Generaldebatte im Bundestag: Voller Tritt gegen das Glaskinn von ...
Stand: 31.01.2024, 16:46 Uhr
Von: Christine Dankbar
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Die Haushaltsdebatte im Bundestag ist traditionell die Abrechnung der Opposition mit der Regierung. Diesmal war es umgekehrt.
Stell Dir vor, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) redet im Bundestag und alle Ampelfraktionen reagieren mit heftigem Applaus, mit Jubel gar. Das ist so bemerkenswert in diesen Zeiten, wie die Tatsache, dass der Haushalt für das Jahr 2024 erst Anfang Februar 2024 verabschiedet wird.
Die Debatte zog sich über den gesamten Mittwochnachmittag (31. Januar) hin, denn am Vormittag stand zunächst die Gedenkstunde zur Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz vor 79 Jahren an. Wer regelmäßig daran teilnimmt, weiß, dass diese Feierstunden keineswegs nur Gedenkroutine bedeuten.
Kanzler Scholz rechnet mit CDU-Chef Merz abDieses Jahr sprachen die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi, die als Zwölfjährige aus dem Konzentrationslager Auschwitz befreit worden war, und der Sportjournalist Marcel Reif, dessen jüdischer Vater die Verfolgung überlebte.
Dass es den Politiker:innen danach nicht leicht fällt, zur normalen politischen Auseinandersetzung überzugehen, wirkt glaubhaft und auch sympathisch.. Und da bei der Generaldebatte immer die größte Oppositionsfraktion beginnt, hatte es Friedrich Merz (CDU) als erster Redner schwer, in den nötigen Empörungsmodus zu finden.
Man muss das alles vorausschicken, um die einigermaßen erstaunliche Umkehrung der Verhältnisse zu schildern, die sich am Mittwoch im Bundestag ereignet hat. Denn eigentlich ist die Debatte zum Haushalt des Bundeskanzleramtes traditionell die Gelegenheit zur Generalabrechnung der Opposition mit der Regierung. Dieses Mal stand sie allerdings eher im Zeichen der Abrechnung des Bundeskanzlers mit dem Oppositionsführer Friedrich Merz.
Friedrich Merz (CDU, r.), CDU-Bundesvorsitzender und Unionsfraktionsvorsitzender, spricht neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag in der Generaldebatte zum Etat des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. © Kay Nietfeld/dpaScholz hatte den Vorteil, dass er als zweiter Redner direkt auf den Oppositionsführer reagieren konnte – und er nutzte ihn geradezu kaltblütig. Scholz begann mit einem Zitat der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi vom Vormittag: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“. Daraufhin gab es einen Zwischenruf zum Thema CumEx aus den Reihen der Union. Vielleicht war es diese kleine Szene, die Scholz veranlasste, auf Attacke umzuschalten. Vielleicht hatte er es sich ohnehin vorgenommen. Das Ergebnis war jedenfalls erstaunlich.
Scholz redete weitgehend frei, was in seinem Fall immer die bessere Wahl ist. Stück für Stück nahm er die Argumentationen von Merz auseinander: Keinerlei brauchbare Vorschläge aus der Union, stattdessen nur die Propagierung von Wachstumsbremsen. Die Ampel, so Scholz, räume immer noch auf, was die Union in ihren 16 Jahren Regierungszeit liegengelassen habe. Das hat er schon mehrfach in verschiedenen Variationen gesagt. Doch diesmal gipfelte er mit einem gezielten Schlag gegen Merz‘ Ego. Scholz warf ihm vor, eine Mimose zu sein, wenn er selbst mal kritisiert werden. Wer boxe, der sollte kein Glaskinn haben, sagte der Kanzler und fügte dann geradezu genüsslich hinzu: „Aber Sie haben ein ganz schönes Glaskinn, Herr Merz.“
Olaf Scholz zeigt im Bundestag: Die Ampel lebtMan kann diesen Schlagabtausch für zweitrangig halten angesichts der Probleme in Deutschland, für albern und unernst. Doch Tatsache ist nun mal, dass das Parlament der Ort der Reden ist und hier gewinnt, wer am besten gesprochen hat. Am Mittwoch hat Olaf Scholz gewonnen.
Der Kanzler kämpft, die Ampel lebt. Das ist für die Koalitionsfraktionen eine gute Nachricht. Wer weiß, vielleicht versammeln sich alle drei doch noch halbwegs einig hinter ihm – wenn er denn die Führung weiterhin wahrnimmt. So oder so ist es mal ein guter Tag für sie gewesen.
Die Debatte am Mittwoch hat allerdings ein Problem offenbart, dem bisher noch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Vier Stunden waren für die Haushaltsdebatte am Mittwoch angesetzt. Die Abgeordneten der früheren Linken-Fraktion kamen ganz am Schluss an die Reihe. Der ehemalige Fraktionschef Dietmar Bartsch durfte daher erst um 15.30 Uhr ans Rednerpult treten, für ganze acht Minuten und dafür hatten ein paar andere ihre Redezeit abgegeben. Natürlich ist die Partei selbst schuld an ihrer Verzwergung im Parlament. Auch bei der Sitzordnung mussten sie im Wortsinne nach hinten rücken.
Das bedeutet aber auch, dass es damit im Bundestag so gut wie keine Kritik von links an der Politik der Bundesregierung mehr geben wird. So wird der politische Diskurs weiter verengt und schon wegen der lärmenden AfD-Fraktion immer weiter nach rechts verschoben. Ob das der Demokratie dient, darf bezweifelt werden. (Christine Dankbar)