Kate Winslet spielt in "Die Fotografin" die Rolle der Lee Miller

4 Stunden vor

Während des Zweiten Weltkriegs hält Lee Miller die Gräueltaten der Nationalsozialisten mit ihrer Kamera fest. Ihr Name ist trotzdem den wenigsten ein Begriff. Mit dem Biopic "Die Fotografin" erhält die US-Amerikanerin nun vielleicht endlich die Aufmerksamkeit, die sie verdient.

Die Fotografin Kate Winslet - Figure 1
Foto n-tv NACHRICHTEN

In einer Welt, in der historische Erinnerungen verblassen und politische Extreme wieder an Boden gewinnen, wird es immer wichtiger, sich den Lektionen der Vergangenheit zu stellen. Besonders die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Die Geschichten von Menschen, die diese Zeit dokumentiert oder überlebt haben, spielen dabei eine zentrale Rolle.

Umso erstaunlicher ist es, dass der Name Lee Miller hierzulande kaum jemandem bekannt ist. Dabei sind ihre Fotografien unerschütterliche Beweise für das Ausmaß der Verbrechen, die von den Nazis begangen wurden. Doch obwohl ihr Vermächtnis zu den eindrucksvollsten Bilddokumenten des 20. Jahrhunderts gehört, ist ihr Name außerhalb von Fachkreisen oft kein Begriff. "Die Fotografin", das Regiedebüt von Kamerafrau Ellen Kuras, könnte dieses Manko beheben und Miller endlich die Aufmerksamkeit verschaffen, die sie verdient. Ihre Bilder, insbesondere jene aus den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald, sind historische Beweise - ein Zeugnis der menschlichen Abgründe, das niemals in Vergessenheit geraten darf.

Alkohol, Kunst und Krieg

England in den 1970er-Jahren. Eine mürrische, vom Krieg und Alkohol gezeichnete Lee Miller (Kate Winslet) wird von einem jungen Reporter Tony (Josh O'Connor) über ihr Leben befragt. Widerwillig lässt sie sich darauf ein, ihm seine Fragen zu beantworten und startet ihre Geschichte in den 1930ern, einer Zeit, in der Lee - einst Muse und gefragtes Model - nun selbst fotografiert und mit ihren Künstlerfreunden in den Bergen Cornwalls urlaubt. Zu ihnen gehören die französische Journalistin Solange D'Ayen (Marion Cotillard), der surrealistische Lyriker Paul Éluard (Vincente Colombe) und dessen Ehefrau Nusch (Noémie Merlant), Schauspielerin und Muse von Beruf. Während sie halbnackt Wein trinken und Käse essen und ihr hedonistisches Bohème-Leben genießen, wird zwar auch über Adolf Hitler und die "hässlichen Nazis" gefachsimpelt, die gerade erstarken. Doch die Gefahr, die ihnen bevorsteht, verkennen sie bislang noch.

Als der britische Kunstsammler und Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgard) zur Gruppe dazustößt, ist es Liebe - oder zumindest Hingabe - auf den ersten Blick. Nach einigen gemeinsamen Nächten entschließt sich die freiheitsliebende und nie lange an einem Ort bleibende Lee, mit Roland nach London zu gehen und dort sesshaft zu werden. Kurz darauf bricht der Zweite Weltkrieg aus. Während ihre Freunde in Frankreich in den Widerstand gehen, fühlt auch Lee, dass sie nicht untätig dabei zusehen kann, wie Hitler Europa zerstört. Für die britische "Vogue", aus deren Editorin Audrey Withers (Andrea Riseborough) eine Freundin wird, fotografiert sie zunächst Frauen mit Schutzmasken oder Models vor Kriegsschauplätzen, doch sie will mehr.

Die Fotografin Kate Winslet - Figure 2
Foto n-tv NACHRICHTEN
Die Frau in Hitlers Badewanne

Mithilfe ihres US-Passes wird Lee gemeinsam mit dem "Life"-Fotografen David Sherman (Andy Samberg) als zivile Kriegsberichterstatterin an der Front akkreditiert, wo sie die nächsten Jahre zunächst Quartiere und Krankenzelte der Alliierten besichtigt und sich schließlich ins Zentrum der Grausamkeit knipst. Je länger sie bleibt, je mehr sie sieht, desto mehr verfällt sie auch dem Alkohol.

Lee Millers Porträt in Hitlers Badewanne entstand mithilfe von David Sherman.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Als sich das Kriegsende abzeichnet, ist zumindest in Großbritannien, weit weg von der Front, die Stimmung wieder großartig. Roland fährt nach Paris, um Lee zur Rückkehr zu bewegen, aber sie hat zu viel erlebt, um jetzt aufzuhören. Ohnehin war sie "schon immer diejenige, die die Party als Letzte verlassen hat", wie sie Tony aus dem Off erzählt. Lees Aufnahmen und schließlich auch ihre Reportagen werden regelmäßig in der britischen "Vogue" veröffentlicht. Auch die Zuschauer bekommen viele ihrer berühmtesten Schnappschüsse zu sehen, darunter auch das Porträt von ihr selbst in der Badewanne von Hitlers Wohnung in München - geschossen am Tag seines Suizids, von dem sie da allerdings noch nichts weiß.

"Die Fotografin" zeigt eindringlich, wie bedeutend Lee Millers Arbeit war und ist - nicht nur als künstlerischer Ausdruck, sondern als historische Pflicht, die Wahrheit zu bewahren. Eher enttäuschend ist das Biopic jedoch in der Ausformulierung seiner Hauptprotagonistin. Anstatt Millers vielschichtige Persönlichkeit voll zur Geltung zu bringen, wird die Geschichte zu chronologisch und nüchtern heruntererzählt. So verliert der Film eine gewisse Dynamik und Tiefe, die Millers Leben verdient hätte.

Kate Winslet läuft zur Höchstform auf

Ihre radikale Unangepasstheit - als angesagtes Model der 1920er-Jahre, das sich in der Welt der schnellen Liebschaften und der freien Sexualität wohlfühlte - wird nur am Rande aufgegriffen. Dabei war diese Facette ein wesentlicher Teil dessen, was Miller als Person so außergewöhnlich machte. Ihre Beziehung zur Kunst, zur Freiheit und zur Selbstbestimmung in einer von Männern dominierten Welt hätte mehr Raum verdient, doch diese Aspekte ihres Lebens gehen in der allzu linearen Erzählweise verloren.

Erst im letzten Drittel des Films, als im April 1945 der Krieg seinem Ende entgegengeht und Miller bei der Befreiung der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald die Gräueltaten der Nazis mit eigenen Augen sieht, läuft Kate Winslet schauspielerisch zur Höchstform auf. Die 48-Jährige liefert eine herausragende Performance, indem sie den inneren Kampf ihrer Figur zwischen der emotionalen Last der Geschichten, die sie dokumentiert, und der dringenden Notwendigkeit, diese für die Nachwelt festzuhalten, meisterhaft darstellt. Aber es ist schade, dass es so lange dauert, bis der Film diese emotionale Tiefe erreicht.

Winslets Rolle verkörpert die Verantwortung, die nicht nur Historiker und Künstler tragen, sondern wir alle. Wenn wir vergessen, wenn wir zulassen, dass diese Erinnerungen verblassen, öffnen wir die Tür für jene, die die Geschichte verdrehen und leugnen wollen. Angesichts der steigenden Tendenz, dass rechtspopulistische Bewegungen in vielen Ländern wieder an Einfluss gewinnen und revisionistische Geschichtsdeutungen Verbreitung finden, ist ein Film wie "Die Fotografin" mehr als nur ein Biopic. Er ist ein Akt des Widerstands gegen das Vergessen. In einer Welt, die sich zunehmend nach rechts verschiebt, in der Nationalismus und Intoleranz wieder aufkeimen, bietet der Film einen stillen, aber kraftvollen Protest. Er zeigt, dass die Erinnerung an die Gräueltaten des Dritten Reichs nicht nur eine historische Pflicht ist, sondern eine ethische Notwendigkeit.

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