Sportlerin des Jahres und Olympiasiegerin: Darja Varfolomeev lebt ...
Noch eine Trophäe zum Jahresabschluss: Darja Varfolomeev wird Sportlerin des Jahres 2024. Die Auszeichnung hält sie mit beiden Händen fest, als am Sonntagabend ein Einspielfilm ihren Olympiasieg Revue passieren lässt. „Es zittern ihr ein wenig die Beinchen,“ hört sie den Fernseh-Live-Kommentar vor ihrer letzten Übung und dann ihre eigenen Worte an jenem 9. August: „Das war mein Traum seit ich klein war und jetzt ist es einfach wahr.“ Darja Varfolomeev lächelt in bodenlanger güldener Robe, dankt ihrer Trainerin und erzählt von ihrem Hund Tori. Dasha, wie sie genannt wird, macht auch in diesem Moment alles richtig.
Im Einzelwettbewerb der Rhythmischen Sportgymnastik wird bei Olympischen Spielen nur eine einzige Goldmedaille vergeben. Darja Varfolomeev war als Favoritin nach Paris gereist. Die Ergebnisse des vergangenen Jahres sprachen genauso für sie wie die recht einhellige Expertenmeinung in dieser schwer durchschaubaren Disziplin. Doch in der Qualifikation entglitt ihr der Reifen, in der Endabrechnung lag sie überraschend nicht auf Rang eins. Nur einen Tag darauf zeigte die 17-Jährige aber nicht den Hauch einer Verunsicherung: Würfe, Sprünge, Pirouetten – alles gelang. Varfolomeev wurde souverän die erste deutsche Olympiasiegerin in der RSG.
Für Russland nicht gut genug
„Es hilft natürlich Dasha zu sehen, zu sehen, dass Alles möglich ist. Man muss einfach nur daran glauben und arbeiten,“ hatte Margarita Kolosov im Herbst 2023 über ihre Trainingskameradin gesagt. Da hatte Dasha gerade alle fünf WM-Titel gewonnen und damit den Grundstein für ihren olympischen Erfolg gelegt, besagt doch die Statistik, dass noch jede Weltmeisterin des vorolympischen Jahres auch bei den Spielen eine Medaille gewinnt. Dass „ein Traum wahr wird“ sagte Varfolomeev auch damals.
Seit wann genau Dasha diesen Traum träumt, ist schwer zu sagen. „Am Anfang hat es mir nicht so gefallen, weil ich mit drei Jahren einfach nicht verstanden habe, was ich da mache,“ sagt Varfolomeev in einem Werbevideo des Verbandes. Ihre Mutter Tatjana, ehemals selbst Gymnastin ohne großen Erfolg, hatte ihre Tochter in die Halle gebracht, damals in Barnaul, der Hauptstadt der Region Altai in Westsibirien, sechs Zeitzonen von Deutschland entfernt. Doch für Russland, wo diese Sportart einst erfunden wurde und sich bis heute enormer Popularität erfreut, war die zierliche, tapfer übende Dasha nicht gut genug.
Also habe ihre Mutter überlegt, sie nach Deutschland zu schicken, berichtet Varfolomeev: „Ich wusste erstmal nichts davon, dass sie sich das überlegen, ohne mich, und ich war ein bisschen, hmmh, okay, ja.“ Cheftrainerin Yuliya Raskina erhält ein Trainingsvideo und ist begeistert. Im Sommer 2018 präsentiert sich das elfjährige Kind aus Sibirien zum Probetraining in Schmiden, die Formalitäten sind aufgrund eines deutschen Großvaters schnell erledigt. Mutter Tatjana reist nach einem Monat in Deutschland wieder ab, Dasha, gerade zwölf Jahre alt, zieht ins Internat, steht jeden Morgen alleine um 6 Uhr auf, nimmt den Bus zum Deutschkurs und trainiert.
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„Da war ich dann nur mit meinem Koffer, ohne Familie und ohne nichts, und ohne Sprache und in irgendeinem anderen Land“, so Varfolomeev im vergangenen Jahr: „Der Weg war richtig schwer, weil ich noch nicht verstanden habe, wofür mache ich das, will ich das überhaupt.“ Mit der Zeit und mit jedem Wettkampf habe sie dann „schon verstanden, dass ich für Ziele gekommen bin.“
Bei ihrem ersten internationalen Auftritt für Deutschland, der Junioren-EM 2019 belegt Varfolomeev den 15. Platz. Seitdem hat sie sich unter Trainerin Yuliya Raskina, selbst 2000 Olympia-Zweite für Weißrussland, und Teamchefin Isabel Sawade, die als Funktionärin im Internationalen Turnverband mit für die Wertungsvorschriften verantwortlich zeichnet, stetig verbessert. Ihren ersten WM-Titel mit den Keulen gewann Varfolomeev 2022. Beobachtern galt sie früh als Inkarnation der alten russischen Schule: Groß gewachsen und sehr dünn, mit hervorragender Gerättechnik, großer Präzision und extremer Beweglichkeit. Ein Ergebnis von knapp 60 Stunden Training pro Woche.
Schon ihr WM-Triumph 2023 erweist sich auch für den DTB als Segen. Nur kurz nach einem Besuch im Sportausschuss des Deutschen Bundestags im vergangenen Herbst, werden 2,5 Millionen Euro als Unterstützung des Bundes für die in Deutschland geplante WM 2026 zugesagt. Der Olympiasieg nun lässt die Disziplin im PotAS-Ranking nach oben schnellen. Und Nachwuchsprobleme kennt man spätestens seit dem Zuzug von vielen RSG-begeisterten Müttern und Kindern aus der Ukraine hierzulande nicht mehr. Alle wollen sie werden wie Dasha.
Die hat alle in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, sportlich alles erreicht und auch sonst bislang immer alles richtig gemacht. Im November ist Darja Varfolomeev 18 Jahre alt geworden, nach olympiabedingter Befreiung geht sie neben dem Training nun wieder zur Schule. Manchmal wirkt sie wie ein ganz normaler Teenager. In ihrem jungen Leben wird noch viel kommen.