SPD-Kanzlerkandidatur: Was will Boris Pistorius?
Entscheidung in der SPD
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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), hier bei einer Pressekonferenz, hat die Möglichkeit einer Kanzlerkandidatur nicht ausgeschlossen.
Quelle: Getty Images
Bundeskanzler Olaf Scholz lässt keinen Zweifel daran, dass er der Kanzlerkandidat der SPD sein will. Verteidigungsminister Boris Pistorius hilft ihm dabei nicht mit einer Verzichtserklärung. Im Gegenteil. Die Parteispitze ist unter Druck, eine Entscheidung zwischen den beiden zu fällen.
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Berlin. Als Boris Pistorius nach seinem 100-Tage-Programm gefragt wird, nennt er als Erstes: Geschlossenheit. Nur wenn sie zusammenrücke, werde die SPD „wieder Erfolg haben“. Und Vertrauen, auch das sei wichtig. Fünf Jahre ist das jetzt her, Pistorius war niedersächsischer Innenminister und bewarb sich um den SPD-Vorsitz im Doppelpack mit Sachsens Sozialministerin Petra Köpping. Sie landeten im Wettbewerb von sechs Duos dann auf dem vorletzten Platz. Für die Stichwahl gaben sie noch eine Empfehlung ab: für Klara Geywitz und Olaf Scholz. Aber neue Parteichefs wurden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.
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Scholz wurde später dafür Kanzlerkandidat – und Kanzler. Jetzt geht es wieder um einen Spitzenplatz. Um einen, den Scholz im Sommer schon wie selbstverständlich für sich reklamiert hatte: die erneute Kanzlerkandidatur. Da noch nicht wissend, dass er seine Ampelkoalition nicht würde zusammenhalten können.
Politisch bisher unvorstellbarIn der deutschen Parteiengeschichte war das bisher immer so: Der Kanzler oder die Kanzlerin führte die Partei auch in den nächsten Wahlkampf. Nur Angela Merkel (CDU) verzichtete nach 16 Jahren von sich aus darauf, wieder anzutreten. Aber seit einiger Zeit wird in der SPD über das bis jetzt politisch Unvorstellbare gesprochen: nicht dem amtierenden Kanzler die Kandidatur zu überlassen, sondern ihn gegen einen anderen auszutauschen. Boris Pistorius.
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Scholz holte ihn im Januar 2023 als Verteidigungsminister in sein Kabinett, nachdem die Vorgängerin Christine Lambrecht krachend gescheitert war. Der Kanzler setzte Vertrauen in Pistorius. Dieser stoppt nun aber nicht mit einer klaren Verzichtserklärung die Unruhe in der SPD. In der Politik könne man nie etwas ausschließen, bekennt Pistorius kürzlich einigermaßen treuherzig. Er könne nur sicher sagen, dass er nicht Papst werde.
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Geschlossenheit? Der Kanzler ist da gerade weit weg, auf dem G20-Gipfel in Brasilien. Während er mit den führenden Wirtschaftsmächten über Russlands Krieg gegen die Ukraine, den Nahostkonflikt und den Klimawandel spricht, muss er nebenbei lesen, dass sich die Sprecher von zwei mächtigen Parteiströmungen in der Bundestagsfraktion – die SPD-Linke und der konservative Seeheimer Kreis – von ihm abwenden. Als Neuanfang gilt ihnen Pistorius. Als Chance, die SPD aus ihrem 15-Prozent-Keller herauszuholen.
Verlockend sind die hohen Werte, die Pistorius – anders als Scholz – seit Monaten in Umfragen einfährt. Der 64-jährige war ebenso Teil der Ampelregierung, aber deren Zerstrittenheit hängt Scholz als Chef-Kompromissbeauftragtem an. Der Minister gilt als kommunikativer, direkter und volksnäher als der Kanzler. Mit offenkundiger Begeisterung hatte er sich in seine Arbeit auf Bundesebene gestürzt. Er hatte auch eine gute Ausgangslage: Lambrecht war in der Truppe wegen unglücklicher Bemerkungen und fehlendem Wissen unten durch.
Der entscheidungsfreudige MinisterPistorius gilt als entscheidungsfreudig. Er regt sich über unübersichtliche Strukturen im Ministerium auf und über Chaos bei der Materialbeschaffung, er baut das Haus um. Regelmäßig fordert er mehr Geld für die Bundeswehr. Und dann ist da dieses eine Wort: „Kriegstüchtig“ müsse Deutschland werden, so hat er das formuliert, als er vor der Aufrüstung Russlands warnte. Die einen feiern das als Geradlinigkeit, andere – auch in der SPD – finden die Wortwahl zu brutal. Innen- und Sicherheitspolitik hat er als Landes- und Bundesminister kennengelernt. Ein Kanzler allerdings muss sich viel breiter aufstellen. Wie steht es um die Sozial-, Wirtschafts-, Energiepolitik? Er habe einige Lücken, hat Pistorius gelegentlich mal eingeräumt.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim G20-Gipfel in Rio de Janeiro.
Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Als Kanzlerkandidat würde ihm bei dem kurzen Wahlkampf bis zum 23. Februar keine Zeit zur Einarbeitung bleiben. Andererseits: je kürzer der Wahlkampf, desto kleiner die Gefahr, in Fettnäpfchen zu treten. Das allerdings gilt auch für den Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz. Manche in der SPD erinnern an ihren Kanzlerkandidaten Martin Schulz 2017. Er hatte anfangs glänzende Beliebtheitswerte und konnte das Niveau in dem acht Monate langen Wahlkampf dann nicht halten.
Der Druck auf die Parteivorsitzenden Esken und Lars Klingbeil ist groß, eine Entscheidung zu treffen. Könnte es wirklich sein, dass sie auch vor dem Juso-Kongress am Wochenende keine Klarheit schaffen? Die Jusos sind kritisch mit Scholz, aber Pistorius ist vielen von ihnen wegen dessen Appell zur „Kriegstüchtigkeit“ auch nicht lieb.
Scholz hatte beim G20-Gipfel keine Zeit für die Klärung der K-Frage zu Hause. Manchmal wirkte er in sich gekehrt. Durch seinen Rauswurf des Finanzministers Christian Lindner (FDP) ist spürbar eine Last von ihm abgefallen. In der SPD sind sie sicher, dass Scholz der FDP zuvorgekommen ist, sie habe die Koalition während seines Besuches in Ungarn vor knapp zwei Wochen platzen lassen wollen. Aber nun erlebte Scholz in Rio de Janeiro eine Schmach mit der eigenen Partei. Genossen und Genossinnen kehrten ihm den Rücken, während er am anderen Ende der Welt war.
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Pistorius übt seinen Ministerposten oft mit großem Selbstbewusstsein aus. Auf die Frage, warum ihm das so leicht zu fallen scheine, sagte er bisher gern: „Ich muss nichts mehr werden.“