Olympia 2024: Tennis-König Novak Djokovic krönt sich mit Olympia ...

Nach Olympiagold steht ausser Zweifel: Novak Djokovic ist der Grösste in der Tennis-Geschichte

Drei Wochen nach der Niederlage im Wimbledon-Final revanchiert sich der Serbe mit einem 7:6-7:6-Sieg an Carlos Alcaraz und schliesst die letzte grössere Lücke in seinem Palmarès. Kaum jemand hätte ihm das noch vor kurzem zugetraut.

Djokovic - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Novak Djokovic krönt sich mit 37 Jahren zum ältesten Tennis-Olympiasieger der Neuzeit im Einzel.

Claudia Greco / Reuters

Der Wimbledon-Final vor drei Wochen war für Novak Djokovic ein Kampf gewesen – und eine Demütigung. Bereits nach zwanzig Minuten hatte er den ersten Satz mehr oder weniger verloren, was die Weichen stellte für eine der bittersten Niederlagen seiner Karriere. Der Serbe verlor 2:6, 2:6, 6:7. Carlos Alcaraz, der Jungspund aus Spanien, war auf unwiderstehliche Art zum vierten Titel an einem Major-Turnier geeilt. Der 25. Grand-Slam-Titel für Djokovic hingegen, der einen Rekord in der Tennis-Geschichte bedeuten würde, muss warten – zumindest bis zum US Open von Ende August.

Am Sonntag nun trafen die beiden momentan dominantesten Tennisspieler bereits wieder in einem grossen Final aufeinander. Auf dem Spiel stand auf dem Pariser Sand die Olympia-Goldmedaille, die einzige wichtige Trophäe, die Djokovic noch fehlte.

Ein epischer Startsatz

Dieser Match begann ganz anders als jener von vor drei Wochen in Wimbledon. Djokovic wirkte diesmal viel präsenter. Er dominierte die ersten Games und kam in den ersten beiden Aufschlagspielen des Spaniers bereits zu vier Breakbällen. Alcaraz wehrte sie alle ab. Trotzdem war das ein Statement des Routiniers: «So nicht, mein Junge, nicht schon wieder!»

Diesmal stand die Partie nach 20 Minuten 2:2, und alles deutete auf einen langen Nachmittag in Paris hin. Doch Tennis ist auch das Spiel der schnellen Wendungen. Die Geschichtsbücher sind voll von unerwarteten Matches, die anders endeten, als sie lange zu laufen schienen.

Drei Wochen nach seiner Niederlage in Wimbledon revanchiert sich der Serbe an seinem spanischen Herausforderer Carlos Alcaraz.

Vitalii Kliuiev / Imago

Deshalb ist im Tennis Vorsicht geboten mit vorschnellen Prognosen und Urteilen. Schon im Game nach den von Djokovic verpassten Breakchancen kam auch Alcaraz zu seinen ersten Gelegenheiten auf den Servicedurchbruch. Auch er vermochte sie nicht zu nutzen. Trotzdem hatte er da gewissermassen in den Match eingecheckt. Die beiden Spieler waren jetzt auf Augenhöhe. Am Ende ging der Match in beiden Sätzen in ein Tie-Break, beide Male setzte sich Djokovic durch.

Der erste Satz dauerte 93 Minuten, umfasste 108 Ballwechsel und mehr als einen spektakulären Punkt. Und er zählte im Prinzip mehr als nur einen Satzgewinn. Sollte Djokovic, dieses Mentalitätsmonster, Augenblicke des Zweifels gehabt haben, waren sie mit der Satzführung weggewischt.

Vor den Augen seiner Frau Jelena und der beiden Kinder Stefan und Tara entwickelte sich ein episches Duell von gleichwertigen Spielern, die um jeden Ball kämpften. Die Routine sprach für den Serben, die Kräfte für den nur gut halb so alten Spanier. Was am Ende entschied? Wer weiss das schon.

Im Tie-Break des zweiten Satzes unterlief Alcaraz der eine oder andere sogenannt einfache Fehler, Djokovic hingegen packte bei einer cross-court geschlagenen Vorhand einen jener Gewinnschläge aus, die ihn auszeichnen und die auch schon Roger Federer in die Verliererecke gedrängt haben.

«Papa ist der Beste»

Djokovic beendete den Match nach rund drei Stunden und schloss damit die letzte grössere Lücke im eindrücklichen Palmarès. An seinen fünften Olympischen Spielen gewann er seine zweite Medaille. Wie viel ihm dieser Sieg in Paris bedeutet, zeigten die Szenen, die sich danach abspielten. Unmittelbar nach dem verwerteten Matchball sass Djokovic auf seinem Stuhl, versteckte den Kopf unter einem Handtuch und weinte hemmungslos. Das Zucken seiner Schultern liess erahnen, wie nahe ihm dieser Moment ging. Als er sich einigermassen gefasst hatte, machte er sich auf den Weg zu seinen Liebsten auf der Tribüne.

Olympiagold ist der stolze Serbe bisher erfolglos nachgerannt. Bei seiner olympischen Premiere 2008 in Peking hatte er gegen den Amerikaner James Blake Bronze gewonnen, damals war er ein noch relativ unbekannter Aussenseiter, der Monate zuvor am Australian Open seinen ersten Titel errungen hatte. An den Spielen danach, 2012 in London, 2016 in Rio de Janeiro und 2021 in Tokio, hatten ihn Andy Murray, Juan Martin Del Potro und Alexander Zverev jeweils gestoppt. Zweimal (2012 und 2021) verlor er danach auch das Bronze-Spiel, weil ein erfolgsverwöhnter Athlet wie er Gold und nicht eine Trostmedaille will.

Für die Tochter Tara und die ganze Familie Djokovic ist klar: Papa ist der Beste. Der Grossteil der Welt teilt diese Ansicht.

Claudia Greco / Reuters

Djokovic ist mit 37 der älteste Spieler seit der Öffnung des Tennissports für Profis (1968), der Einzel-Gold errang. Er kann sich nun auch auf dieselbe Stufe stellen wie seine grossen Rivalen Rafael Nadal (Olympiasieger 2008) und Andy Murray (2012 und 2016). Roger Federer fehlt Einzel-Gold.

Djokovics Tochter Tara, die während des kürzlichen Wimbledon-Finals auf der Tribüne noch intensiv in einem Buch gelesen hatte, um die Demütigung ihres Vaters nicht allzu genau mitzubekommen, hielt in Paris während des Finals wiederholt ein Plakat mit der Aufschrift «Papa ist der Beste» in die Höhe. Und noch eine Kinder-Story: Als der australische Profi und TV-Experte Nick Kyrgios Djokovics Sohn Stefan bei einem gemeinsamen Spielchen in Wimbledon gefragt hatte, wie gut sein Vater sei, da antwortete der Knabe: «Ziemlich gut.»

«Ziemlich gut» ist ziemlich untertrieben. Mit seinem Olympiasieg dürfte Djokovic die letzten Zweifel darüber zerstreut haben, wer der Grösste der Tennis-Geschichte sei. Was möglicherweise am meisten verblüfft, ist der Weg, der Djokovic zu diesem Erfolg führte. Er hatte in dieser Saison bis zum Olympiaturnier noch keinen Titel gewonnen. Vor knapp zwei Monaten hatte er sich am Grand-Slam-Turnier in Roland-Garros am Meniskus verletzt und sich einem kleinen Eingriff unterziehen müssen. Dass er nur wenige Wochen später in Wimbledon bereits wieder antrat und dort bis in den Final vorstiess, erachteten viele als kleines Wunder.

Doch von diesen Tiefen spricht nun niemand mehr. Der Sieg am Olympiaturnier von Paris war sein 99. Titel auf der Profi-Tour. Und zu Ende ist seine Karriere noch nicht. Sein Hunger ist offensichtlich weiterhin ungestillt. Es gibt noch einige Rekorde, die Djokovic gerne an sich reissen möchte. Den nächsten Anlauf nimmt er in gut drei Wochen, wenn in New York das US Open, das letzte Major der Saison, beginnen wird und er alleiniger Rekord-Grand-Slam-Sieger werden könnte. Die Ziele gehen ihm trotz all seinen Marken, die er bereits gesetzt hat, nicht aus.

Djokovics Befreiung nach dem verwerteten Matchball. Im fünften Anlauf seit 2008 gewinnt er endlich Olympiagold.

Andy Wong / AP

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten