Die Lage am Morgen: Will Pistorius die Wehrpflicht?

5 Mär 2024

Pistorius unterwegs – die Sorgen reisen mit

Verteidigungsminister Pistorius

Foto: CLEMENS BILAN / EPA

Wer sich auf Reisen begibt, darf nicht zu sehr an die Sorgen zu Hause denken.

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Foto DER SPIEGEL

Wird Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der heute zu einer Reise aufbricht, wirklich bei der Sache sein können? Zu Hause sind ja, wie man so sagt, die Sorgen groß.

Militäroffiziere hatten, in einer dann von Russland geleakten Besprechung, darüber diskutiert, wie die Ukrainer Taurus-Langstrecken-Marschflugkörper gegen einmarschierende russische Streitkräfte einsetzen könnten. In Russland wird nun behauptet, die Aufzeichnung des Gesprächs beweise, dass Berlin sich auf einen Krieg gegen Russland vorbereite.

Pistorius und Bundeskanzler Olaf Scholz müssen jetzt versuchen, die Lage zu beruhigen – und aufzuklären.

Bis gestern am späten Nachmittag stand also nicht fest, ob der Verteidigungsminister angesichts dieser Entwicklungen wirklich zu einer länger geplanten Reise nach Schweden, Norwegen und Finnland aufbrechen würde. Mein Kollege Matthias Gebauer, Verteidigungsexperte des SPIEGEL, fand aber heraus: Er tut es.

Vier Tage lang wird der Minister unterwegs sein, »salopp gesagt könnte man den Trip als Expeditionsreise ins Wehrpflicht-Land bezeichnen«, sagt mein Kollege. Seit Monaten schon denkt Pistorius angesichts der massiven Personalprobleme bei der Bundeswehr laut über eine Wiedereinführung des 2008 ausgesetzten Pflichtdienstes an der Waffe nach.

Sympathien für das schwedische Modell

Konkret wurde der SPD-Mann erstmals bereits bei der Münchner Sicherheitskonferenz Ende Februar. Bei einer kleinen Veranstaltung am Rande des großen Trubels ließ er erkennen, dass er mit dem schwedischen Modell der Wehrpflicht sympathisiere. Dort werden alle Schulabgänger gemustert, danach spricht die Armee diejenigen an, die für eine Soldatenkarriere gut geeignet sind, viele davon meldeten sich in den vergangenen Jahren dann freiwillig.

Boris Pistorius - Figure 2
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Nun will Pistorius die verschiedenen Dienst-Modelle in Skandinavien einmal aus der Nähe kennenlernen. In Norwegen wird der Minister gleich noch bei einer großen Nato-Übung, an der auch die Bundeswehr beteiligt ist, dabei sein.

Hinter den Kulissen wird in seinem Ministerium bereits an Modellen für die Rückkehr der Wehrpflicht gearbeitet. In einer internen Anweisung, die meinem Kollegen Matthias Gebauer zugespielt wurde, ist sogar ein ungefährer Zeitpunkt skizziert. »Der Bundesminister beabsichtigt eine Richtungsentscheidung zur Wehrpflicht noch in dieser Legislaturperiode«, heißt es ganz oben in der Vorlage. Konkret wurde die Politik-Abteilung beauftragt, bis zum 1. April »Optionen für ein deutsches Wehrdienstmodell vorzulegen, das bedrohungsangepasst auch kurzfristig skalierbar einen Beitrag zur gesamtstaatlichen Resilienz liefert«.

Das erste Arbeitstreffen dazu fand bereits vergangene Woche statt, Pistorius will bei dem Thema offenbar Tempo machen. Zwar weiß der Minister, dass er allein wegen des Widerstands der FDP bis zur Bundestagswahl wohl nicht mit einer Entscheidung der Ampelregierung rechnen kann. Trotzdem will er sich nicht vorwerfen lassen, er habe hier nichts getan. Deswegen die Idee, wenigstens ein Modell vorzulegen, dass der Bundeswehr bei der Rekrutierung helfen könnte.

Die Funkverbindungen zwischen Skandinavien und Berlin werden ja in den nächsten vier Tagen funktionieren, sodass Pistorius für die Berliner Sorgen weiterhin erreichbar bleibt.

Wenn dann nur niemand mithört.

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Entscheidung in der deutschen Nacht

Ehemaliger US-Präsident Donald Trump

Foto: JIM WATSON/ AFP

Heute werden wir Deutschen noch keine Ergebnisse erfahren, doch allein wegen des Begriffs »Super Tuesday« darf ich Ihnen an diesem Dienstagmorgen nicht vorenthalten, was in einer anderen Zeitzone passieren wird. Sie wissen es sowieso: In mehr als einem Dutzend Bundesstaaten finden die Vorwahlen zu den US-Präsidentschaftswahlen im Herbst statt. Für den amtierenden und den ehemaligen Präsidenten der USA ist es der wohl wichtigste Termin auf dem Weg zur Präsidentschaftskandidatur.

Natürlich gilt bereits jetzt Donald Trump als gesicherter Kandidat der Republikaner – aber kann seine innerparteiliche Konkurrentin Nikki Haley ihn heute wenigstens ein bisschen stören?

Auch beim Amtsinhaber Joe Biden könnte der Wahlausgang trotz des nahezu sicheren Siegs heute interessant werden, so beobachten meine Kollegen aus Washington: Schon bei der Vorwahl in Michigan, stimmten mehr als 100.000 Wählerinnen und Wähler lieber »uncommited« (also neutral, ungebunden), als ihr Kreuz beim Amtsinhaber zu machen.

Wenn wir morgen aufwachen, wissen wir mehr.

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Das Scheinparlament tagt

Chinas Machthaber Xi Jinping

Foto: Ed Jones / Pool/ picture alliance / dpa

Am Dienstag beginnt in Peking der Nationale Volkskongress (NVK), die jährliche Sitzung des chinesischen Scheinparlaments. Dass dieser Ausdruck gerechtfertigt ist, belegen zwei Zahlen: 2013, zu Beginn der Ära des heutigen Machthabers Xi Jinping, stimmten durchschnittlich 85,3 Prozent der Delegierten mit »Ja«. Im vergangenen Jahr waren es bereits 98,6 Prozent.

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Xi regiert sein Land rigide.

Das zeigt sich auch daran, dass Premier Li Qiang am letzten Tag des NVK keine Pressekonferenz abhalten wird, wie es seit 1988 eigentlich Tradition ist. Sie wurde am Montag abgesagt. China erkennt offenbar wenig Vorteile darin, sich der Welt zu erklären.

Dennoch (oder gerade deshalb) schauen Beobachter ganz genau auf den NVK. Welches Wachstumsziel gibt die Regierung vor? Wie hoch fällt das Verteidigungsbudget aus?

Für den SPIEGEL werden die beiden Korrespondenten Georg Fahrion und Christoph Giesen aus der Großen Halle des Volkes berichten – wenn man sie denn hineinlässt. »In den Jahren der Pandemie war der Zugang zur Großen Halle streng begrenzt, weil die Autoritäten fürchteten, dass die Führung sich infizieren könnte«, sagt mein Kollege Georg Fahrion. »Immerhin das, so hoffen wir, sollte dieses Jahr entspannter ablaufen.«

Einen negativen PCR-Test mussten die Kollegen trotzdem vorab vorweisen.

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Die Koalition macht keine Rentenpolitik, sie verweigert sie: Ein auf Dauer garantiertes Niveau und ein neuer Kapitalstock: Hubertus Heil und Christian Lindner sind stolz darauf, sich bei der Rente geeinigt zu haben. Dabei löst der Kompromiss kein einziges Problem. 

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Die Startfrage heute: Seit wann gibt es den Staat Israel?

Verlierer des Tages…

Regisseur Polanski

Foto: ARND WIEGMANN/ REUTERS

…ist Roman Polanski. Der französisch-polnische Filmemacher muss sich ab heute in Paris wegen des Vorwurfs der Verleumdung verantworten.

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Polanski hatte 2019 in einem Interview mit der Zeitschrift »Paris Match« eine Frau als Lügnerin bezeichnet, die ihm sexuellen Missbrauch vorgeworfen hat. Die Frau wehrt sich nun vor Gericht.

2019 hatte die #MeToo-Bewegung Frankreich noch kaum erfasst. Das aber ist heute anders. Völlig anders.

Die Affäre Depardieu 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Unterseekabel im Roten Meer gekappt: Der Datenverkehr zwischen Europa, Asien und dem Nahen Osten ist gestört. Mehrere Datenkabel auf dem Grund des Roten Meeres wurden durchtrennt.

SEK überwältigt Frau nach stundenlangem Großeinsatz in Aachener Klinik: In Aachen hat sich eine Frau stundenlang in einem Krankenhaus verschanzt. Spezialeinsatzkräfte der Polizei überwältigten die 65-Jährige schließlich – sie wurde dabei durch Schüsse verletzt.

Ehemalige Twitter-Führungskräfte verklagen Musk auf Abfindung: Es geht um 128 Millionen US-Dollar: Vier frühere Twitter-Manager um Ex-Chef Parag Agrawal haben eine Klage gegen Elon Musk eingereicht. Sie fordern eine Abfindung.

Diesen Text möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Schiffe auf dem Suezkanal (Symbolbild): Funkbotschaft »All Chinese Crew«

Foto: Sayed Hassan / dpa

Wer traut sich durchs Rote Meer? In normalen Zeiten gehen rund zehn Prozent des Welthandels durch das Rote Meer und den Suezkanal. Doch angesichts der Huthi-Angriffe trauen sich viele nicht mehr: Große Reedereien wie Maersk oder Hapag-Lloyd meiden das Gebiet und nehmen den weiten Umweg ums Kap der Guten Hoffnung in Kauf. Nun erwägen einige Konzerne ein Comeback der gefährlichen Route. Andere setzen auf den Zugverkehr – ausgerechnet durch Russland. Mein Kollege Alexander Preker hat sich den Wettlauf beim Warentransport genauer angesehen .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Susanne Beyer, Autorin der Chefredaktion

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