BVB verliert mehr als ein Spiel: Supertrainer Hansi Flick zähmt das ...
Der gute Start von Hansi Flick in Barcelona ist beinahe vergessen. Längst läuft nicht mehr alles rund. Ausgerechnet bei der Rückkehr nach Deutschland aber zeigen sich die Katalanen von ihrer besten Seite. Flick ist stolz, der BVB hingegen erschüttert.
Nach mitreißenden, das Dortmunder Westfalenstadion immer wieder aufrüttelnden Minuten breitete sich in der 86. Minute Schockstille aus. Nach einer eigenen Ecke hatte ein unaufmerksamer Pass von Nationalspieler Pascal Groß die erste Heimniederlage des BVB in der Champions League seit drei Jahren eingeleitet. Ferran Torres schloss aus spitzem Winkel einen Konter ab und nur ganz im Norden des Stadions jubelten die mitgereisten Fans aus Barcelona. Dem Rest verschlug es für kurze Zeit die Stimme. Wenige Minuten später, mit dem Abpfiff des französischen Schiedsrichters Francois Letexier, waren sie aus anderen Gründen geschockt.
Mit 2:3 (0:0) unterlagen die Westfalen Hansi Flicks FC Barcelona. Der ehemalige Bundestrainer war stolz auf seine Mannschaft, die nun mit 15 Punkten auf Platz zwei der neuen Champions-League-Tabelle steht. Der 59-Jährige hatte mit Doppeltorschützen Ferran Torres den Sieg eingewechselt und in einem der "Tempel der Königsklasse" eine erste richtige Krise in seiner neuen sportlichen Heimat abgewendet.
Borussia Dortmund - FC Barcelona 2:3 (0:0)
Tore: 0:1 Raphinha (52.), 1:1 Guirassy (60./Foulelfmeter), 1:2 Torres (75.), 2:2 Guirassy (78.), 2:3 Torres (85.)Dortmund: Kobel - Ryerson (46. Couto), Can, Schlotterbeck, Bensebaini - Reyna (73. Groß), Nmecha - Sabitzer, Duranville (73. Malen), Guirassy, Gittens. - Trainer: Sahin.Barcelona: Inaki - Koundé, Cubarsi, Martínez, Balde - Yamal (90. Pau Victor), Pedri, Casadó, Olmo (71. López, 90.+3 Eric), Raphinha (71. de Jong), Lewandowski (71. Torres). - Trainer: Flick.Schiedsrichter: Francois Letexier (Frankreich)Gelbe Karten: Sabitzer, Nmecha, Couto, Bensebaini - Cubarsi, TorresZuschauer: 81.365 (ausverkauft)
Der BVB muss dagegen mit zwölf Punkten aus sechs Spielen um den direkten Einzug ins Achtelfinale bangen und sehr wahrscheinlich für längere Zeit ohne nur einen einzigen Innenverteidiger auskommen. Mit der letzten Aktion des Spiels verletzte sich Nico Schlotterbeck am Sprunggelenk. Er wurde direkt aus dem Stadion ins Krankenhaus verbracht. Die Diagnose dürfte den Dortmundern nicht gefallen. Sie müssen bereits auf Niklas Süle und Waldemar Anton verzichten. Auch Außenverteidiger Julian Ryerson konnte das Spiel nicht beenden. Er musste bereits zur Halbzeit vom Platz. Die Dortmunder hängen in den letzten Wochen des Jahres 2024 in den Seilen.
Dortmund verliert mehr als ein Spiel"Wir haben heute zwei wichtige Spieler mit Verletzungen verloren und dann auch noch das Spiel", lamentierte BVB-Trainer Nuri Sahin nach dem Spiel. "Ich möchte nicht hören, dass wir gut gespielt haben. Wir müssen diese Spiele gewinnen und nicht die Fehler machen, die wir gemacht haben. Auf diesem Level ist kein Platz für solche Fehler." Einer von ihnen, der Pass von Groß auf Jamie Gittens hatte zum 2:3 geführt, ein Ballverlust im Mittelfeld zum 0:1 durch Raphina (52.) und eine missglückte Abwehr von Keeper Gregor Kobel zum 1:2 durch Ferran Torres (75.) nur Sekunden nach dessen Einwechslung für Robert Lewandowski. Die Tore von Serhou Guirassy (Elfmeter, 59. Minute und 78.) waren für den BVB wertlos.
Hansi Flick ist ein Dompteur.
(Foto: IMAGO/Team 2)
Für Supertrainer Flick hatte bei seiner ersten Rückkehr nach Deutschland viel auf dem Spiel gestanden. In der Liga war es seit Wochen nicht mehr so rund gelaufen, erste vorsichtige Kritik an ihm war zu vernehmen - und auch in der Königsklasse hing das direkte Weiterkommen vielleicht an diesem Trip nach Dortmund. Als dieser beendet war, schrieb "Marca": "Mit dieser Leistung ist Barcelona klarer Favorit in diesem Wettbewerb." Unrecht hatten sie damit bestimmt nicht. Allein die ersten 15, 20 Minuten des Spiels waren der Beweis dafür.
Wilder Auftakt von BarcelonaDenn die Katalanen waren furios gestartet: Barcelona wollte Borussia Dortmund zerreißen. Sie kamen raus und attackierten den Bundesligisten, sie rannten Löcher in das Mittelfeld, spielten immer die Verteidigung um den viel zu hoch verteidigenden Nico Schlotterbeck aus. Angetrieben vom ehemaligen Leipziger Dani Olmo drückten sie den BVB an die Südtribüne, der kaum noch atmen konnte.
Da waren gerade fünf Minuten gespielt, da war Kapitän Raphinha bereits an einer heranhoppelnden Hereingabe vorbeigegrätscht, da hatte Außenverteidiger Alejandro Balde unter Mithilfe eines Abwehrbeins den Ball bereits an den Pfosten gebracht. Nach kaum 14 Minuten schmiss sich Raphinha in Lamine Yamals unglaubliche Außenristflanke, diesmal trudelte der Ball am Pfosten vorbei ins Aus. Barcelona hatte die Karten auf den Tisch gelegt und dabei ein unglaubliches Blatt präsentiert. Wenn der BVB etwas probierte, saugte es das Mittelfeld um den 21-jährigen Marc Casado auf.
"Die erste Halbzeit", sagte Flick nach dem Spiel, "war eine der besten von uns. Wir waren mit Ball einfach gut heute. Wir hatten ein sehr gutes Positionsspiel. Wir waren sehr ballsicher. Das hat mir sehr gut gefallen", so der stolze Trainer. Um Borussia Dortmund stand es in diesen ersten 45 Minuten wirklich nicht gut, da hatte Flick recht. Trainer Nuri Sahin war hohes Risiko gegangen. Er hatte mit Gio Reyna und Julien Duranville gleich zwei Spielern überraschend zu ihrem Startelfdebüt in dieser Saison verholfen.
Barcelona lauert, Dortmund lädt einFür den Belgier Duranville, häufig von Verletzungen geplagt, war es der erste Einsatz von Beginn überhaupt. In bald zwei Jahren in Dortmund hatte er zuvor gerade einmal insgesamt 178 Pflichtspielminuten absolviert. Mit dem formstarken Jamie Gittens hatte Sahin auf einen weiteren schnellen Flügel gesetzt und gehofft. Doch sein Plan drohte in dieser rasanten Anfangsphase kolossal zu scheitern. Erst in der zweiten Halbzeit drückte der BVB das eigene Spiel zumindest in Phasen durch. Da deuteten sie an, wie sie mit Tempo in Umschaltsituationen kommen, wie sie über die Flügel immer wieder Probleme kreieren können. Es war nicht genug. Letztlich kreierten sie zu viele Probleme für sich selbst.
Für Dortmund blieb es in einer wilden zweiten Halbzeit bei guten, manchmal sogar herausragenden Phasen. Barcelona lauerte auf Fehler. Das war genug. Nach Ballgewinnen stürzten sie sich auf die Dortmunder Restverteidigung und kamen so zu ihren Treffern durch Raphina und Ferran Torres. Es war so: Je offener der BVB das Spiel gestaltete, desto mehr rannte er in die Probleme hinein. Denn Barcelona wollte das. Wollte vielleicht auch etwas leiden und daraus eine eigene Stärke entwickeln.
"Wir sind in der zweiten Halbzeit stabil geblieben, sind auch nach dem 1:1 und nach dem 2:2 zurückgekommen", schwärmte Flick, für den es jetzt etwas entspannter werden dürfte. Denn entspannt war es in den vergangenen Wochen in seiner neuen Heimat nicht mehr so. Der Supertrainer drohte abzurutschen.
Flicks "Scheißmonat"Auf die große Euphorie nach dem Start des ehemaligen Bundestrainers war für Flick vor seiner Jokershow in Dortmund die große Scheiße gefolgt. Erst hatte er mit Barcelona keine Spiele verloren. Dann hatte er die wirklich wichtigen nicht nur gewonnen, sondern die Gegner wie ein PacMan-Monster mit weit aufgerissenem Maul aufgefressen. Barcelona war nicht zu stoppen. Nicht vom FC Bayern, der mit 1:4 zurück nach München geschickt wurde. Und auch nicht von Real Madrid, die nach dem 0:4 im heimischen Bernabeu an ihrer eigenen Existenz zweifelten.
Dann aber folgte ein "Scheißmonat", wie Flick den November kürzlich genannt hatte. Die Gegner hatten sich mit taktischen Anpassungen auf Flicks Pressingmaschine eingestellt. Die Abseitsfalle ist kein zuschnappendes Krokodil mehr. Gegen Real Madrid übertölpelten sie den Gegner zwölfmal. Weit über 100 Mal ließen sie die Gegner in der spanischen Liga in die Falle laufen. In den europäischen Topligen gibt es keine Mannschaft, die dem nur annähernd nahekommt. Parma in der Serie A bringt es auf 55 Abseitspositionen, in der Bundesliga führt Stuttgart mit 36 Pfiffen. Aber das Barcelona-Krokodil ist nicht mehr ganz so hungrig. Beim 2:2 bei Betis Sevilla blieb es ganz ohne Futter.
Das war im Westfalenstadion nicht der Fall. Immer wieder verteidigte Flicks Barcelona in der zweiten Halbzeit nahe der Mittellinie, schob so hoch, bis es nicht mehr ging und kam so zu hohen Ballgewinnen und in das ganz schnelle Umschaltspiel. Es war für Dortmund kaum zu verteidigen und selten zu überwinden.
Dani Olmo: "Sieg in einem der Tempel der Königsklasse"Einmal, beim herrlichen 2:2 durch Guirassy hatte der zur Halbzeit für Julian Ryerson gekommene Yan Couto die Falle mit einem Pass auf Groß ausgehebelt. Ansonsten war der BVB nicht nur sechsmal ins Abseits gelaufen, sondern hatte trotz der schnellen Außenspieler zu selten eine Antwort auf Flicks taktisches Risiko gefunden. Zu selten verlagerten sie das Spiel und erwischten Barcelona dadurch an empfindlichen Stellen. Dabei hatten Blaugrana einen Heidenrespekt und feierten den Erfolg dementsprechend.
Dani Olmo war nicht zu stoppen, schon gar nicht von Yan Couto.
(Foto: IMAGO/Maximilian Koch)
"Das Stadion hier ist ein Tempel der Königsklasse", schwärmte der ehemalige Leipziger Olmo nach dem Spiel. Er war wie der Rest seiner Mannschaft unfassbar stolz. "In Dortmund zu gewinnen, ist eine sehr, sehr schwere Aufgabe", sagte Lamine Yamal. "Das war so wichtig für uns als Team und für die kommenden Wochen. Wir sind so glücklich. Wir haben uns jetzt mit Selbstvertrauen vollgesaugt."
Dortmund steuert auf trübe Weihnachten zuDieses Selbstvertrauen hatte sich Barcelona, die nach dem "Scheißmonat November" und mit nur zwei Siegen aus den vergangenen sechs Pflichtspielen angeschlagen angereist waren, gegen ein wildes Westfalenstadion außer Rand und Band gewonnen. Besonders rund um den zweiten Guirassy-Treffer in der 78. Minute hatte sich das Dortmunder Stadion in einen Rausch gebrüllt und so auch die Spieler befeuert, die für kurze Zeit jeden Zweikampf gewannen und unzerstörbar wirkten. Dass dies nicht der Fall war, zeigte der hektische Pass von Groß und auf eine ganze andere, viel schlimmere Art die Verletzung Schlotterbecks.
Borussia Dortmund geht mal wieder trüben Wochen entgegen. Vor der Bologna-Reise in der Königsklasse am 21. Januar müssen sie in der Liga die Hinrunde zu Ende spielen und den Auftakt der Rückrunde erfolgreich absolvieren. In der Bundesliga liegen sie nach 13. Spieltagen nur auf Rang sechs. Mit Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen, Kiel und Frankfurt warten bis Bologna einige starke Klubs und nur wenige Pflichtsiege auf die verbliebenen Spieler von Trainer Sahin. Der BVB braucht dringend neue Verteidiger. Doch woher sollen die kommen? Die Westfalen steuern auf unruhige Weihnachten zu, Supertrainer Flick nach seiner Zähmung des Westfalenstadions nicht.