Nacheinander treiben die Leichen von drei jungen Menschen an den Strand der Ostsee. Die Kieler Ermittler um Klaus Borowski (Axel Milberg) und Mila Sahin (Almila Bagriacik) finden heraus: Alle drei hatten zuvor ihr Handy beim Recyclinghof abgegeben, ihre Kleider ordentlich am Strand zusammengelegt und K.o.-Tropfen eingenommen. Auf ihren Körpern hinterlassen sie eine Botschaft. Sie haben sich das Poem „Der Tod des Meeres“ der chilenischen Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral auf den Rücken tätowiert, beginnend mit den Zeilen „Eines Nachts starb das Meer, von einem Ufer zum andern“. Alle hatten einer Gruppe angehört, die gegen die drohende Bebauung der geschützten Steilküste protestiert hatten. Borowski und Sahin bemühen sich, in die Motivation der vermuteten Selbstmordserie einzusteigen, lassen sogar die Polizei aufmarschieren, um eine trauernde Gruppe vom Strand zu vertreiben und fragen sich, ob das hilft oder vielmehr provoziert.
Das Autorenpaar Katharina Adler und Rudi Gaul erklärt im ARD-Interview, sie wollten einen „Tatort“ ohne Mörder kreieren, der von einem „höheren Wert“ ausgelöst werde und die Kommissare mit einem „übermächtigen Gegner“ konfrontiere. Das klingt reichlich pathetisch, doch tatsächlich bewegt sich der Kieler „Tatort“ in bekannten Gefilden. So wurde bereits vor zehn Jahren im Fall „Borowski und das Meer“ der Tod eines Umweltaktivisten aufgeklärt; diesmal heißt der Fall „Borowski und das ewige Meer“.
Tatort „Borowski und das ewige Meer“ aus Kiel: Eine KI hätte besser getextetUnd die Ostsee wird immer wieder stimmungsvoll ins Bild gerückt. Die Ermittler stoßen auf eine Gruppe offenbar verzweifelter Umweltaktivisten, die nicht mal mehr medienwirksam wie die Letzte Generation protestieren, sondern sich selbsthasserisch als „CO-zwei-Schleudern“ sehen und still untergehen. Doch der „Tatort“ interessiert sich leider gar nicht für die innere Struktur, die Dynamik einer Gruppe, deren tödliche Folgen ja an eine Art Endzeit-Sekte denken lassen. Warum aber reihenweise junge Menschen mit einem offenbar intakten Sozialleben, die gemeinsam studieren und Müll am Strand sammeln, diesen Weg gehen, bleibt ein Rätsel.
Als verbindenden Antrieb machen die Kieler Polizisten eine Figur aus, die über einen Social-Media-Kanal in Kontakt zu den Ertrunkenen stand: Diese Zenaida (Milena Tscharntke) sieht so perfekt gestylt aus, dass sie wie eine Avatarin wirkt. Nun stylen sich junge Menschen im Netz ja oft so, dass sie wie ihre eigenen Avatare aussehen. Die neue Assistentin der Kieler Kripo entdeckt, wer hinter dem Account steckt. Gespielt wird die IT-Expertin Paula Rinck von Thea Here, die als David Ehrensperger geboren wurde und 2023 auf der Berlinale einen „Silbernen Bären“ bekam. Gefördert wird sie von Mila Sahin – Almila Bagriacik trat hier wenige Wochen nach der Geburt ihres Sohnes schon wieder vor die Kamera.
Und so wie das Autokennzeichen hier „KI“ heißt, so stürzt sich auch dieser „Tatort“ mal wieder in eine Auseinandersetzung mit der KI. Doch damit ist dieser Film nicht etwa ein Vorreiter. Schon seit 2016 tauchte die Künstliche Intelligenz im „Tatort“ mindestens ein halbes Dutzend Mal als scheinbar übermächtiger Gegner auf – und zwar meistens origineller. Seine besseren Momente hat der „Tatort“ noch in den rein menschlichen Szenen, etwa wenn Axel Milbergs Borowski so unbeholfen wie vergeblich versucht, das Vertrauen einer jungen Umweltaktivistin (Johanna Götting) zu gewinnen. Doch wäre das Drehbuch von einer KI geschrieben worden, die mit über tausend „Tatorten“ gefüttert und auf das Ziel Spannung programmiert worden wäre, wäre der Fall aufregender geworden. Am Ende bleibt wenig Spannung, dafür viel Mahnung.
Tatort: Borowski und das ewige Meer. Sonntag, 10.11., 20.15 Uhr, ARD (und Mediathek)