BRICS-Gipfel: Wendet sich die Türkei Russland und China zu?

21 Stunde vor
Beitrittswunsch an BRICSWendet sich die Türkei vom Westen ab?

Die Türkei ist NATO-Mitglied und jahrzehntelange Kandidatin für einen EU-Beitritt. Nun will Präsident Erdogan sein Land auch in den BRICS-Staatenverbund führen, der sich gegen westliche Dominanz stellt. Das gefällt vor allem einem: Wladimir Putin.

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Foto Deutschlandfunk

23.10.2024

Erdogan will die Türkei in die Brics-Staatengruppe führen, zu deren Gründungsmitgliedern Russland zählt. (imago / ITAR-TASS / Sergei Karpukhin)

Die BRICS-Staatengruppe wächst. Ursprünglich gehörten ihr Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an. Mittlerweile sind auch Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate Mitglieder. Saudi-Arabien zögert noch.

Mit der Türkei strebt erstmals ein NATO-Mitglied in den Verbund. Präsident Erdogan nimmt am BRICS-Gipfel im russischen Kasan teil, um diesen Wunsch gegenüber Gastgeber Putin zu unterstreichen. Was verspricht er sich davon? Und welche geopolitischen und wirtschaftlichen Folgen sind zu erwarten?

Überblick
Warum will die Türkei BRICS-Mitglied werden? Was hätten die BRICS-Staaten und insbesondere Russland von einem Türkei-Beitritt? Wendet sich die Türkei vom Westen ab? Wie mächtig ist die BRICS-Staatengruppe?
Warum will die Türkei BRICS-Mitglied werden?

Schon länger teilt der türkische Präsident Erdogan das Ziel der BRICS-Staaten, eine multipolare Welt zu schaffen: Der Westen – etwa in Gestalt der mächtigen G7-Staaten – soll seine Macht teilen. Gleichzeitig ist die Türkei seit Jahrzehnten in die westliche Ordnung eingebunden, ist NATO-Mitglied und EU-Beitrittskandidatin. Nach Überzeugung Erdogans kann die Türkei nur dann wohlhabend und einflussreich sein, wenn sie ihre Beziehungen mit dem Osten und dem Westen zugleich ausbaut. „Wir nutzen jede Gelegenheit, um die Türkei zu einem regionalen und globalen Dreh- und Angelpunkt zu machen“, so der türkische Präsident.

Die Türkei erhofft sich durch BRICS ein größeres Gewicht in der Region. Die BRICS-Mitglieder Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten spielen eine wichtige Rolle im Nahen Osten.

Es geht dem Land aber auch um wirtschaftliche Vorteile: Es will attraktiver für Investitionen etwa aus China werden. Türkische Exportfirmen sollen leichteren Zugang zu neuen Märkten erhalten. Besonders wichtig aus türkischer Sicht ist es, die Öl- und Gasimporte abzusichern. BRICS-Gründungsmitglied Russland ist wichtiger Energielieferant. Die türkische Wirtschaft ist unter Druck, die Inflation sehr hoch. Präsident Erdogan will nichts unversucht lassen, um die heimische Wirtschaft zu stützen.

Was hätten die BRICS-Staaten und insbesondere Russland von einem Türkei-Beitritt?

Von einem intensiveren Handel mit der Türkei könnten alle BRICS-Staaten profitieren. So hat das Land begehrte Rüstungsgüter wie Drohnen anzubieten. Das Land an der Schnittstelle zwischen West und Ost weckt aber auch das geopolitische Interesse der BRICS-Mitglieder – allen voran Russlands. Es dürfte Präsident Putin gefallen, wenn mit der Türkei erstmals ein NATO-Mitgliedsstaat zum BRICS-Verbund stößt und damit näher an Russland heranrückt.

Der Kreml-Chef bemüht immer wieder die NATO als Feindbild, um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu rechtfertigen. Ohnehin gibt es eine Nähe zwischen Ankara und Moskau. So beteiligt sich die Türkei nicht an den Sanktionen des Westens gegen Russland. Gleichzeitig allerdings unterstützt die Türkei die Ukraine militärisch.

Wendet sich die Türkei vom Westen ab?

Im Vorfeld des BRICS-Gipfels im russischen Kasan ließ Putin seinen Außenminister Lawrow Bedingungen für eine Mitgliedschaft formulieren. Demnach müsse ein Vollmitglied die gemeinsamen Werte teilen. Lawrow stellte im russischen Staatsfernsehen im Sommer 2024 explizit klar, dass es nicht um die Werte gehe, die die EU in der Ukraine verteidige, die “angeblich europäischen Werte der Ukraine”. Damit befindet sich die Türkei in einem Dilemma. Denn die Türkei ist ja auch EU-Beitrittskandidat und die EU fordert von Beitrittskandidaten, ihre Werte zu teilen und die Außenpolitik daran auszurichten.

Muss der Westen also beunruhigt sein? Soner Cagaptay, Türkei-Experte an der US-Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy, sagt, dass sich Ankara weiter als europäischen Akteur sehe: „Aber seit etwa einem Jahrzehnt diversifiziert die Türkei ihre Außenpolitik und entfernt sich auch von den USA, indem sie etwa im Ukraine-Krieg die USA und Russland gegeneinander ausspielt, indem sie die Ukraine militärisch unterstützt, aber weiter mit Russland handelt. Ich denke, das ist es, was die Türkei auch mit den BRICS-Staaten machen will.“

Als BRICS-Mitglied dem Westen Zugeständnisse abringen

Die BRICS-Staaten seien für die Länder des so genannten globalen Südens ein Instrument, um dem Westen Zugeständnisse abzuringen, erklärt Gönül Tol von der Denkfabrik Middle East Institute in Washington. Das versuche die Türkei jetzt auch, „weil sie vom Westen keine Waffen mehr bekommt, keine F-35-Kampfjets, keine Investitionen, keine Zusammenarbeit – das will sie jetzt durchsetzen, indem sie zu BRICS geht“.

Das werde Ankara aber nicht gelingen, ist Tol überzeugt. Die Türkei spiele nicht in derselben Liga wie zum Beispiel Indien.

Dennoch sollten der Westen und die NATO „von der Symbolik beunruhigt“ sein, wenn die Türkei BRICS-Mitglied werde, sagt Asli Aydintasbas von der Brookings Institution in Washington. Das sei ein Zeichen, dass sich die Türkei auf eine „post-westliche Welt“ einstelle, auf eine Welt, in der die „transatlantische Einheit und die Vorrangstellung der USA“ nicht mehr die Welt bestimmten.

In der Realität könnte das dann so aussehen: Die Türkei treibt weiter Handel mit Europa und den USA und arbeitet mit ihnen in der NATO zusammen, kritisiert aber gleichzeitig gemeinsam mit China und Russland das angebliche westliche Hegemonialstreben.

Anteil der Brics-Staaten an der globalen Wirtschaftsleistung (statista / IMF) Wie mächtig ist die BRICS-Staatengruppe?

Die informelle Staatengruppe BRICS – benannt nach den Anfangsbuchstaben der ersten Mitglieder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – steht für mehr als 3,5 Milliarden Menschen. Das sind gut 40 Prozent der Weltbevölkerung. Wirtschaftlich haben die aufstrebenden Industrieländer in den vergangenen zwanzig Jahren stark aufgeholt, vor allem China (Platz 2 der größten Volkswirtschaften) und Indien (Platz 5). Mehr als 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung gehen auf die BRICS-Länder zurück.

Die BRICS-Mitglieder können vor allem mit Energie Gewinne erzielen. Russland ist größter Gaslieferant. Mit Iran und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind zuletzt weitere Öl- und Gaslieferanten zu der Gruppe dazugestoßen.

Allerdings prallen zum Beispiel mit dem demokratisch regierten Indien und dem autokratisch geführten China unterschiedliche Systeme und wirtschaftliche Interessen in der Gruppe aufeinander.

Größter Schwachpunkt laut Katrin Kammin, Fellow am Kiel Institut für Weltwirtschaft, ist die Abhängigkeit vom US-Dollar. Es fehlt ein gemeinsamer Kapitalmarkt: Für gemeinsamen Handel braucht es eine stabile gemeinsame Währung. Das kann weder der Rubel noch der Yuan leisten. Putins Ziel von der “De-Dollarisierung” mithilfe eines eigenen internen Zahlungssystems namens Bridge wird nicht von allen mitgetragen. China etwa will den Zugang zum westlichen Finanzmarkt nicht verlieren.

bth

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