„Ein Schritt zum Abgrund“: Der Frauen Wut

Medea hat es nicht leicht in der Kulturgeschichte. Der antiken Urahnin, selbstredend eine Männerphantasie, wurde noch eine aktive Rolle zugetraut. Sie beging aus Liebe Verbrechen. Dem eigenen Vater entwendete sie das Goldene Vlies, weil ihr begehrter Argonaut Iason das berühmte Widderfell so sehr begehrte. Bald half sie, den Großvater des Geliebten, einen gefürchteten König, der wiederum Iasons Vater in den Tod getrieben hatte, mit grausamer List zu töten. Trotz alledem vom untreuen Iason verstoßen, drehte Medea durch, ermordete nicht nur ihre Rivalin und deren Vater, sondern auch die eigenen Kinder. Alles an dieser Zauberin war mithin ambivalent. Sie verkörperte den Mythos selbst, diese unentwirrbare Verkettung von Schicksal und Schuld.

Unzählige Umdeutungen musste sie über sich ergehen lassen bis hin zum feministischen Tiefpunkt bei Christa Wolf. Nun war Medea die Verleumdete: eine Kritikerin des Patriarchats, ethisch ohne alle Zweideutigkeit, ein reines Opfer, dem man die Kinder schlachtete. Eine Heilige also. Vor allem aber war diese Frau schwach. Ein leerer Fluch blieb ihre schärfste Waffe.

Die Frau als rasende Furie

Die jüngste Medea, jetzt wieder eine Männerphantasie, stammt von dem britischen Theater- und Drehbuchautor Mike Bartlett. Vor einem Jahrzehnt schrieb er die BBC-Serie „Doctor Foster“ über eine betrogene Ehefrau und Mutter, die rasende Eifersucht und Wut erfasst: ein auf Plotebene spannender Psychothriller mit guten Einschaltquoten. Und doch: Eine zum Opfer gestempelte Frau, die erkennt, wie verlogen die gesamte Männerwelt ist, bevor sie selbst zur hysterischen Furie wird, das sollte man entgegen der offensichtlichen Absicht vielleicht eher antifeministisch als feministisch nennen.

Unter der Regie von Alexander Dierbach hat nun die ARD diese Serie – zunächst die erste Staffel – nachgedreht. Das vier- statt fünfteilige Drehbuch von Britta Stöckle hält sich weitgehend an die Vorlage, auch wenn die Handlung von einer englischen Kleinstadt ins schmucke Husum ans Meer verlegt wurde und nun eine Tochter (Tilda Wunderlich) statt eines Sohns mit den Ängsten und der zunehmenden Wut der Mutter klarkommen muss.

Letzteres ist eine sinnvolle Änderung, weil es gegenüber der Vorlage etwas mehr Komplexität in den Plot bringt: Als sich auch Tochter Lotta nämlich sehr glaubhaft von der Mutter abwendet („Du bist wie eine Irre“), lässt sich das nicht ganz so leicht wegerklären mit der ansonsten leider auch hier vorherrschenden schablonenhaften Geschlechterpsychologie: lügende, klägliche, triebgesteuerte Männer; moralisch überlegene Frauen, die sich – außer Medea eben – damit arrangieren: „Es ist nur Sex, er ist in der Midlife-Crisis.“

Die Hauptdarstellerin gleicht Schwächen aus

Dass man alle vorhersehbaren Wendungen der Titelfigur, der patenten, sehr kon­trollierten Ärztin Jana Hansen, gerne mitmacht – erst Opfer, dann Kämpferin, schließlich Erinnye – liegt am nuancenreichen Spiel von Petra Schmidt-Schaller. Ihre Augen, die eben noch tränenfeucht glänzten, scheinen aufzuleuchten, als sie beschlossen hat, mit allen Waffen einer Frau (so onkelhaft muss man das hier sagen) zurückzuschlagen: Mit List, Verführungskraft und Macht spinnt sie nicht nur ihr nichts ahnendes Opfer ein, den eigenen Ehemann – der auch als großspuriger Immobilienprojektentwickler Mist gebaut hat; eine Null in jeder Hinsicht –, sondern macht sich zudem die gemeinsamen Freunde zunutze.

Video: ARD Mediathek, Bild: ARD Degeto/Boris Laewen

Nachbar Frederick (Johann von Bülow), den Steuerberater des Paars, kommt das teuer zu stehen. Auch die auf Ausgleich bedachte Praxismitarbeiterin Pari (Neda Rahmanian) wird mit Zwang für den Rachefeldzug requiriert. Ganz hypnotisiert von Petra Schmidt-Schaller zeigt sich die Kamera (Ian Blumers). Nur selten ist die Heldin nicht im Bild zu sehen.

Blass bleibt hingegen der betrügende Ehemann Christian, dem das Widderfell über die Ohren gezogen wird. Florian Stetter hat hier nicht nur wenig Gelegenheit, aufzuspielen, er muss mit der unterfordernden Rolle eines Mannes klarkommen, der sein Doppelleben samt Zweithandy voller Pärchenfotos (ohne PIN!) selbst dann noch stumpf leugnet, als seine Affäre (Valerie Huber) ein Kind von ihm erwartet. Diagnostiziert hat das auch noch Ärztin Jana.

Christians Vater Jeppe (Hermann Beyer), einen sterbenskranken Kapitän auf seinem Kutter, bedenkt das Drehbuch mit Klischeeszenen. Jeppe weiß alles und verschweigt nichts, spricht aber auch als Mann: „Ich kenn ihn. Es liegt nur an dir, wenn du jetzt klug bist.“ Gänzlich dem Fernsehfilmkitsch zuzuschlagen sind all die Szenen, in denen Jana aus dem Off pathetisch William Congreves Drama „The Mourning Bride“ (1697) zitiert: „Der Himmel kennt keinen Zorn so mächtig wie in Hass umgeschlagene Liebe“.

Einige Szenen sind durchaus gelungen

Die holzschnittartigen Nebenfiguren will Regisseur Dierbach als „Chor“ verstanden wissen, aber das macht sie nicht interessanter. Den ganzen Me­deakomplex beiseite, kann auch das alleralltäglichste Sujet – Liebesbetrug, Trennung – zu einem bestechenden Drama werden, und in kleinen Ansätzen ist das sogar der Fall. Wenn die Rivalinnen ihre Duelle austragen, hat das eine irisierende Intensität. Und das erbarmungslose Zulaufen auf den großen Knall ist von einiger Spannung.

Diese entlädt sich zum Teil in einer sehenswerten Szene, die an Thomas Vinterbergs Enthüllungsszene in „Das Fest“ erinnert, auch wenn sie nicht ganz deren Wucht erreicht. Die britische Vorlage handelte noch eine ganze zweite Staffel lang vom zermürbenden Trennungs- und Sorgerechtskrieg bis an die Grenze des me­dealistig initiierten Suizids.

Der deutsche Vierteiler endet offen. Es kann weitergehen, muss aber nicht. Husum, das schon einen Theodor Storm seinen Dämonen untreu werden ließ zugunsten herzenspoetischer Heimatliebe, diese graue Stadt am Meer könnte also auch Medeas Zorn ein wenig besänftigt haben.

Alle 4 Episoden von Ein Schritt zum Abgrund laufen am 1. April ab 20.15 Uhr im Ersten.

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