Deutschland im WM-Halbfinale: Zeit für neue Helden im Eishockey

Eishockey-WM

Wer die Spiele der Eishockey-Weltmeisterschaft besucht, kann sich die vielen Pausen mit einem kleinen Ratespiel vertreiben: Was wird diesmal als Zuschauerzahl durchgesagt? Meist erscheint die nämlich deutlich höher als das, was der Blick durch die Halle erahnen lässt. So auch am Donnerstag in Riga, wo sich Deutschland und die Schweiz gegenüberstanden. Angeblich vor 2896 Besuchern, was niemand so recht glauben wollte. Und selbst wenn das stimmte, war das für ein WM-Viertelfinale eine magere Kulisse.

Aber das fiel in der Schlussphase nicht mehr auf, denn da war die deutsche Bank ihre eigene Fankurve. Wenn Torhüter Mathias Niederberger parierte, wenn einer seiner Vorderleute ein Körperteil in einen Schuss hielt, wenn jemand den Puck mit letzter Kraft aus dem eigenen Drittel beförderte – dann sprang der Rest des Teams auf, donnerte seinen Schläger vor die Bande und johlte.

Kreis: „Dann wird es mal wieder Zeit“

„Mein Puls war über 200. Es war unglaublich, wie sich jeder in jeden Schuss geworfen hat“, sagte hinterher JJ Peterka, der besonders fleißig anfeuerte. Was bei denen, die das 3:1 über die Zeit brachten und sich damit auch für Olympia 2026 qualifizierten entsprechend ankam: „Die Reaktion auf der Bank hat gezeigt, wie wir füreinander spielen“, sagte Nico Sturm, der das an diesem Samstag (17.20 Uhr/Sport 1 und MagentaSport) im Halbfinale gegen die Vereinigten Staaten genauso sehen will: „Natürlich haben sie die besseren Einzelspieler, aber wir werden alles in die Waagschale werfen.“

Reicht das abermals, steht die Auswahl des Deutschen Eishockey-Bundes (DEB) am Sonntagabend im Finale gegen Kanada oder Lettland. Aber selbst wenn es nichts wird gegen die Amerikaner, bliebe am Sonntagnachmittag die Chance, im Spiel um Bronze die erste WM-Medaille seit 70 Jahren zu gewinnen. Eine Zahl, die nicht mal der Bundestrainer auf dem Schirm hatte: „Nee, das weiß ich nicht. Dann wird es mal wieder Zeit“, sagte Harold Kreis, als er nach dem Sieg über die Schweiz in der Interviewzone bei der schreibenden Presse angekommen war. Da war er schon wieder der souveräne Medienprofi, den nichts aus der Fassung bringen kann.

Kurz zuvor am TV-Mikrofon von MagentaSport sah das noch anders aus, da schien er kurz davor, in Tränen auszubrechen. So hatte man Kreis noch nicht erlebt. Er ist ja seit knapp 45 Jahren im Geschäft, scheint alles gesehen und erlebt zu haben. Aber die vergangenen Wochen, die haben etwas mit ihm gemacht.

Die Skepsis, die ihm begegnete, weil er als 64-Jähriger so anders ist als seine Vorgänger Toni Söderholm und Marco Sturm. Die vielen Absagen von verletzten Spielern oder solchen, die nach der langen Vereinssaison keine Lust auf die WM hatten. Die durchwachsenen Testspielergebnisse. Die drei Niederlagen zum Auftakt der WM, die die DEB-Auswahl seit Mitte der Gruppenphase quasi nur noch K.-o.-Spiele erleben lässt: „Die Mannschaft hatte heute Ausscheidungsspiel Nummer fünf“, hob Kreis hervor, „aber sie geht mit dieser Situation souverän um.“

Das tut sie in der Tat – und steigerte sich stetig. Das Viertelfinale war nun der Höhepunkt. „Ein Tag für uns, der nicht besser hätte kommen können“, sagte Marcel Noebels, der vorher angekündigt hatte, dass er und seine Kollegen „sicher ein paar Eisbeutel brauchen nach dem Spiel“. So war es dann auch nach all den geblockten Schüssen. Und dennoch war es keine Abwehrschlacht, die Deutschen schafften ihren vierten Sieg bei einem großen Turnier in Serie gegen die stets favorisierten Schweizer, weil sie spielerisch mitgehalten hatten. Was Kreis weniger überraschte: „Ja ja, wir können schon Hockey spielen.“

Gegen die Amerikaner wird das am Samstag ebenso nötig sein. Zwar haben auch die kaum große Namen aus der NHL dabei, aber dafür viele junge Hochbegabte, die technisch fein und schnell unterwegs sind. Als einziges WM-Team gewannen sie bislang jedes Spiel, in der Gruppenphase auch gegen die Deutschen, die entsprechend als Außenseiter ins Halbfinale gehen.

Aber mit umso mehr Selbstvertrauen. Weil sie fünf Siege in Serie bejubelten. Und weil sie sich nun weiter sehen als beim Halbfinaleinzug 2021, als es am Ende nur für Platz vier reichte. Damals hatte das deutsche Team im Halbfinale 1:2 gegen die Finnen unglücklich verloren. „Wahrscheinlich ist es ein Vorteil, dass wir schon mal in der Situation waren“, sagte Kapitän Moritz Müller, „es ist toll für uns, noch mal die Chance zu haben. Und diesmal wollen wir etwas holen.“

WM 2027 findet in Deutschland statt

Zum neunten Mal findet eine Eishockey-Weltmeisterschaft in Deutschland statt. Der Weltverband IIHF vergab das Turnier 2027 am Freitag auf seinem Kongress in Tampere nach Düsseldorf und Mannheim. Mit den beiden Spielorten hatte sich der Deutsche Eishockey-Bund (DEB) um die Austragung beworben. Der DEB setzte sich mit 102:34 Stimmen gegen den einzigen Konkurrenten Kasachstan durch, der erstmals eine WM nach Asien holen wollte. „Das ist ein Meilenstein für den DEB. Wir freuen uns sehr über das Vertrauen und den Zuspruch der Delegierten der IIHF. Das sorgfältig gemeinsam entwickelte Konzept hat voll überzeugt“, sagte DEB-Präsident Peter Merten: „Wir freuen uns, im Mai 2027 Gastgeber dieses internationalen Großereignisses im Herzen Europas sein zu dürfen.“ Die Weltmeisterschaft in vier Jahren könnte nach den Vorstellungen des DEB wie schon 2010 mit einem Spiel in einem Fußballstadion beginnen. Damals sorgten 77.803 Zuschauer in Gelsenkirchen für einen Weltrekord. (sid)

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