SPD, AfD und das Duell um den ersten Platz in Brandenburg
analyse
Stand: 22.09.2024 14:14 Uhr
In Brandenburg kämpfen SPD und AfD um den Wahlsieg. Ministerpräsident Woidke macht davon sein politisches Schicksal abhängig. Die Sorgen der Menschen prägen diese Wahl stark - je nach Lager aber sehr unterschiedliche.
Der Wahlkampf in Brandenburg ist zum Wettrennen zweier gesellschaftlicher Lager geworden. Die Stimmung ist auf beiden Seiten geprägt von Sorgen und Ängsten. Auf der einen überwiegt die Angst vor wachsender Kriminalität und noch mehr Zuwanderung. Das mobilisiert diejenigen, die die AfD auch in Brandenburg als stärkste Partei sehen wollen.
Hinzu kommt bei vielen die Sorge, dass Deutschland wegen der Unterstützung für die Ukraine in den Krieg hineingezogen werden könnte. Dies und ein besseres Verhältnis zu Russland sind für die Anhänger des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) die wichtigsten Wahlmotive. Alles sieht danach aus, dass die neue Partei nach Sachsen und Thüringen zum dritten Mal zweistellig in einen Landtag einziehen kann.
Sorgen vor Rechtsextremismus bei SPD- und CDU-AnhängernDemgegenüber steht eine starke Bewegung in der Mitte und im linken Lager, die vor allem Sorge vor der Ausbreitung des Rechtsextremismus äußert und diese mit aller Kraft verhindern möchte. In einer repräsentativen Umfrage, die infratest dimap für die ARD wie immer unmittelbar vor der Landtagswahl durchgeführt hat, erklären 75 Prozent der SPD-Wählerinnen und Wähler, dass sie zwar vom politischen Angebot der Partei "nicht überzeugt" sind, aber SPD wählen wollen, "um eine starke AfD zu verhindern".
Dieses Argument bewegt auch 59 Prozent der CDU-Anhänger dazu, ihr Kreuz bei den Christdemokraten machen zu wollen - obwohl auch sie von der Partei nach eigener Aussage "nicht überzeugt" sind.
Starke Wählermobilisierung auf allen SeitenDie starke Mobilisierung auf allen Seiten ist spürbar. Wie in Sachsen könnte es auch heute in Brandenburg zu einer Rekordwahlbeteiligung kommen. Zwischen SPD und AfD läuft das Duell um den ersten Platz. Ministerpräsident Dietmar Woidke, dessen Amtsführung zwei Drittel der Befragten positiv bewerten, hat seine politische Zukunft an den Wahlsieg, an Platz eins geknüpft. Sollte die AfD vorne liegen, will er nicht für eine weitere Amtszeit zur Verfügung stehen. Dann wäre unklar, wer das Land und wer die SPD in Brandenburg führen könnte.
Brandenburg war schon bei der letzten Wahl ein politisch und wirtschaftlich geteiltes Land. Im Gürtel rund um Berlin und im Westen des Landes war die SPD 2019 durchgängig stärkste Partei. Im Osten an der polnischen Grenze und in der Lausitz dominierte schon damals die AfD. Woidke warb im Wahlkampf vor allem mit dem starken Wirtschaftswachstum.
Kampf um DirektmandateTatsächlich hat Brandenburg mit mehr als zwei Prozent im vergangenen Jahr unter allen Bundesländern (nach Mecklenburg-Vorpommern) das zweithöchste Wachstum verzeichnet. Aber die Regionen profitieren unterschiedlich davon. So passt es ins Bild, dass die SPD-Anhänger zu 74 Prozent die wirtschaftliche Lage als gut beurteilen, die Anhänger von AfD und BSW aber zu 81 und 71 Prozent als schlecht. In Zeiten von Inflation und wirtschaftlicher Unsicherheit ist auch die Sorge um Arbeitsplatz und Wohlstand wahlentscheidend.
Nach den Umfragen der letzten Wochen können nur SPD, AfD, CDU und BSW fest damit rechnen, in den Landtag einzuziehen. Die FDP ist chancenlos. Aber mit den Grünen, der Linken und den Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen/Freien Wählern (BVB) gibt es gleich drei Parteien, die zwar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten, aber mit aller Kraft die Besonderheiten des Brandenburger Wahlrechts für sich nutzen wollen.
Ähnlich wie in Sachsen gibt es auch in Brandenburg die sogenannte Grundmandatsklausel. In Sachsen hatte die Linke zwei Direktmandate geholt, so dass sie entsprechend ihres Zweitstimmenanteils in Fraktionsstärke in den Landtag eingezogen war. In Brandenburg reicht nun sogar ein einziges Direktmandat dafür aus.
Mögliche Mehrheiten völlig unklarVor allem die Grünen in Potsdam und die BVB/Freien Wähler in Barnim rechnen sich gute Chancen aus. Weil unklar ist, ob vier oder fünf oder mehr Parteien Sitze im Landtag bekommen, ist überhaupt nicht absehbar, wie sich nach der Wahl Mehrheiten bilden. Denkbar ist eine Mehrheit für die regierende Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen - so die Grünen erneut in den Landtag einziehen. Gut möglich ist aber auch, dass wie in Sachsen und Thüringen das BSW den Schlüssel zur Mehrheitsbildung in der Hand hält. Denn Bündnisse mit der AfD haben alle anderen Parteien im Vorfeld ausgeschlossen.
Weil der Kampf um Direktmandate in Brandenburg eine so besondere Bedeutung hat, werden anders als sonst an Wahltagen üblich die Prognose um 18 Uhr und die ersten Hochrechnungen keine Gewissheit über die Kräfteverteilung bringen. Heute kommt es auf Auszählungsergebnisse in einzelnen Wahlkreisen an.
CDU und SPD ohne Rückenwind aus der BundespolitikBei den bisherigen beiden Landtagswahlen im September hatten weder die Ampelparteien noch die CDU Rückenwind aus der Bundespolitik. Die Union hat zwar mit Friedrich Merz die Kandidatenfrage für die Bundestagswahl 2025 geklärt, aber vom kritischen Blick auf die Ampel in den Ländern nicht profitieren können. Eine mögliche Ursache: 55 Prozent der Befragten in Brandenburg machen vor allem die Union dafür verantwortlich, dass in den vergangenen Jahren so viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Lösungsvorschläge sind begrenzt glaubwürdig, wenn man selbst für das Problem verantwortlich gemacht wird.
Noch schwerer wiegt für die Kanzlerpartei SPD die Hypothek der Ampelpolitik. Die Kritik an Kanzler Olaf Scholz ist massiv. Eine deutliche Mehrheit der Befragten und auch sechs von zehn SPD-Anhängern sind der Ansicht, dass er seiner Führungsverantwortung nicht gerecht wird. Gerade einmal 20 Prozent halten ihn für einen guten Kanzler. In einem Jahr und einer Woche soll der neue Bundestag gewählt werden. Die Ausgangssituation für Scholz und seine Partei hängt auch davon ab, ob Dietmar Woidke in Brandenburg sein Wahlziel erreicht.