Douglas & Co enttäuschen: Mehr Abgänge an der Börse

In den vergangenen Wochen hat sich wieder die Zahl der Unternehmen gehäuft, die einen Abschied von der Börse angekündigt haben. Den Aktionären im Streubesitz der Koblenzer Compugroup liegt ein Angebot des Finanzinvestors CVC vor. Der frühere M-Dax-Wert dürfte damit ebenso vom Kurszettel verschwinden wie About You , die vom Konkurrenten Zalando übernommen werden sollen. Aber auch ganz ohne Übernahme zieht sich auch ein Unternehmen wie die Deutsche Familienversicherung von der Börse zurück, da diese als Finanzierungsquelle nicht mehr attraktiv genug erscheint und die Kursentwicklung enttäuschend ist.
Um etwa zwölf Unternehmen dürfte der Kurszettel von in Deutschland börsennotierten Unternehmen in diesem Jahr schrumpfen. Rund 440 sind noch börsennotiert und damit weniger, als der amerikanische S&P-500 an Werten umfasst, vom amerikanischen Nebenwerteindex Russell 2000 ganz zu schweigen, der die kleinsten Unternehmen des Russell 3000 umfasst. In den 1950er- und 1960er-Jahren war die Neigung unter Deutschlands Unternehmern noch größer, sich Kapital über die Börse zu beschaffen. Ein Deutschland 500 Index hätte sich gut bestücken lassen.
Später verschwanden viele kleinere Unternehmen von der Börse, Brauereien zum Beispiel und auch Textilhersteller, ohne dass andere Branchen nachgerückt wären. Erst der Aufschwung des Neuen Markts belebte das Geschäft mit neuen Aktien an der Börse. Und im Jahr 1999 wurde gar die Zahl von 1000 börsennotierten Unternehmen in Deutschland überschritten. Viele verschwanden jedoch so schnell wieder, wie sie gekommen waren, sodass seit 25 Jahren ein mehr und minder starker Abwärtstrend zu verzeichnen ist.
Das Ringen um den richtigen Preis
Zwei Dinge kommen zusammen: Unternehmer und Unternehmen, die börsenskeptisch sind, und Anleger, die ebenfalls wenig Appetit auf Börsenneulinge verspüren. Die Beratungsgesellschaft EY hat 360 Investoren gefragt, welche Bedingungen nötig seien, damit für sie ein Börsenneuling attraktiv sei. Als wichtigster Punkt wird der Preis genannt. 15 Prozent kurzfristiges Kurspotential sollten drin sein, um das Risiko einzugehen.
Das Management und der Aufsichtsrat werden als zweitwichtigstes Kriterium genannt. Sie müssen überzeugend sein. Es folgt das Geschäftsmodell, das eine Equity-Story hergeben muss, also eine Erzählung, warum genau dieses Unternehmen es wert sein soll, sein Geld dort zu investieren und damit langfristig Freude zu haben. Das Timing wird als viertes genannt, also die aktuelle Stimmung an der Börse. Und fünftens müssen die Unterlagen des Börsengangs so professionell sein, dass das Unternehmen als reif für die Herausforderungen der Börse eingestuft werden kann.
Drei größere Transaktionen kamen im Jahr 2024 in Deutschland zustande. Der Augsburger Rüstungszulieferer Renk machte im Januar den Anfang, der Börsengang spielte 500 Millionen Euro ein. Die anfängliche Euphorie für einen Titel aus der gefragten Rüstungsbranche ließ den Kurs von 15 auf 36 Euro steigen. Seit März ging es bergab, aktuell kosten die Titel 19 Euro – immerhin noch fast 30 Prozent mehr als zum Börseneinstand, aber fast 50 Prozent Minus zum Hoch.
Viele sitzen auf Verlusten
Für die Parfümeriekette Douglas fiel der Teil mit dem Kursanstieg gleich aus. Der Börsengang brachte zwar fast 900 Millionen Euro ein. Doch der Ausgabepreis von 26 Euro wurde nie wieder erreicht. Bis auf 17 Euro sackte der Kurs ab, aktuell sind es knapp 20 Euro. Sehr wichtig für den deutschen Markt war daher der Wissenschaftsverlag Springer Nature , der mit dem Börsengang 600 Millionen Euro einnahm, vor allem aber den Ausgabepreis von 22,50 Euro seither stets übertreffen konnte und derzeit zum Kurs von 26 Euro notiert. Gut zwei Monate sind seit dem Börsengang allerdings erst vergangen und damit zu wenig, um ein positives Fazit zu ziehen.
So galt Schott Pharma als sehr gelungener Börsengang im Herbst 2023, der Kurs stieg um 50 Prozent von 27 auf 40 Euro, bevor er zuletzt wieder auf 24 Euro sank – in einem ansonsten sehr positiven Börsenumfeld dieses Jahr. Auch die Thyssen-Wasserstoffgesellschaft Nucera konnte anfangs überzeugen, halbierte seither aber den Kurs und muss am Freitag selbst den Kleinwerte-Index S-Dax verlassen.
Die hohen Kursschwankungen dieser nicht eben kleinen Börsenneulinge werden am Markt sehr genau beobachtet. Ein Risiko, das kein Anleger gerne eingeht. Entsprechend zurückhaltend sind die Investoren. In der EY-Statistik über die Börsengänge im Jahr 2024 kommt Deutschland daher traditionell unter ferner liefen. Neben den drei größeren zählte EY vier weitere Debütanten in Deutschland in der Statistik mit, zwei weitere mit Wertpapierprospekt und zwei als „Spac“-Transaktion – also eine zunächst leere Börsenhülle. Global stehen dem 1215 Börsengänge gegenüber, ein Minus von zehn Prozent zum Vorjahr. Der Erlös reduzierte sich um vier Prozent auf 121 Milliarden Euro. Die Rückgänge basieren ganz wesentlich auf einem Einbruch der Zahlen im asiatisch-pazifischen Raum um 35 Prozent in der Zahl und 51 Prozent im Volumen. Die Rolle der Weltlokomotive hat China nicht nur im Wirtschaftswachstum abgegeben.
Indien auf Rang 1
Der größte Börsengang des Jahres entstammt den USA mit der Lineage Inc , die an der Nasdaq gut fünf Milliarden Dollar einnahm, im Aktienkurs seit dem Sommer indes gut ein Viertel einbüßte. Mit Midea folgt ein chinesisches Unternehmen mit Erstnotiz in Hongkong vor Hyundai Motor India, die in Indien an die Börse gingen. Europa schlug sich wacker und folgt auf den Plätzen vier bis sechs mit Puig Brands in Madrid, Galderma in Zürich und dem Finanzinvestor CVC, der in Amsterdam an die Börse ging. Der deutsche Einfluss in der Rangliste zeigt sich auf Rang acht mit dem Börsengang der Tochtergesellschaft Talabat der Berliner Delivery Hero, die vergangene Woche am Börsenplatz in Dubai debütierte, allerdings enttäuschte und den Aktienkurs der Berliner Muttergesellschaft um mehr als zehn Prozent nach unten zog.
Von der Zahl der Börsengänge hat sich Indien mit mehr als 300 im Jahr 2024 auf Platz eins der Weltrangliste geschoben. Gegen den Trend ist hier die Anzahl der Transaktionen um 36 Prozent auf 330 gestiegen und das Volumen um 150 Prozent auf 20 Milliarden Dollar. Mit im Durchschnitt 60 Millionen Dollar fanden dort aber überwiegend kleinere Börsengänge statt. Gleichwohl rückt das Land immer mehr in den Fokus der Investoren. Die hohe Bevölkerungszahl und das dynamische Wirtschaftswachstum machen Indien zwar noch nicht zu einem zweiten China. Beim Blick auf die Weltkarte erscheint das Land jedoch immer mehr Investoren im Vergleich als gute Wahl für zumindest einen Teil der Geldanlage. Deutsche Anleger haben dort bei Börsengängen zwar in der Regel keinen direkten Zugriff auf die ausgegebenen Aktien. Sobald diese im Handel sind, kann aber auch hierzulande in indischen Titeln gehandelt werden und mit Indexfonds auf den indischen Aktienmarkt ohnehin.
Höchste Anziehungskraft als Marktplätze für Börsengänge hatten indes New York, Amsterdam und London. Ihnen gelang es, Unternehmen aus dem Ausland an ihre Börsen zu locken, zum Beispiel aus Israel oder Kasachstan. Der Drang zu Listings jenseits des Heimatmarkts ist jedoch nur schwach ausgeprägt. Die meisten Unternehmen gehen in ihrem Heimatland an die Börse.
ETFs schließen Börsenneulinge zunächst einmal aus
Martin Steinbach, der das Geschäft mit Börsengängen von EY in Europa, Mittlerem Osten, Indien und Afrika leitet, schaut vorsichtig optimistisch ins neue Jahr. „Die niedrige Volatilität ist sicherlich förderlich für Börsengänge, die sinkenden Zinsen sind es auch, und der Finanzierungsbedarf der Unternehmen ist angesichts von Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz, grüner Transformation und dem Einstellen auf neue geopolitische Realitäten hoch“, sagt Steinbach: „Dass immer mehr Finanzinvestoren den Exit über einen Börsengang als valide Alternative sehen, ist auch ein gutes Zeichen.“ Der deutsche Markt habe indes abermals nicht das Potential gehoben, das er gehabt habe: „40 Börsengänge im Jahr sollten in einer so großen Volkswirtschaft eigentlich jedes Jahr möglich sein. 2025 erwarten wir bis zu zehn.“
Erschwerend kommt für viele Börsenneulinge hinzu, dass der Trend am Aktienmarkt derzeit generell Richtung Größe geht. Kleinere Unternehmen haben es damit noch schwerer als ohnehin schon, die Aufmerksamkeit der Investoren zu gewinnen. Der sehr starke Trend zu ETF forciert die Entwicklung, da jeden Monat sehr viel Geld in die schon in Indizes notierten Unternehmen fließt und deren Kursentwicklung befördert. Börsenneulinge müssen genügend Anleger indes zunächst außerhalb der ETF-Welt finden.