Nach der Wahl in Brandenburg: Die Uhr tickt für die Ampel

23 Sep 2024

analyse

Stand: 23.09.2024 18:23 Uhr

Brandenburg-Wahl - Figure 1
Foto tagesschau.de

Was bedeutet das Ergebnis in Brandenburg für die Bundesregierung? Während die FDP von einem "Herbst der Entscheidungen" spricht, steht die SPD vor einem Problem. Wie soll man so die Bundestagswahl gewinnen?

Luftig ist die geräumige Innenhalle der SPD-Zentrale in Berlin, dort hängen viele Schilder: "Zusammenhalt" steht da beispielsweise, "Respekt" oder "Energiepreise gesenkt". Werte und Errungenschaften, mit denen die Sozialdemokraten Wahlen gewinnen wollen.

In Brandenburg haben sie gewonnen, doch das Warum steht nicht auf den Schildern, sondern auf dem Podium darunter: Dietmar Woidke. Neben ihm steht SPD-Chef Lars Klingbeil und hat eine schwierige Mission. Die Rezepte der Brandenburger SPD haben funktioniert, Klingbeil muss nun einen Teil des Glanzes auf die Bundes-SPD umlenken. Der Schlussspurt in Brandenburg sei beeindruckend gewesen. Die SPD habe von 16 Prozent auf mehr als 30 Prozent zugelegt. Daraus könne er ableiten: "Man kann Wahlen gewinnen, man kann Stimmungen drehen, dafür muss hart gearbeitet werden."

Woidkes Strategie hat mobilisiert

Brandenburg, ein Vorbild für den Bundestagswahlkampf? Wohl nur, wenn es darum geht, nicht aufzugeben. Fast alles andere ist anders. Die SPD hat in Brandenburg gewonnen, weil sie einen sehr beliebten Spitzenkandidaten hatte, der alles auf eine Karte setzte: "Wenn ich gegen die AfD verliere, bin ich weg," hatte Woidke vorher erklärt.

Das hat mobilisiert, wie die Politikstrategen sagen: frühere Nichtwähler gingen dieses Mal ins Wahllokal, um in dem Zweikampf Position zu beziehen. Es hat der SPD Stimmen von Wählern eingebracht, die sonst vielleicht nicht SPD gewählt hätten, jetzt aber die Partei gegen die AfD stärken wollten.

Thorsten Frei, der parlamentarische Geschäftsführer der Union, spricht von einer Dualität zwischen AfD und Woidke: "Diese riskante Strategie hat verfangen, die CDU ist zwischen den Fronten zerrieben worden." Auch die Grünen sehen sich als Leidtragende, der Bundesvorsitzende Nouripour wirkt am Tag nach der Wahl leicht zerknittert und missmutig: "Dabei ist die Frage unter die Räder geraten, mit wem Herr Woidke dann eigentlich koalieren soll."

Eine emotionale Niederlage für die Ampel

Die SPD ist also erstmal erleichtert - aber für die Ampel ist ihr Sieg eine emotionale Niederlage. FDP-Chef Christian Lindner macht für die 0,8 Prozent seiner Partei die "Rahmenbedingungen" verantwortlich, die "taktische Lage". Zwischen den Zeilen: Schöne Grüße an die SPD. Drei Themen listet Lindner auf, die er noch diesen Herbst in der Ampel geklärt wissen will: weniger Migration, mehr Wirtschaftswachstum und ein stabiler Haushalt (im Rahmen der Schuldenbremse).

Diesen Herbst? Das führt zu Nachfragen der Journalisten. Das Thema ist ernst, doch hat der FDP-Chef am Ende ein Grinsen auf den Lippen. "Am 21. Dezember ist Winteranfang, oder nicht?", fragt er zurück. Um dann anzufügen: "Daraus ergibt sich ja ein Zeitkorridor." Der Ton dabei ist leicht, fast spielerisch - die Botschaft aber ernst: Die Uhr für die Ampel tickt. Es geht um den "Herbst der Entscheidungen", wie die FDP es nennt.

Loyalität und Vertrauen aufgebraucht

Brandenburg wirkt also wie ein Brennglas für die Probleme der Koalition. Schon bisher gab es viele kleine Verletzungen. Loyalität und Vertrauen zueinander sind aufgebraucht. Der Wille, den anderen etwas zu gönnen, ist weg. Deswegen erliegt immer häufiger jemand der Versuchung, Punkte auf Kosten der Partner zu machen.

Deswegen pocht die SPD öffentlichkeitswirksam auf den Entwurf des Tariftreuegesetzes, obwohl die Liberalen mit der aktuellen Fassung Probleme haben. Deswegen veröffentlicht die FDP Konzeptpapiere, von denen sie weiß, dass sie den Blutdruck bei den Koalitionspartnern in die Höhe treiben.

"Der große Feng-Shui-Moment wird wohl nicht mehr kommen und das glaubt mir auch niemand mehr, wenn ich das sage", so Grünen-Chef Nouripour. Es wachsen also die Zweifel, ob die Ampel bis zum eigentlichen Wahltermin am 28. September 2025 hält. Die SPD pocht auf Pflichterfüllung: Man sei schließlich für vier Jahre gewählt, so formuliert es SPD-Generalsekretär Kühnert. "Auch dafür, die Verantwortung bis zum Schluss mit den Partnern zu übernehmen - was denn sonst, dafür tritt man an bei Wahlen."

SPD vor Strategieproblem

Die SPD hat allerdings als einzige noch ihr Strategieproblem zu lösen. Denn klar ist das eine Fazit aus der Brandenburg-Wahl, das es sich lohnt, zu kämpfen und geschlossen zu bleiben. Das andere Fazit formulierte Kühnert so: "Die Strahlkraft der Person ganz vorne nimmt an Bedeutung zu, die Parteienbindung nimmt ab."

Anders gesagt: Es braucht einen beliebten Kandidaten. In Brandenburg halten zwei Drittel der Wähler Woidke für einen guten Ministerpräsidenten. Aber nur 20 Prozent halten Olaf Scholz für einen guten Bundeskanzler. Im Willy-Brandt-Haus werden sie diese Ergebnisse sicher noch heiß diskutieren.

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