Debatte im Bundestag: Ab jetzt ist Wahlkampf
Stand: 13.11.2024 19:16 Uhr
Mit der Regierungserklärung von Kanzler Scholz und der folgenden Debatte hat der Wahlkampf begonnen. Obwohl Scholz vor Spaltung warnt, hagelt es aus der Opposition vor allem scharfe Kritik.
Der, der noch Kanzler ist, und der, der es werden will: Olaf Scholz (SPD) und Friedrich Merz (CDU) haben sich heute ihr erstes Duell unter neuen Vorzeichen geliefert. Ein Wahlkampfduell, denn dass neu gewählt wird, steht fest. Den konkreten Termin muss der Bundespräsident noch festlegen.
Sie lieferten sich ein Rededuell, bei dem der eine immer wieder zur Zusammenarbeit mahnte, und der andere klare Grenzen für die gewünschte Kooperation aufzeigte. Merz will kein "Auswechselspieler" für eine auseinandergebrochene Regierung sein. Er kritisierte Scholz scharf, machte ihn und die Ampelkoalition verantwortlich für den Zustand des Landes.
Scholz warnte immer wieder davor, bei den Sozialausgaben zu sparen, um Geld zum Beispiel für die Ukraine zu haben. Beide warfen dem jeweils anderen vor, das Land zu spalten. Wo die Chance auf eine konstruktive Zusammenarbeit liegen soll - heute im Plenarsaal war sie nicht zu erkennen, auch wenn es hin und wieder auch ein bisschen Lob für die andere Seite gab.
Scholz erfüllt Erwartungen nur bedingtDie Erwartungen im Vorfeld der Debatte waren groß. Vor allem an Olaf Scholz. Es hieß, der Kanzler müsse liefern. Diese Rede müsse sitzen. Er müsse seine Fraktion und seine Partei mitnehmen, sie überzeugen, dass er der Richtige ist. Denn das Grummeln über ihn als Kanzlerkandidaten wird hörbarer. Hat er geliefert? Bedingt.
Er hat all die Themen angesprochen, die den Sozialdemokraten wichtig sind: Wirtschaftsinvestitionen, aber nicht zu Lasten der sozialen Sicherheit in Deutschland; Fortsetzung der militärischen Lieferungen an die Ukraine, aber ohne Marschflugkörper Taurus und die Erlaubnis, weit auf russisches Gebiet zu schießen; ein Ja zu mehr Schulden, auch wenn er stolz darauf sei, wie gut Deutschland mit seinem Geld umgehe.
Ein bisschen ausgestreckte HandZum Schluss mahnt der Kanzler vor allem die Union, Wahlkampf halte die Demokratie zwar lebendig, aber es gebe auch den Tag nach der Wahl, dann zähle nicht Polarisierung, sondern Kompromiss. "Wir sind besser dran, wenn wir zusammenhalten, wenn wir auch nach einer Auseinandersetzung einander noch in die Augen schauen können." Ein bisschen ausgestreckte Hand, aber wohl etwas zu moralisierend im Ton, um bei der Union auf offene Ohren zu stoßen. Scholz' Rede - kein fulminanter Appell, kein Befreiungsschlag.
Das Bild des gescheiterten Kanzlers konnte er so nicht abschütteln. Stellenweise wirkte seine Rede vor allem wie eine Beschwörung der eigenen Leute, deren Gefolgschaft er sich sichern wollte. Das Motto, ganz in Scholzscher Manier: nicht zu viel Emotion.
Merz' UnmutWährend der 30-minütigen Rede des Kanzlers bleiben die Reaktionen in der Union verhalten, vor allem bei der Führungsriege. Merz hat sich im Griff. Er, dem nachgesagt wird, er habe sich zu oft nicht unter Kontrolle, ganz kanzlerlike. Nur in wenigen Momenten hält er sich die Hand vor den Mund, will wohl verdecken, wie sehr er sich an einzelnen Stellen beherrschen muss. Die lauten Zwischenrufe, die es bei früheren Regierungserklärungen des Kanzlers auch von Unionsseite gab, finden an diesem Tag nicht statt.
Merz legt all seine Kritik, seinen Unmut, seine Verärgerung in seine Antwort auf Scholz. "Sie haben nicht verstanden, was draußen im Land geschieht", wirft er dem Kanzler vor. Seine Rede sei der letzte Beweis für "die Folgerichtigkeit des Scheiterns" seiner Regierung.
Seine Erklärung nach der Entlassung des Finanzministers sei eines Kanzlers schlicht unwürdig gewesen, "ein Tiefpunkt". Der Ton ist hart, geradezu unversöhnlich. Auch der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende präsentiert Punkte, mit denen er in den Wahlkampf ziehen will. Vor allem im Wirtschaftsbereich, beim Erhalt von Arbeitsplätzen. Er will eine "grundlegend andere Politik". Die einzig konkrete Zusage zur Zusammenarbeit, die Merz zu diesem Zeitpunkt an die Adresse von Scholz macht, ist der stärkere Schutz des Bundesverfassungsgerichts.
Baerbock zeigt sich versöhnlichEs ist die grüne Außenministerin, die die Probleme der Ampelkoalition offen einräumt. Baerbock vertritt Vizekanzler Habeck, der wegen einer Flugzeugpanne nicht rechtzeitig zurück nach Berlin kam. Auf Zwischenrufe reagiert sie mit einem Bibelzitat: "Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein."
Eigentlich ein passendes Motto für die gesamte Debatte, dem aber kaum eine oder einer ganz gerecht wird, auch Baerbock selbst nicht, als sie mehr Anstand, Rückgrat und Verantwortung einfordert, ohne Namen zu nennen, aber jeder weiß, wer gemeint ist. Sie wirbt trotz aller Probleme um Anerkennung dafür, dass die drei Parteien es versucht haben, wissend, dass es nicht einfach sei. Immer wieder klingt durch, dass die Grünen sich eine Fortsetzung hätten vorstellen können.
Lindner: Rückblick, Rechtfertigung, RichtigstellungGanz anders die FDP. Dem entlassenen Finanzminister ist die Verletzung noch immer anzumerken. Seine Rede - Rückblick, Rechtfertigung, Richtigstellung. Kaum ein Blick nach vorne. Er präsentiert sich einmal mehr als der Hüter der Schuldenbremse. Der Kanzler habe von ihm politische Unterwerfung gefordert.
Es sei ein kalkulierter Koalitionsbruch gewesen. Zwar haben sich die Reihen bei der Union während seiner Rede etwas gelichtet, aber er bekommt immer wieder Beifall von CDU- und CSU-Abgeordneten. Ein bisschen auch von Friedrich Merz. Der Versuch der Annäherung scheint zu gelingen.
Bereits vor Beginn der Regierungserklärung hatte Lindner die Nähe von Friedrich Merz gesucht. Zuerst stehen die beiden mit ein paar anderen Politikern zusammen; später sitzen sie nebeneinander, nur durch einen Gang getrennt. Bei der Rede von Merz, den Lindner wohl gerne als Koalitionspartner hätte, hält sich die FDP mit Klatschen zurück. So offenkundig sollte die Bewerbung dann wohl doch nicht sein.
Söder fordert "starke Führung"Kurioserweise ist es Alice Weidel, die einen Moment Einigkeit zwischen Scholz und Merz beschwört, als sie in ihrer Rede Merz als "Ersatz-Scholz" bezeichnet. Da müssen beide lachen. Ansonsten lässt Weidels Auftritt am Pult keinen Zweifel an den Positionen, mit denen die AfD in den Wahlkampf ziehen will - unter anderem will sie Atomkraftwerke wieder ans Netz nehmen und die deutschen Grenzen schließen.
Die lauten und ununterbrochenen Zwischenrufe aus der AfD-Fraktion führen dazu, dass sowohl Merz als auch der später redende bayerische Ministerpräsident sich klar von der AfD distanzieren. Es gebe keine Zusammenarbeit mit ihren Leuten, so Merz, weder vor noch nach der Wahl. Die Partei stehe für Hass und Hetze, sagt Söder. Deshalb werde man ihnen das Land nicht überlassen. Und um dem Regierungsanspruch der Union mehr Kraft zu verleihen, kommt dann noch ein klares Bekenntnis von Söder zum Kanzlerkandidaten. Das Land brauche "starke Führung", und die liege bei Friedrich Merz.
Die Parteien haben sich an diesem Nachmittag im Berliner Reichstag positioniert. Es war ein Vorgeschmack auf einen Wahlkampf, der schnell Fahrt aufnehmen wird.