Nadal vs. Djokovic: Der Unterschied zwischen Liebe und Respekt

29 Jul 2024

Olympia hat der Sportwelt das 60. Duell zwischen Rafael Nadal (38) und Novak Djokovic (37) beschert. Trotz des erwartbar deutlichen Ergebnisses befeuert auch dieses Spiel die Faszination für große Sport-Rivalitäten - und zeigt, dass es für die Fanherzen manchmal mehr braucht als Top-Leistungen.

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Kein Duell gab es im Tennis häufiger als das dieser beiden: Novak Djokovic und Rafael Nadal (re.). IMAGO/Italy Photo Press

Aus Paris berichtet Carsten Schröter-Lorenz

In der französischen Hauptstadt ist er kein Gast. Rafael Nadal, geboren auf Mallorca, ist auch in Paris zu Hause. Die Eröffnungsfeier der 33. Olympischen Sommerspiele am vergangenen Freitag verfolgt er zunächst mit Familien und Freunden von einem Balkon am Seine-Ufer. Doch zum großen Finale der historisch spektakulären XXL-Show taucht er gegen 23 Uhr plötzlich im Scheinwerferlicht auf.

Im Dauerregen am Trocadero-Palast wird der Mallorquiner mit einem ähnlich frenetischen Jubel begrüßt wie eine französische Sportlegende zuvor. Von Zinedine Zidane, der den Reigen der Überraschungsstars eröffnet, bekommt Nadal das Olympische Feuer überreicht. Zusammen mit Serena Williams, Carl Lewis und Nadia Comaneci transportiert die spanische Sportgröße die Fackel per Boot zu den Tuilerien.

Doch Nadal passt eigentlich noch nicht in diese Riege. Was nicht an fehlender sportlicher Größe liegt. Sondern am Status. Er ist aus dem Quartett der einzig noch aktive Athlet. Er will noch nicht in bequemen VIP-Sesseln, oder auf dem Sofa Platz nehmen. Der Mann hat als Wettkämpfer noch etwas vor bei seiner vierten Olympia-Teilnahme.

Leckerbissen im Generationen-Doppel

Einen Abend nach dem trotz der Wetter-Kapriolen magischen, offiziellen Start beglückt er erstmals die Fans in seinem Wohnzimmer: Roland Garros. Bei den French Open hat Nadal 14-mal triumphiert - das ist einsamer Rekord. Die Herzen der Franzosen fliegen ihm zu. Und dann sorgt er mit seinem Start im Generationen-Doppel mit dem neuen Tennis-Stern, seinem 17 Jahre jüngeren, legitimen Thronfolger Carlos Alcaraz (21) für einen besonderen Leckerbissen.

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Beim Zwei-Satz-Sieg gegen die Argentinier Maximo Gonzalez und Andres Molteni werden die beiden Spanier auf dem Court Philippe-Chatrier fast durchgehend euphorisch gefeiert. Einer Oberschenkelblessur zum Trotz quält er sich schon am nächsten Tag über drei Sätze gegen den Ungarn Marton Fucsovics durch sein sehr forderndes Erstrundenmatch zum Sieg.

Nadal vs. Djokovic - zum 60. Mal!

Er setzte sich am Ende überlegen im 60. Duell gegen Nadal durch: Novak Djokovic. IMAGO/MAXPPP

Da ist es plötzlich. Ein Ereignis, das man sich vor der Auslosung des Tennis-Spielplans höchstens hatte ausmalen können: Durch sein auch verletzungsbedingt heftiges Abrutschen in der Weltrangliste trifft Rafael Nadal schon in der zweiten Runde auf Novak Djokovic - zum 60. Mal! Nie gab es zwischen zwei Rivalen im Tennis mehr Duelle.

Djokovic geht mit einer knapp positiven Bilanz von 30:29 ins Spiel und alle Vorzeichen sprechen für ein 31:29. Vor allem die Verletzungsgeschichte und aktuelle Form des ja erneut angeschlagenen Nadal, der zudem mit zwei anstrengenden Spielen binnen zwei Tagen in den Knochen seine geliebte rote Asche betritt.

Am Ende ist es das erwartbar deutliche Ergebnis. Djokovic gewinnt klar in zwei Sätzen: 6:1 und 6:4. Dennoch befeuert auch dieses 60. Duell über 103 Minuten die enorme Faszination, die von solch großen Rivalitäten im Spitzensport ausgeht.

Elektrisierende Stimmung

Die Stimmung ist von Anfang an elektrisierend rund um den mit etwa 15.000 Menschen fast voll besetzten französischen Center-Court. Aber es sind nicht nur die spektakulären Ballwechsel, die es trotz des weitgehend einseitigen Matches gibt. Es sind die Reaktionen des Publikums, die einen in ihren Bann ziehen.

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Es ist keine Überraschung, dass die Sympathien klar zugunsten von Nadal verteilt sind. Er ist als Rekordsieger hier der Hausherr. Djokovic, der mit insgesamt 24 Grand-Slam-Titeln zwei vor dem Spanier liegt und auch sonst in nahezu allen wichtigen Statistiken (ATP-Masters-Turniersiege, Wochen als Nummer 1 der Welt, Turniersiege insgesamt) klar vorne liegt, hat die French Open "nur" dreimal gewonnen.

Den Respekt der Fans, das traditionell beim Tennis auch dem vielleicht mal ungeliebten Gegner fast ausschließlich fair gegenübertritt, hat der serbische Ausnahmespieler sicher.

Applaus für den Djoker, aber Nadal sorgt für Gänsehaut

Jeder im Stadion weiß um die an diesem Juli-Montag ungleichen Kräfteverhältnisse in diesem Gigantenduell. Gute Aktionen von Djokovic werden beklatscht, aber in den Momenten, in denen Nadal mit gelungenen Aktionen nur den kleinsten Funken durch sein Spiel versprüht, brennt das Publikum sofort und sorgt für Gänsehaut-Attacken.

Besonders als sich im zweiten Satz - typisch Spitzensport - plötzlich eine unerwartete Wende anbahnt. Nadal, der mit seinem zu langsamen Service und vielen leichten Fehlern Djokovic im ersten Durchgang und zu Beginn des zweiten fast hilflos ausgeliefert war, dreht plötzlich noch mal auf, bringt zweimal seinen Aufschlag durch. Mit einem fast nicht mehr für möglich gehaltenen Doppelbreak gleicht er nach 0:4 zum 4:4 aus - das Stadion kocht.

"Rafa, Rafa" schallt es durchs Rund, die Leute wollen dieses Comeback passieren sehen. Djokovic verhindert es auf beeindruckende Weise mit einem Re-Break und letztlich einem eiskalten Ass zum Spielgewinn. Lauter Applaus für ihn ist der verdiente Lohn.

Überlebensgroß in Paris: Rafael Nadal. IMAGO/ZUMA Press Wire

Spitzensport und der Wunsch nach uneingeschränkter Liebe

Doch es gibt noch ein höheres Gut als lauten Applaus und die spor. Ein Gut, nach dem, menschlich vollkommen nachvollziehbar, auch so gut wie alle hochdekorierten Weltstars des Sports streben, das aber nicht allen im gewünschten Maß vergönnt ist: Uneingeschränkte Liebe.

In Paris ist sie Nadal gewiss - besonders bemerkenswert für einen Nicht-Franzosen. Das dürfte auch ihm, spätestens mit ein bisschen Abstand, mehr bedeuten als eine weitere olympische Medaille nach Einzel-Gold 2008 und Doppel-Gold 2016. Am besten ist natürlich beides. Was dank Partner Alcaraz ja auch noch möglich ist. Und in Los Angeles 2028 kann Nadal dann ganz entspannt und offiziell dem Klub der Ex-Stars beitreten.

Carsten Schröter-Lorenz

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