Tschetschenen: Kadyrows mutmaßlicher "Statthalter" für Deutschland
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Stand: 11.09.2024 05:07 Uhr
Tschetscheniens Machthaber Kadyrow hat offenbar einen neuen "Statthalter" in Deutschland. Sicherheitsbehörden soll der Mann nach Informationen von BR und rbb24 Recherche bekannt sein. Er selbst bezeichnet sich als "unpolitisch".
Ramsan Kadyrow, Putin-Vertrauter und Tschetscheniens Machthaber, ist bekannt für öffentlichkeitswirksame Brutalo-Gesten. Er forderte, den Einsatz von Atomwaffen im Ukrainekrieg zu prüfen. Das einst von sowjetischen Truppen besetzte Gebiet der DDR bezeichnete er als Territorium Russlands, das wieder eingenommen werden müsse. Gegen die eigenen Landsleute geht er hart vor - auch im Ausland. In Deutschland allein leben etwa 50.000 Tschetschenen.
Außerhalb Russlands lässt sich Kadyrow von sogenannten "Statthaltern" repräsentieren. In Deutschland soll er nach Informationen von BR und rbb24 Recherche vor einigen Monaten einen neuen "Statthalter" installiert haben.
Er heißt Sajhan Agaev, bürgerlich Hussein Agaev, und lebt laut Handelsregister in Hamburg. Auf seiner Instagram-Seite stellt er sich als "Fitnessmodel" und "Freestyle"-Wrestler vor. Überdies präsentiert er sich als Vertrauter Kadyrows und dessen Führungsclique. Agaev hat mehr als 80.000 Follower.
Rat Agaevs "sehr gefragt"Auf Anfrage von rbb24 Recherche und BR weist er jede politische Betätigung zurück. Sein Anwalt schreibt dazu: "Herr Agaev ist bekanntlich ein ehemaliger Profisportler und zwischenzeitlich Geschäftsmann und gestandener Familienvater." Außerdem, so der Anwalt, sei er eine "starke Persönlichkeit".
Sein Rat und seine Meinung seien innerhalb wie außerhalb der tschetschenischen Community sehr gefragt. Zudem sei sein Mandant "weder politisch tätig", noch habe er "eine politische Funktion inne". Auf die Fragen, ob er wirklich der "Statthalter" Kadyrows in Deutschland sei und worin diese Funktion bestehe, geht sein Anwalt jedoch nicht ein.
Als Vertreter der tschetschenischen Diaspora vorgestelltIst Agaev wirklich nur ein gefragtes Mitglied der tschetschenischen Community in Deutschland - ohne politische Funktionen? Ein Instagram-Video von Anfang März 2024 zeigt ihn auf dem sogenannten tschetschenischen "Volkskongress" anlässlich der bevorstehenden Präsidentschaftswahl in Russland.
Es ist ein Interview mit dem Sender Grosny-TV, der Propaganda des tschetschenischen Regimes verbreitet. Agaev sagt dort, dass die Tschetschenen stolz seien auf die Leistungen ihres Präsidenten Kadyrow und dass man in Deutschland die Entwicklung in Tschetschenien mit großer Aufmerksamkeit verfolge. Im Begleittext zum Video wird Agaev als Vertreter der tschetschenischen "Diaspora" in Deutschland vorgestellt.
Das System KadyrowEmil Aslan vom Lehrstuhl für Sicherheitsstudien der Prager Karls-Universität forscht seit längerem zu Kadyrow und seinen Anhängern im Ausland. Nach seiner Einschätzung ist der tschetschenische Präsident auf Leute wie Agaev angewiesen, um die Diaspora zu kontrollieren. Das habe auch viel mit den Charaktereigenschaften Kadyrows zu tun, so Aslan.
"Kadyrow ist sehr stolz. Er akzeptiert keine Kritik. Er will nicht, dass die Leute sich gegen das aussprechen, was er tut", sagt Aslan, dessen Spezialgebiet internationale Sicherheit ist, im Interview mit BR und rbb24 Recherche.
Das Kadyrow-Regime gilt als besonders brutal. Das Auswärtige Amt geht zudem davon aus, dass das Regime auch das Mittel der "Sippenhaft" nutzt. Dabei berufen sich die Diplomaten auf Erkenntnisse lokaler Menschenrechtsorganisationen. Verwandte von oppositionellen "Auslands-Tschetschenen" würden in Tschetschenien weggesperrt. Folter sei an der Tagesordnung.
Maschinerie der KontrolleFür die Überwachung der Tschetschenen im In- und Ausland sind die "Gesandten" oder "Statthalter" Kadyrows in West-Europa besonders wichtig, erklärt Emil Aslan. Im Interview spricht er von einer "großen Maschinerie der Kontrolle, die mit Putins Segen" errichtet worden sei. Es sei im Interesse Russlands, dass in den tschetschenischen Communities West-Europas Ruhe herrsche.
Die Personen, die Kadyrow ins westliche Ausland entsende, seien überdies Teil der geheimdienstlichen Strategie Russlands. "Alle diese Leute müssen mit russischen Geheimdiensten kollaborieren", behauptet Aslan.
Auf die Frage von rbb24 Recherche und BR, ob die Behauptung zutrifft, dass er als "Statthalter" Informationen sammle, geht Agaevs Anwalt nicht ein. Auch die Frage, ob und an welche Behörde Informationen eventuell weitergeleitet würden, bleibt unbeantwortet.
"Relevante Person" für deutsche SicherheitsbehördenInformationen von BR und rbb24 Recherche zufolge halten deutsche Sicherheitsbehörden Agaev für eine sogenannte "relevante Person". "Relevant" bedeutet, dass Personen nach Einschätzung der Behörden eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen könnten.
Diese Einschätzung teilt Hans-Jakob Schindler, Seniordirektor der internationalen gemeinnützigen Organisation "Counter Extremism Project". Nach seiner Auffassung sollen Kadyrows sogenannte "Statthalter" zudem eng mit den russischen Sicherheitsbehörden verbunden sein.
Auf Fragen dazu geht Agaevs Anwalt nicht ein. Schindler geht davon aus, dass das System Teil der sogenannten "hybriden Kriegsführung" sei. "Das ist so ein breit angelegter Ansatz der Russen, die das wirklich als Teil ihrer Gesamtkriegsführung verstehen. Und da sind Kadyrow und seine Leute ein Teil davon", erklärt Schindler im Interview.
Lobpreisung KadyrowsIn seinen Social-Media-Aktivitäten streicht Agaev immer wieder heraus, dass er mit den engsten Vertrauten Kadyrows verkehrt. Viele von ihnen sind von der UN und der EU mit Sanktionen wegen der Unterstützung des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine belegt.
Darunter ist der stellvertretende Premierminister der tschetschenischen Republik, Abuzaid Vismuradov - für Agaev einer der "loyalsten Partner des Oberhauptes der Tschetschenischen Republik, des Helden Russlands Ramzan Achmatovich Kadyrow". In einem Post auf Instagram schreibt Agaev, Vismuradov leiste "einen unschätzbaren Beitrag zur Wahrung von Frieden und Ordnung in der Tschetschenischen Republik".
Offenbar keine ReisebeschränkungenWie nah Agaev und der tschetschenische Machthaber Kadyrow sich stehen, zeigt nicht nur ein Youtube-Video aus dem Jahr 2018, das Ramsan Kadyrow beim Besuch der Hochzeit von Agaevs Sohn zeigt. In den sozialen Netzwerken präsentiert Agaev auch immer wieder Fotos, auf denen die beiden Männer gemeinsam zu sehen sind.
Der Extremismus-Experte Schindler vermutet, dass die Präsentation dieser Bilder nicht unbewusst oder zufällig erfolgt. "Sowohl die Kadyrow-treue tschetschenische Community als auch die Oppositionellen sollen wissen, wem Kadyrow vertraut, wer hier in seinem Sinne handelt und dass sich auch in Deutschland vor Kadyrow niemand wirklich sicher fühlen darf".
Dass Agaev eine besondere Rolle hat, zeigen auch seine auf Instagram dokumentierten Reisen. Der Ukraine-Krieg und die Reisebeschränkungen scheinen ihn nicht zu betreffen. Eine Anfrage, warum seine Reisetätigkeit zwischen Deutschland und Russland nicht unterbunden und er trotz seiner Beziehungen zu Kadyrow-Getreuen nicht wie diese sanktioniert wurde, ließ das Bundesinnenministerium unbeantwortet.
Treffen mit einem FriedensrichterWie wichtig Agaev ist, zeigte sich bereits 2020. Bei schweren Auseinandersetzungen zwischen einem einschlägig bekannten arabischstämmigen Clan und Tschetschenen wurden in Berlin elf Menschen durch Messerstiche, Schläge und Tritte verletzt. Bei einem Schlichtungstreffen eines sogenannten "Friedensrichters" war auch Agaev dabei. Das belegt ein Foto, das BR und rbb24 Recherche vorliegt. Der Tagesspiegel berichtete zuerst darüber.
Für den Extremismus-Experten Schindler hat diese Episode vor allem mit den "Machtstrukturen" zu tun, die man in einer Art Parallelgesellschaft aufbaue: "Wir sind hier - und die Regeln gehen uns nichts an. Und wir lassen auch keine Polizei in unser Leben." Es gehe dabei um "eine Abschottung dieser kriminellen Strukturen von der normalen Gesellschaft, von der Justiz." Dabei werde Deutschland nur noch als "Ausbeutungsobjekt" angesehen, so Schindler.
Für Oppositionelle ein VerräterDie Tatsache, dass Agaev viele Kontakte zum Führungszirkel des Kadyrow-Regimes pflegt, bleibt auch Kritikern in der tschetschenischen Community nicht verborgen. Ein Insider, der aus Sicherheitsgründen anonym bleiben möchte, teilt außerdem die These, dass die "Statthalter" enge Beziehungen zu russischen Sicherheitsbehörden unterhalten.
Für Oppositionelle sei er ein "Verräter des tschetschenischen Volkes", der vor allem in Deutschland bleibe, um für Russland "Informationen über die tschetschenische Diaspora" zu sammeln.
Extremismus-Experte Hans-Jakob Schindler fordert jetzt von den deutschen Sicherheitsbehörden, die Aktivitäten Agaevs dringend genauer zu beobachten.