D-Day: Eine französische Fotografin hat Zeitzeugen porträtiert

22 Tage vor

Der "Längste Tag": Am 6. Juni 1944 landen alliierte Truppen in der Normandie. Der D-Day eröffnet eine zweite Front – und führt mit zur Befreiung Europas.

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Foto STERN.de

© Bert Brandt / Picture Alliance / AP

Vor 80 Jahren landeten die Alliierten im besetzten Frankreich. Der D-Day trug zum Ende des Zweiten Weltkriegs bei. Delphine Lefebvre hat in der Normandie Zeitzeugen interviewt und fotografiert. Es sind Bilder eines Tages, der den Lauf der Geschichte verändert hat.

Madeleine ist 95 Jahre alt, sieht aber viel jünger aus. Sie sitzt auf dem Bett ihres Schlafzimmers, neben sich ein Telefon mit riesigen Tasten, und blickt direkt in die Kamera. Würdevoll, vielleicht ein wenig stolz auf das, was sie in ihrem Leben schon alles bewältigt hat. Madeleine hat so viel erlebt in fast 100 Jahren. Und zu ihren eindrücklichsten Erinnerungen gehört jener Tag, der die Welt für immer verändern sollte. 

Madeleine war 15 Jahre alt, als das Meer am 6. Juni 1944 die größte Streitmacht an die Küste der Normandie brachte, die je für eine Landung dieser Art zusammengestellt worden war: Fast 7000 Schiffe und mehr als 130.000 Soldaten waren an einem Wagnis beteiligt, das alle Dimensionen des bis dato Bekannten übertreffen sollte – die Landung der Alliierten in der Normandie. Ob man die Vorgänge von damals "D-Day" nennt, "Operation Overlord" oder den "Längsten Tag": Mit dem gewaltigen militärischen und logistischen Kraftakt beschleunigte sich das Ende des Dritten Reiches rapide. Die Eröffnung einer zweiten Front führte zum Zusammenbruch des Hitler-Regimes und letzterdings zur bedingungslosen deutschen Kapitulation im Mai 1945.

Madeleine erinnert sich: "Wir hatten erwartet, die Briten zu sehen, aber wir sahen diese Männer, die von so weit her gekommen waren, um uns zu befreien. Die Amerikaner sind und bleiben meine Helden. Wir feierten gemeinsam die Einnahme von Cherbourg im Speisesaal eines Bauernhauses und sangen die amerikanischen und französischen Nationalhymnen."

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Foto STERN.de

Zurück in der Normandie – Fotoprojekt widmet sich dem D-Day und seinen Zeugen

Festgehalten hat diese Eindrücke die französische Fotografin Delphine Lefebvre. Die 33-Jährige lebt in der nordfranzösischen Stadt Amiens, aber mit dem Landstrich der Normandie verbindet sie viele, viele Kindheitserinnerungen: Lefebvres Großmutter Paulette, Jahrgang 1925, hatte bis 1943 in Ouistreham nahe Caen gelebt. Hier hatte Paulette ihren späteren Ehemann kennengelernt. Und hier hatte sich das Paar nach dem Krieg niedergelassen und 1958 ein Haus gekauft. Ihre Enkeltochter Delphine verbrachte als Kind jeden Sommer bei ihrer Großmutter in der Normandie. Der Strandabschnitt "Sword", an dem 1944 mehr als 28.000 britische Soldaten gelandet waren, wurde Lefebvres Spielplatz und zweites Zuhause. 

D-Day: Die Geschichten von damals beschäftigen die Fotografin seit ihrer Kindheit

"Ich liebte es, wenn mir Großmutter Geschichten von früher erzählte", blickt die Fotografin zurück. Auch Kriegserinnerungen gehörten dazu. Die Ereignisse in der Normandie beschäftigten Lefebvre als Kind – und später als Erwachsene. "Meine Großmutter war 2014 vom damaligen französischen Staatspräsidenten Hollande zu den Gedenkfeiern zum D-Day eingeladen worden", sagt die Fotografin, "leider konnte ich sie nicht begleiten. Aber ich beschloss, ihre Erinnerungen an damals aufzuschreiben." Das Projekt blieb unvollendet, denn im Februar 2016 starb Paulette im Alter von 90 Jahren.

Die Idee jedoch ließ Delphine Lefebvre nicht los. Im August 2023 zog sie für sechs Wochen von Amiens in die Normandie, an den Ort glücklicher Kindheitserinnerungen. Mit Hilfe der Lokalpresse fand sie andere Zeitzeugen, die mit ihr über den Juni 1944 redeten. Lefebvre führte Interviews. "Dabei ließ ich eine Videokamera mitlaufen, um all die kleinen Details der Erinnerungen für die Nachwelt festzuhalten. Zum Abschluss machte ich dann die Porträtfotos." Lefebvre sah sich Dokumentarfilme an und studierte Bücher, um die Aussagen der Zeitzeugen in die richtigen geschichtlichen Zusammenhänge einbetten zu können. Und sie fotografierte die Landschaft, das Meer und all die Felder, Wiesen und Plätze, um ihre Erinnerungsarbeit im richtigen Raum zu verorten. "Jeder Mensch, mit dem ich sprach, war auf seine Art besonders. Und jede Erzählung war für mich wertvoll."

Die Zeitzeugen erinnerten sich immer wieder auch an Tragisches

Immer wieder berichteten die Zeitzeugen auch Bedrückendes – etwa Paul, der zum Zeitpunkt des Interviews 97 Jahre alt war: Acht Mitglieder seiner Familie waren bei der Befreiung von Caen im Rahmen der "Operation Goodwood" zwischen dem 18. und 20. Juli 1944 getötet worden. Oder Rémy, 89: Seine Jugendfreundin Odette war durch eine britische Fliegerbombe ums Leben gekommen und Rémy es danach nie mehr möglich, die Briten "Befreier" zu nennen: "Die Deutschen waren doch schon weg. Warum haben die Engländer weiter bombardiert und alles zerstört?"

"Auch solche Stimmen wollte ich festhalten", sagt Fotografin Delphine Lefebvre. "Bevor sie für immer verstummen."

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