Dagestan: Putin beruft nach judenfeindlichen Ausschreitungen ...

30 Okt 2023
Dagestan

Russlands Präsident Wladimir Putin hat nach den judenfeindlichen Ausschreitungen auf dem Flughafen von Machatschkala in der russischen Teilrepublik Dagestan eine Sondersitzung der Regierung einberufen. Thema des Treffens am Montagabend seien "Versuche des Westens, die Ereignisse im Nahen Osten zur Spaltung der russischen Gesellschaft zu nutzen", sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow laut russischen Staatsmedien.

Es sei "gut bekannt und offensichtlich", dass die "Ereignisse um den Flughafen Machatschkala" Resultat einer "äußeren Einmischung" seien, sagte Peskow. Eindeutigere Vorwürfe erhob er nicht, sondern sprach lediglich von "feindlich gesinnten (Personen)", die den Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen für eine Provokation missbraucht hätten.

An der Sitzung wird demnach die gesamte Staatsführung teilnehmen, darunter der Außen- und Verteidigungsminister, die Chefs der Nationalgarde und der Geheimdienste und die Vorsitzenden beider Parlamentskammern. Putin äußerte sich bislang nicht zu den Ausschreitungen in Dagestan. Peskow kündigte ein öffentliches Statement des Präsidenten vor der Sitzung an.

Hunderte bedrohten Passagiere eines Flugs aus Tel Aviv

Am Sonntagabend haben Hunderte Menschen den Flughafen von Machatschkala, der Hauptstadt Dagestans, gestürmt und waren dabei aufs Rollfeld gelangt. Anlass war die Landung eines Passagierflugzeugs aus Tel Aviv. Die Menschenmenge skandierte antisemitische und islamistische Parolen und forderte, in das Flugzeug gelassen zu werden, um unter den Passagieren nach Juden zu suchen.

Einige der Angreifer kontrollierten die Pässe von Menschen, die den Flughafen verließen, um israelische Staatsbürger ausfindig zu machen. Videos zeigten gewalttätige Tumulte im Flughafen und auf dem Rollfeld, wo die Teilnehmer der Ausschreitungen versuchten, das Flugzeug von außen zu besteigen. 

Der Flughafen wurde abgesperrt. Bei den Ausschreitungen wurden laut Staatsmedien 20 Menschen verletzt und etwa 60 festgenommen. Am Montagmittag wurde der Flugbetrieb nach Angaben der russischen Flugaufsicht wieder aufgenommen.

Berichte über mehrere antisemitische Ausschreitungen im Nordkaukasus

Berichten unabhängiger Medien zufolge kam es in den vergangenen Tagen in mehreren Orten in der Region zu antisemitischen Aktionen. In der dagestanischen Stadt Chassawjurt sei bereits am Samstag ein Hotel mit Steinen beworfen worden, nachdem sich in Onlinenetzwerken das Gerücht verbreitet hatte, das Hotel sei "voller Juden", berichtet das russische Exilmedium Meduza.

In sozialen Netzwerken verbreitete sich daraufhin das Foto eines Plakats, das an dem Hotel angebracht worden sein soll und auf dem es heißt, "israelischen Staatsbürgern (Juden) ist der Eintritt strengstens verboten". In der Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien im Nordkaukasus forderten Meduza zufolge am Samstag bei einer Demonstration etwa 200 Menschen, "jüdische Flüchtlinge" aus dem Gebiet zu vertreiben. 

In Naltschik in der Teilrepublik Kabardino-Balkarien gab es demnach am Sonntag einen Brandanschlag auf den Bau eines jüdischen Kulturzentrums. Ein für Dagestan zuständiger Vertreter des russischen Oberrabbinats, der Rabbiner Owadja Isaakow, sagte dem unabhängigen Onlineportal Mediazona, er schließe eine Evakuierung von Hunderten in Dagestan lebenden jüdischen Familien aus der Teilrepublik nicht aus. Die Lage sei "sehr schwierig", die jüdische Gemeinde in Dagestan sei verängstigt. Wohin die Menschen gebracht werden könnten, sei aber noch unklar.

Dagestans Gouverneur wirft "Verrätern" in der Ukraine Destabilisierung vor

Dagestans Gouverneur Sergej Melikow verurteilte den Vorfall zunächst zurückhaltend und später eindeutiger. Er warf angeblich in der Ukraine ansässigen Kräften vor, hinter den Ausschreitungen zu stehen. Dabei nahm er Bezug auf den Telegram-Kanal Utro Dagestan, über den im vergangenen Jahr örtliche Proteste gegen die Mobilmachung gegen die Ukraine organisiert worden waren und der am Sonntag Aufrufe zu Protesten auf dem Flughafen verbreitete.

Der Kanal werde "vom Gebiet der Ukraine aus von Verrätern" betrieben, sagte Melikow laut der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Ziel der Betreiber sei die Destabilisierung der Region. Russlands oberste Strafverfolgungsbehörde, das Ermittlungskomitee, sprach ebenfalls von gezielt in sozialen Netzwerken koordinierten Ausschreitungen. Melikows Behauptung einer ukrainischen Spur griff die Behörde in ihrer Mitteilung nicht auf.

Wie das unabhängige exilrussische Investigativmedium Agentstwo berichtet, sei es im Anschluss zu den Ausschreitungen in mehreren Regionen des Nordkaukasus und in Südrussland zu Ausfällen des Onlinediensts Telegram gekommen. Das gehe aus Daten der russischen Medienaufsicht Roskomnadsor hervor. 

Israel fordert Schutz seiner Bürger, Zentralrat spricht von "islamistischem Mob"

Vor allem die Ausschreitungen in Dagestan sorgten bereits am Sonntagabend für internationale Reaktionen. Das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu forderte die russischen Behörden auf, den Schutz aller israelischen Bürger und jüdischer Russinnen und Russen zu gewährleisten.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland sprach von einem "aufgehetzten islamistischen Mob", der Jagd auf Juden mache. "Paradoxerweise befanden sich in dem Flugzeug laut israelischen Medienberichten vor allem russische Staatsbürger, die von medizinischen Behandlungen in Israel zurückkehrten", heißt es in der Mitteilung. Zentralratspräsident Josef Schuster sagte: "Die Jagd auf Juden in Dagestan zeigt uns, dass wir es mit einer Ideologie zu tun haben, die keine Grenzen kennt."

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach ebenfalls von einem "wütenden Mob" und warnte vor "russischem Antisemitismus", der über Dagestan weit hinausgehe. Russlands Außenministerium und Putin hätten immer wieder antisemitische Äußerungen gemacht, schrieb Selenskyj auf der Plattform X. Für Russlands Staatsfernsehen sei "Hassrhetorik eine Routine". 

Russland begründete den Krieg gegen die Ukraine immer wieder mit dem angeblichen Ziel, das Land zu "denazifizieren". Russische Militärblogger begrüßten hingegen nach dem Angriff der Hamas auf Israel die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten, weil sie die Unterstützung der Ukraine durch westliche Länder senken könnte und verbreiteten dabei teils ebenfalls israelfeindliche und antisemitische Parolen.

Regelmäßige antisemitische Äußerungen russischer Politiker

Zugleich fielen Vertreter Russlands immer wieder mit judenfeindlichen Äußerungen auf: So behauptete Außenminister Sergej Lawrow bereits im vergangenen Jahr, Adolf Hitler habe "jüdisches Blut" gehabt. Damit rechtfertigte der Minister die Vorwürfe einer angeblichen Naziideologie seitens seiner Regierung gegen die Ukraine und deren jüdischen Präsidenten Selenskyj. Putin machte sich erst kürzlich mit antisemitischem Unterton über einen russischen Oligarchen lustig, der nach Kriegsbeginn nach Israel emigriert war.

Alexander Werchowski, der Leiter des in Moskau ansässigen Zentrums Sowa, einer NGO, die sich mit nationalistisch motiviertem Extremismus beschäftigt, sagte dem Portal Agentstwo, antiisraelische Propaganda im russischen Staatsfernsehen und die Unterstützung der russischen Regierung für Palästina hätten die antisemitischen Vorfälle mitverursacht. Die Haltung der Regierung werde von Gegnern Israels als Zeichen verstanden, dass sie sich "entschlossenere Aktionen als bisher" erlauben könnten.

Zuletzt hatte Israel Russland für die Beziehungen des Landes zur palästinensischen Terrororganisation Hamas kritisiert. Anlass war der Besuch einer Hamas-Delegation in Moskau. Details aus den Gesprächen, an denen auch Vertreter Irans teilnahmen, sind nicht genau bekannt. Russische Staatsmedien zitierten Delegationsmitglieder, es sei dabei um "westliche Unterstützung für israelische Verbrechen" gegangen. 

Israel forderte daraufhin Russlands Regierung auf, die Hamas-Vertreter auszuweisen. Im russischen Krieg gegen die Ukraine hat die israelische Regierung bisher versucht, seine Beziehungen zu Russland nicht durch eine zu starke Unterstützung des angegriffenen Landes zu beschädigen, und verzichtete beispielsweise auf Waffenlieferungen an die Ukraine. 

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