Seit 50 Jahren in Deutschland: Wie schweizerisch fühlt sich ...
Frau Schwab, was braucht ein guter Fernsehkrimi, abgesehen von Täter, Opfer und Ermittler?
Meiner Meinung nach braucht er nicht nur die Fakten, sondern auch eine psychologische Seite. Die Zuschauer müssen verstehen, warum ein Mensch solche Grenzen überschreitet und jemanden tötet. Das macht einen guten Krimi aus.
Ist das, neben der besonderen Kulisse, auch ein Merkmal der Reihe „Die Toten am Meer“, aus der die ARD am 9. November um 20.15 Uhr den Film „Tod an der Klippe“ zeigt?
Ich finde schon. Der dritte Film ist besonders gut gelungen, sehr gut geschrieben und auch sehr gut gespielt. Es gibt mit Arielle eine äußerst faszinierende Hauptfigur. Zusammen mit den Bildern dieser rauen Gegend da oben ist das wirklich ein besonderer Krimi.
Sie spielen in der Reihe die ehemalige Polizistin Elisabeth Haller. Welche drei Worte beschreiben diese Figur am besten?
Suchtkrank. Ehrgeizig. Kreativ. Sie liebt Gedichte, ist sehr literaturaffin.
Elisabeth Haller entdeckt ihre Liebe zur Lyrik wieder. Sollten wir alle mehr Gedichte lesen?
Ja, ja, ja! Aber nicht nur Gedichte, sondern Bücher im Allgemeinen. Ich lese gerade überall, dass die Jugend sich wieder auf den Weg macht, Bücher zu lesen. Das finde ich großartig.
Welches Buch haben Sie denn zuletzt gelesen?
„Das Café ohne Namen“ von Robert Seethaler, ein ganz tolles Buch. Ich bin sowieso begeistert von Seethaler, ach, da könnte ich mich reinlegen. Wenn ich morgens nicht aufstehen müsste, würde ich die ganze Nacht durchlesen.
Zur PersonCharlotte Schwab (71) schloss vor ihrer Schauspielausbildung eine Lehre zur Telefonistin ab. 1974 erhielt die gebürtige Baslerin ihr erstes Theaterengagement, anschließend stand sie viele Jahre auf verschiedenen Bühnen in Deutschland und der Schweiz, bevor sie sich verstärkt dem Fernsehen widmete. Von 1997 bis 2008 (und noch einmal 2016) war sie in der RTL-Serie „Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“ zu sehen, von 2002 bis 2012 in der ZDF-Krimireihe „Das Duo“. Auf der Theaterbühne war sie zuletzt in Bad Hersfeld im Shakespeare-Klassiker „König Lear“ zu sehen. Schwab hat zwei Söhne aus zwei Ehen. Sie lebt derzeit in München.
Ist Elisabeth Haller für Sie als Schauspielerin eigentlich eine dankbare Figur?
Ja, total. Das gibt es ja ganz selten, eine alte Frau in einem Film. (lacht) Im ersten Film lag der Fokus noch sehr stark auf ihr, der suspendierten Kommissarin, aber das verliert sich langsam. Eine Alkoholkranke, die mit der Sucht kämpft, sie mal besiegt und dann doch wieder rückfällig wird … Ich habe auch schon andere Kommissarinnen gespielt, aber diese komplexe, spröde und eigensinnige Figur, das ist wirklich etwas Besonderes.
Würden Sie sagen, die Reihe an sich und insbesondere Ihre Figur hat das Potenzial für weitere Filme?
Absolut. Ob es weitergeht, hängt aber natürlich immer noch maßgeblich von der Quote ab. Und die Quoten sind einfach nicht mehr so, wie sie früher mal waren, es ist spürbar, wie die Zahlen – beispielsweise durch Streaming – runtergehen. Außer vielleicht beim Tatort. Diese Reihe ist auf jeden Fall sehr besonders, sie kann sich noch steigern, gerade weil in den Figuren so viel Potenzial steckt, in der alten Kommissarin genauso wie in der jungen. Und wenn die Redakteure mutig sind, dann verfolgen sie das weiter.
Man hört immer wieder, dass für Schauspielerinnen mit dem Alter die guten Rollen immer weniger werden. Beobachten Sie das auch?
Ja. Und ich glaube, dass es inzwischen etwas besser geworden ist. Man muss sich nur mal die Gesellschaft angucken. Es wird immer gesagt, 60 ist das neue 50, was ich eigentlich überhaupt nicht mag, weil es völliger Quatsch ist.
Aber es ist tatsächlich so, vor 20 oder 30 Jahren wurden die 70-jährigen Frauen gar nicht mehr gesehen. Sie kamen schlichtweg nicht mehr vor – und das hat sich in der Gesellschaft definitiv verändert und damit auch im Film. Aber es ist immer noch so: Wenn ein in einem Film die männliche Hauptfigur 60 ist, dann ist seine Frau vielleicht 40, aber niemals 60. In guten Filmen wäre sie das.
Sie stehen seit vielen Jahrzehnten auf der Bühne und vor der Kamera. Gibt es Kolleginnen oder Kollegen, mit denen Sie besonders gern zusammenarbeiten?
Es gibt selbstverständlich Regisseure und Regisseurinnen, Schauspieler und Schauspielerinnen, die ich großartig finde. Nicht nur im Theater, sondern auch beim Drehen. Ich möchte eigentlich keine Namen nennen, aber es gibt beispielsweise Frauen wie Corinna Harfouch oder Dagmar Manzel, mit denen ich sehr gerne arbeite, weil das Zusammenspiel einfach besonders ist.
Ihr Sohn Max Simonischek ist auch ein Kollege. Sie standen gemeinsam für den Film „Zwingli“ vor der Kamera. War das etwas Besonderes?
Ja. Er hat Zwingli gespielt und ich seine Schwiegermutter, die ihn allerdings vollkommen ablehnt. Wir hatten kaum Szenen zusammen, aber in einer Szene, in der er predigt, da habe ich mich dabei erwischt, dass ich dachte: Wie sich das alles plötzlich umdreht! Da kommt der Zwingli mit seinen neuen Ideen und belehrt uns Alte – für mich war es das Gefühl, dass mein Kind mir jetzt sagt, wo‘s langgeht. (lacht)
Sie leben schon deutlich länger in Deutschland als jemals in Ihrem Geburtsland, der Schweiz. Fühlen Sie sich denn noch schweizerisch?
Nein. Oder auch ja? Es ist schwierig. Ich lebe jetzt 50 Jahre in Deutschland. Aber wie fühle ich mich? Ich kann das gar nicht zuordnen. Ich kam sehr jung hierher, war 22 und bin in Deutschland sozialisiert worden. Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland ist ja mitunter recht schwierig, von den Schweizern aus gesehen.
Ich glaube, wenn man äußerliche Maßstäbe ansetzt, fühle ich mich eher deutsch. Zum Beispiel, wenn es um die Sprache geht. Ein Schweizer würde im Restaurant so etwas sagen wie: „Ich hätte gerne ein Glas Weißwein, wenn Sie so gut sein wollen.“ Ich sage ganz direkt: „Bringen Sie mir einen Weißwein.“ Wenn ich in der Schweiz bin, merke ich, dass ich anders bin.
Haben Sie denn den Schweizer Pass noch oder sind Sie inzwischen in Deutschland eingebürgert worden?
Ich habe immer nur den Schweizer Pass gehabt, aber jetzt gedacht: Ich muss doch in Deutschland wählen können!
Sie wollen also Deutsche werden, um hier wählen zu können?
Ja, ich finde, man sollte dort wählen, wo man lebt. Ich habe die Staatsbürgerschaft beantragt, schon vor einem Jahr, und jetzt warte ich. Ich habe das nicht nur getan, weil ich Deutsche werden will, sondern auch, weil ich Europäerin werden will.
Vor ein paar Jahren haben Sie mal gesagt, Sie könnten sich vorstellen, irgendwann in die Schweiz zurückzugehen. Da Sie sich inzwischen eher deutsch fühlen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt haben, haben Sie sich von dem Gedanken vermutlich verabschiedet, oder?
Der Gedanke war zuletzt sogar sehr aktuell, weil ich aus München wegziehen werde. Ich bin aus dem festen Vertrag mit dem Residenztheater schon eine Weile raus, und nächstes Jahr muss ich auch aus meiner Wohnung. Deshalb habe ich stark überlegt, nach Basel zurückzugehen, in meine Heimatstadt, wo auch meine Geschwister noch leben. Aber den Gedanken habe ich wieder aufgegeben – ich gehe zurück nach Hamburg, wo ich viele Jahre gelebt habe.
Das Meer hat es Ihnen angetan?
Der Norden generell. Ich kann mich erinnern, als ich in den 70er-Jahren in Düsseldorf engagiert war, da dachte ich: Ich gehe keinen einzigen Schritt weiter nach Norden. Und dann bin ich von Düsseldorf nach Bremen ans Theater gegangen. (lacht) Und ich habe es geliebt! Es ist ähnlich, wenn ich in Italien bin – ich habe dort immer das Gefühl: Da gehöre ich hin.
Das habe ich im Norden nicht so extrem, aber der Norden fasziniert mich. Auch Husum, wo wir „Die Toten vom Meer“ drehen. Ich liebe es da! Ich weiß nicht, ob ich in Husum meine Zelte aufschlagen möchte, oder in Lübeck, wo wir zehn Jahre lang „Das Duo“ gedreht haben. Aber ich fühle mich im Norden irre wohl und weiß nicht warum. Vielleicht ist es die Kargheit der Landschaft? Der Regen? Die knorrigen Leute? Ich habe irgendwie ein Faible dafür.
Können Sie sich eigentlich vorstellen, ganz in den Ruhestand zu gehen?
Eine schwierige Frage. Ich werde 72 im Dezember, am Theater habe ich schon lange reduziert, Filmrollen gibt es ohnehin weniger, aber ich würde auch nicht mehr alles spielen. Die Kinder sind lange aus dem Haus … Mein älterer Sohn ist jetzt 42 geworden, und ich habe gedacht: 42? Das gibt‘s doch nicht! Der geht auf die 50 zu, ich bin doch erst gerade auf die 50 zugegangen! Das ist verrückt, wenn man sich das richtig bewusst macht.
Ich bin seit 50 Jahren in diesem Beruf und ich glaube, dass jeder Mensch im Leben eine Aufgabe braucht. Natürlich kann ich mir andere Aufgaben suchen. Es ist für mich auch überhaupt kein Problem, länger am Stück freizuhaben, das hatte ich auch früher schon, das ist ja bei Schauspielern so. Ich kann meine Tage gut ausfüllen, ich habe genügend Interessen. Aber es macht mir immer noch Freude, Theater zu spielen oder zu drehen, und ich behaupte, das ist das, was ich am besten kann. Deshalb möchte ich meinen Beruf nicht ganz aufgeben. Noch nicht.
Wie oft sind Sie eigentlich noch in der Schweiz?
Ich bin sehr oft da, habe ja Familie und Freunde in Basel, ebenso in Zürich, dort bin ich aktuell am Schauspielhaus. Das ist sehr schön.
Fühlt sich Basel wie Heimat an?
Mein Zuhause ist immer da, wo meine Lieben sind, wo mein Schreibtisch steht. Aber wenn ich in Basel bin, spüre ich: Da kommst du her. Das ist unverrückbar. Ob das jetzt positiv oder negativ ist, sei dahingestellt. (lacht)