Anne Brorhilker: Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Staatsanwältin geht

Die führende Oberstaatsanwältin im Cum-Ex-Skandal, Anne Brorhilker, schmeißt hin. Sie kritisiert die langsame Aufarbeitung – und wechselt zu einem neuen Arbeitgeber

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Foto Capital - Wirtschaft ist Gesellschaft

Die wichtigste Ermittlerin im Cum-Ex-Steuerskandal, Anne Brorhilker, hat gekündigt. Das berichtet der WDR. Die 50-Jährige leitete bisher als Oberstaatsanwältin die für den Cum-Ex- sowie Cum-cum-Skandal eingerichtete Hauptabteilung in Köln und spielte eine zentrale Rolle bei der Aufklärung des größten Steuerskandals in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihr Ausscheiden dürfte ein Rückschlag für die Ermittlungen sein, die längst nicht abgeschlossen sind.

Brorhilker hat laut WDR am Montagvormittag um ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gebeten, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Köln der Nachrichtenagentur dpa bestätigte. Zu den Gründen äußerte sich die Behörde zunächst nicht, gegenüber dem WDR übte Brorhilker aber eindeutige Kritik an der schwach aufgestellten Justiz, an der sie als einzelne Staatsanwältin wenig ändern könne.

„Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, sagte sie. Oft gehe es um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, die sich zu oft aus Verfahren herauskaufen würden. „Dann haben wir den Befund: Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“

Noch im vergangenen Sommer wollte Brorhilker am liebsten das ganze Netz an Steuerbetrügern ausheben – zumindest in Deutschland, wie Capital berichtete. Ihr Eifer war unverkennbar. Das merkte man, wenn man der Juristin mit der auffälligen Brille in Interviews zuhörte. Eine Frau, die schnell denkt und spricht, immer geradeheraus, nie unüberlegt. Ihre zugewandte und freundliche Art verleitete viele dazu, sie zu unterschätzen. 

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Cum-ex-Geschäfte gelten als der größte Steuerskandal. Doch die illegalen Aktiendeals haben einen großen Bruder: Cum-cum richtet noch höhere Milliardenschäden an

Cum-Ex-Aufarbeitung ging Brorhilker nicht schnell genug

Dabei war sie eine äußerst hartnäckige Juristin mit dem Ruf, überaus gründlich zu arbeiten. Gegen „Mister Cum-ex“ Hanno Berger – der Brorhilker noch vor einigen Jahren per Strafanzeige aus dem Amt hieven wollte – verhängte das Landgericht Bonn wegen ihrer Ermittlungen eine Haftstrafe von acht Jahren. 

Doch die Aufarbeitung des Cum-ex-Skandals ging ihr nicht schnell genug voran. Elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Fälle habe die Politik noch immer nicht hinreichend reagiert und der Steuerdiebstahl sei nicht gestoppt, da die Vorgänge bei Banken und Aktienmärkten nicht ausreichend kontrolliert würden. Es gebe Nachfolgemodelle, wie bei einem „Hase-und-Igel-Spiel“, sagte Brorhilker dem WDR. 

Cum-ex- und Cum-cum-Geschäfte unterscheiden sich in ihrer Ausgestaltung, ähneln sich aber in ihrem Ansatz: Beide passieren um den Dividendenstichtag einer Aktie, beide nutzen die Tatsache aus, dass Banken sich unter bestimmten Voraussetzungen die Kapitalertragsteuer von 25 Prozent vom Finanzamt zurückholen können.

Hinter Cum-ex verbergen sich Aktiendeals, die dazu dienen, sich eine einmal gezahlte Kapitalertragsteuer mehrfach vom Fiskus erstatten zu lassen – ein Griff in die Steuerkasse. Seine Hochphase hatte der Betrug von 2006 bis 2011, in der der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt wurde. Mit einer zum Januar 2012 greifenden Gesetzesänderung wurden die Deals erschwert. 

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Cum-cum-Geschäfte jedoch halten viele nach wie vor für legal, obwohl der BFH sie seit 2015 ebenfalls als unzulässig einstuft. Sie zielen darauf ab, Ausländern jene Steuer zu erstatten, die diese eigentlich zahlen müssten.

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Seit 2012 ermittelte Brorhilker mit ihrem Team. Neben der Verurteilung von Hanno Berger schafften sie es unter anderem erstmals Kronzeugen zur Aussage zu bewegen und 2019 ein rechtskräftiges Urteil zu erwirken. Zuletzt leitete Brorhilker mit ihrer Abteilung 120 Ermittlungsverfahren gegen 1700 Beschuldigte.

Widerstand aus den eigenen Reihen?

Fraglich ist, ob sich die Oberstaatsanwältin aus den eigenen Reihen noch ausreichend unterstützt fühlte. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Machtkämpfe und Widerstände. So wollte NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) das Team der Ermittler aufteilen und Brorhillker einen Co-Leiter zur Seite stellen, legte die Pläne wegen harscher Kritik aber wieder auf Eis. Durch die Aufteilung wäre Brorhilker praktisch entmachtet worden. Das habe sie damals nicht als die Unterstützung verstanden, sagte Brorhilker dem WDR.

Der Steuerschaden durch sogenannte Cum-cum-Deals ist größer als bislang angenommen. Die Zahl der Verdachtsfälle, die von den Finanzämtern geprüft werden, hat sich deutlich erhöht

Ihre berufliche Zukunft sieht Brorhilker weiter in der Bekämpfung von Finanzkriminalität. Künftig aber außerhalb des Staatsdienstes: Die Anwältin wird neue Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Finanzwende.

Für die weiteren Ermittlungen dürfte das ein Rückschlag sein, auch wenn sie selbst die Abteilung gegenüber dem WDR gut aufgestellt sieht. Denn die Erfolge von Brorhilker bei Cum-ex hatten hatten bereits Hoffnung auf Ergebnisse beim großen Bruder, den Cum-cum-Geschäften gemacht, die noch höhere Milliardenschäden verursachen. Brorhilkers Team hatte im vergangenen Jahr begonnen, Beweise dazu auszuwerten.

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