegenteil. Am 21. Oktober postet sie auf „X“: „Die Länder müssen sich jetzt endlich ehrlich machen, damit der #Digitalpakt 2.0 im Januar 2025 an den Start gehen kann. Die Zeit drängt.“
Am 22. Oktober sekundiert die Pressestelle der FDP mit einem Artikel auf der Homepage, der eine platte Falschbehauptung enthält: „Die Länder fordern jedoch eine Kostenverteilung von 90 zu 10, basierend auf den Erfahrungen mit dem Digitalpakt 1.0. Damals hatte der Bund über fünf Jahre hinweg 6,5 Milliarden Euro beigesteuert, während die Länder lediglich 500 Millionen Euro aufbrachten. Dieses Modell ist aber verfassungsrechtlich nicht möglich.“ Das ist schlicht falsch.
Noch am 2. November gibt Stark-Watzinger der ARD ein „Interview der Woche“, in dem sie – so der Wortlaut der Berichterstattung – „den Druck auf die Bundesländer erhöht“. „Wir vom Bund sind klar aufgestellt“, behauptet die FDP-Politikerin. 2,5 Milliarden Euro (50 Prozent der Kosten) würden als Angebot auf dem Tisch liegen. Jetzt komme es darauf an, „dass die Länder eben auch sagen, welchen Beitrag sie leisten wollen”. Eine absurde Forderung: Seit zwei Jahren ist klar, dass die Bundesländer – wie im Koalitionsvertrag versprochen – eine Fortführung des alten Digitalpakts wollen. Bei dem hatte der Bund 90 Prozent der Kosten getragen.
Was Stark-Watzinger verschweigt: Sie drängt die Kultusministerinnen und Kultusminister darauf, sich zu verpflichten, dass jede Lehrkraft 30 Wochenstunden Fortbildung zur Digitalisierung zu absolvieren hat – hochgerechnet ein Pendant zu geschätzt 20.000 Lehrerstellen plus 250 Millionen Euro Kosten für die Fortbildungen selbst. Kaum erfüllbar in Zeiten des Lehrkräftemangels. Wo sollen die zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrer denn herkommen? Trotzdem pocht Stark-Watzinger seit Beginn der Verhandlungen darauf.
„Die Schülerinnen & Schüler verdienen eine verlässliche Perspektive für eine digitale Bildung, die ihnen alle Möglichkeiten eröffnet“Im Interview macht Stark-Watzinger dann sogar noch ein neues Fass auf. O-Ton ARD: „Die Bildungsministerin fordert im Zuge des Digitalpakts 2.0 mehr Verantwortung für den Bund bei digitaler Bildung. Sie spricht sich für eine ‚klare Aufgabenteilung‘ aus, um die Umsetzung zu beschleunigen und Zuständigkeiten zu schaffen – auch über das Thema Digitalisierung hinaus: mit einheitlichen, verbindlichen Standards bei Bildungsabschlüssen. Das sei ‚ein großer Wunsch der Familien in unserem Land‘, damit es eine Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern gebe: ‚Wir wollen ja mobil sein mit unseren Bildungsabschlüssen.‘ Wäre der Bund für diese übergeordneten Themen bei der Bildung zuständig, so hätten die Menschen auch einen Ansprechpartner, der in der Verantwortung stehe, so Stark-Watzinger.“
Mehr Zentralismus in der Bildungspolitik – mit der Forderung war die FDP in den Bundestagswahlkampf 2021 gezogen. Seitdem hatte diese Grundsatzfrage keine Rolle mehr gespielt. Nun ist offenbar für die Liberalen wieder Wahlkampf.
Am 12. November – fünf Tage nach dem Ende der Ampel-Koalition und ihrem Abtritt aus dem Amt – postet Stark-Watzinger mit Blick auf die gerade erschienene ICIL-Studie (die die digitalen Kompetenzen von Achtklässlern in Deutschland untersucht und 40 Prozent von ihnen attestiert, nur „wischen und klicken“ zu können, News4teachers berichtete): „Die Zahlen zeigen: Der Digitalpakt 2.0 muss zum 1. Januar an den Start gehen. Und es muss um mehr als Endgeräte gehen. Die Schülerinnen & Schüler verdienen eine verlässliche Perspektive für eine digitale Bildung, die ihnen alle Möglichkeiten eröffnet.“ News4teachers
Nach Rauswurf der FDP: Geht jetzt alles ganz schnell beim Digitalpakt?