Evonik baut sich um und streicht Stellen
Bei Evonik läuft bereits ein Sparprogramm, in dem 2000 Stellen abgebaut werden sollen. Das Unternehmen stellt aber noch weitere Geschäftsbereiche zum Verkauf oder lotet zumindest aus, sie abzutrennen oder in Gemeinschaftsunternehmen abzugeben. Dann könnte insgesamt 7000 der heute 32.000 Stellen wegfallen. So sucht Evonik nach einem Partner für sein Infrastrukturgeschäft in den Chemieparks Marl und Wesseling – was rund 3600 Mitarbeiter betrifft. Dabei geht es etwa um die Betreuung der Anlagen, ähnlich also wie es die Chemiekonzerne Bayer und Lanxess mit ihrem Chemieparkbeitreiber Currenta gemacht haben, der an einen Finanzinvestor verkauft wurde.
„Hier wird nichts verramscht“
Schon länger von Evonik geplant ist zudem der Verkauf der sogenannten C4-Chemie, darunter fallen etwa Treibmittel in Haarspray, Weichmacher für PVC oder Rohstoffe für die Reifenindustrie. Das zieht sich zwar schon einige Jahre hin, würde in Summe allerdings auch gut 1000 Beschäftigte betreffen. In einem anderen, kleineren Bereich in Witten würde es noch einmal um 400 Stellen gehen. „Ich bin hier nicht unter Zeitdruck, hier wird nichts verramscht“, sagte der Vorstandsvorsitzende Christian Kullmann im Gespräch mit Journalisten.
Der Fokus liege zunächst auf dem generellen Umbau. „Dadurch werden wir einfacher, schlanker und schneller“, sagte Kullmann. Der Aufsichtsrat unter dem Vorsitzenden Bernd Tönjes unterstütze den strategischen Kurs, hieß es von Evonik. Bislang berichtet Evonik seine Konzernergebnisse in vier Sparten. Nun gibt sich der Konzern zum 1. April 2025 zwei neue Sparten namens Custom Solutions und Advanced Technologies, in denen die vier bisherigen Segmente dann aufgehen. Die neuen Konzernbereiche kommen dann jeweils auf einen Jahresumsatz von rund 6 Milliarden Euro. Für den Vorstand geht es dabei auch um Begrifflichkeiten für die Zukunft. „Der Begriff Spezialchemie ist ausgewaschen. Jede Frittenbude nennt sich heute ‚speciality’“, sagte Kullmann. Mit diesem Kriterium alleine, das meist für margenstarke Produkte in kleinen Mengen steht, könne man sich am Kapitalmarkt nicht mehr ausreichend abheben. „Das entscheidende Substantiv ist Differenzierung“, sagte Kullmann.
Evonik will keine „Frittenbude“ sein
So werden im Segment Custom Solutions die „innovationsgetriebenen Geschäftsmodelle“ gebündelt, also Produkte, die in Nischenmärkten verkauft werden und meist maßgeschneidert sind. Dort kann Evonik hohe Preise verlangen und erzielt gute Margen. Rund 7000 Mitarbeiter gehören zu dem Segment, wo etwa Additive für Lacke oder Beschichtungen und Produkte für die Kosmetik- und Pharmaindustrie zählen. Das ist auch der Bereich, der vor allem zum Gewinnwachstum beitragen soll und in dem sich Evonik am ehesten nach Zukäufen umschaut.
Der dafür notwendige Cashflow zur Finanzierung solcher Produkte soll vor allem in der anderen Sparte erzielt werden, in Advanced Technologies geht es vor allem um die Geschäfte mit führenden Kostenpositionen, die schon heute eher effizienzgetrieben sind, wie etwa die Hochleistungskunststoffe oder das Geschäft mit Wasserstoffperoxid. Rund 8000 Mitarbeiter sollen künftig zu dem Segment zählen. Gemessen werden beide Geschäfte anhand ihrer Kapitalrendite.
Kapazität hier abzubauen, seine „keine schlaue Idee“
Auch wenn Kullmann selbst das nicht so sagen würde, hat der Vorstandschef dem Unternehmen den größten Umbau der Konzerngeschichte verordnet. „Wir handeln hier im Unternehmen auf jeden Fall nicht nach dem Motto: ‚Einfach weiter machen wie bisher’ – und müssten dann, wenn’s nicht mehr läuft, nach dem Staat rufen“, sagte Kullmann. Das Unternehmen wolle zukünftig jeweils gut ein Drittel der Umsätze in den Regionen USA, Asien und Europa erzielen. In den Vereinigten Staaten ist das schon geschafft. „Wir beobachten ein Ende des Multilateralismus und den Aufbau des Protektionismus. Wir sind da aber gut aufgestellt“, sagte Kullmann. Mit den Produktionsstätten sei Evonik in jeder Region schon hinter möglichen Zollschranken und protektionistischen Vorhängen tätig. Asien macht bislang gut 20 Prozent aus, wovon alleine China die Hälfte beisteuert. In Europa, davon geht Kullmann aus, dürfte die Wertschöpfung in den nächsten Jahren über alle Industrien hinweg um 20 Prozent sinken. Weniger Investitionen im Heimatmarkt stehen aber nicht zur Debatte: „Es wäre keine kluge Strategie, hier Kapazität abzubauen. Aber dadurch, dass Europa und Deutschland im Vergleich weniger wachsen, wird sich das angleichen“, sagte Kullmann.
Dabei gehe es auch darum, die Produkte in den Regionen auszubalancieren, je nachdem, was vor Ort gefragt ist. In Europa seien das etwa mehr Produkte mit Nachhaltigkeitsnutzen, was zumindest derzeit anderswo vielleicht weniger im Fokus steht. Kullmann geht es auch darum, sich nicht zu sehr abhängig zu machen. „Wer in China auf Technologie setzt, die alle können, wird brutal untergehen“, sagte Kullmann. „Wer auf Technologie setzt, die ein kleines bisschen besser ist, kann gute Geschäfte machen. Aber meine Kronjuwelen bleiben hier.“
Auch der Vorstand wird umgebaut
Grundlage des Konzernumbaus ist das schon angekündigte Sparprogramm „Evonik Tailor Made“, das bis Ende 2026 läuft und mit dem Evonik dann rund 400 Millionen Euro an Kosten im Jahr sparen will. Dabei wird vor allem die Zahl der Führungskräfte reduziert, aus zehn Führungsebenen sollen sechs werden. Von den 2000 Stellen, die wegfallen, betreffen 500 Führungskräfte. Hinzu kommen etwa 1000 Mitarbeiter in Führungsverantwortung, denen sie entzogen wird und die als Experten für ihre Bereiche im Unternehmen beschäftigt werden sollen. Denen wird nicht pauschal das Gehalt gekürzt, aber auch davon erhofft sich Evonik langfristig weniger Ausgaben.
Der Umbau macht auch vor dem Vorstand nicht halt. Evonik streicht die Ebene seines erweiterten Vorstands, in dem zuvor die Verantwortung für die unterschiedlichen Geschäftsbereiche gebündelt waren. Erklärt hat Kullmann das den Mitarbeiter gerade in einem Video. „Das hat auch ein kulturelles Signal in den Konzern hinein. Wir müssen an die Strukturen im gesamten Konzern ran“, sagte Kullmann.
Mehr Frauen, weniger Stellen
Dadurch wird der Evonik-Vorstand weiblicher. Im Vorstand das Segment Custom Solutions verantworten soll künftig die Amerikanerin Lauren Kjeldsen. Die 51 Jahre alte Chemikerin leitete im erweiterten Konzernvorstand auch eine Division, sie steigt zum 1. April ebenso auf wie die Französin Claudine Mollenkopf, 58, die sich um das Segment Advanced Technologies kümmern soll. Die Managerinnen seien erfahrene Führungskräfte, sagte der Aufsichtsratsvorsitzende Bernd Tönjes. „Die Entscheidung für ihre Berufung fiel einstimmig.“
Aus dem Vorstand ausscheiden wird hingegen der bislang stellvertretende Vorsitzende Harald Schwager, der 64-Jährige geht in den Ruhestand. Kullmann dankte seinem Vorstandskollegen, mit dem er acht Jahre lang vertrauensvoll zusammengearbeitet habe. „Harald ist ein herausragender Manager und ein wunderbarer Mensch.“ Neben Kullmann, der Finanzchefin Maike Schuh und dem Personalvorstand Thomas Wessel wird der Evonik-Vorstand durch die Berufung der zwei Chemikerinnen Mollenkopf und Kjeldsen zwar um einen Kopf erweitert. In Summe sind es aber weniger Top-Manager, weil aus der zweiten Ebene mit Johann-Caspar Gammelin und Joachim Dahm auch die Leiter der zwei anderen früheren Divisionen in Ruhestand gehen.
Nachdem Evonik im vergangenen Jahr bei einem Umsatz von 15,3 Milliarden Euro ein für den Chemiekonzern eher schwaches operatives Ergebnis von 1,66 Milliarden Euro erzielt hat, ist der Vorstand für das laufende Geschäftsjahr optimistisch, im bereinigten Ebitda die Mitte seiner angepeilten Bandbreite zwischen 1,9 und 2,2 Milliarden Euro zu erreichen. „Da sind wir, was die chemische Industrie angeht, mit die Besten“, sagte Kullmann.