Die Lage am Morgen: Wenn im Jugendklub alle rechts sind

29 Aug 2024

Für die SPD geht es um alles

Noch drei Tage bis zur Wahl in Sachsen und Thüringen. Die SPD ist nicht zu beneiden. In beiden Ländern steht sie in den Umfragen bei sechs Prozent – für die Partei geht es um die Existenz. Ein schlechtes Ergebnis könnte auch Auswirkungen auf die Ampel im Bund haben.

Björn Höcke - Figure 1
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Wahlplakat des Thüringer SPD-Spitzenkandidaten Georg Meier

Foto: Matthias Gränzdörfer / pictureteam / IMAGO

Dafür hatte Spitzenkandidat Georg Meier erstaunlich gute Laune, als ich ihn gestern beim Wahlkampf im thüringischen Schleiz begleitet habe. Kein einfaches Pflaster: Die AfD gewann hier fast die Landratswahl. Das örtliche Krankenhaus wird geschlossen. Extremisten machen Stimmung, indem sie behaupten, in das Gebäude sollten stattdessen Flüchtlinge einziehen. Frei erfunden.

Und Meiers SPD-Truppe? Die kämpft. Am Infostand mussten sich die Sozialdemokraten einiges anhören. SPD und Grüne würden das Land »in den Dreck reiten«. Olaf Scholz sei eine »Luftnummer«. Die Renten seien zu niedrig, die Löhne auch – aber die Flüchtlinge bekämen »alles in den Arsch gesteckt«. Was mich erstaunt hat: Auf Schimpftiraden folgten oft lange Gespräche. Eigentlich ein gutes Zeichen.

Manche Gespräche ließen mich allerdings auch ratlos zurück: Meier unterhielt sich fast 15 Minuten mit drei Jugendlichen. Eine von ihnen erzählte, in ihrem Jugendklub auf dem Dorf seien außer ihr alle rechts. Ihr Kumpel berichtete, Altersgenossen würde abends vor dem Klub gerne mal »Sieg Heil« brüllen. Ich bin selbst in Sachsen auf dem Dorf aufgewachsen. Aber damals waren unter den Jugendlichen die extremen Rechten nicht in der Mehrheit.

Mehr zum Thema: Kanzler im Wahlkampf in Sachsen und Thüringen – als Scholz den Sisyphos in sich entdeckt 

Björn Höcke - Figure 2
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Wenn Höcke flach liegt

Wie aufgeheizt der Ost-Wahlkampf ist, zeigte sich gestern an der Aufregung um eine Krankmeldung von Björn Höcke. Der AfD-Mann ziehe sich vorläufig aus dem Wahlkampf zurück, titelte »Bild«. Ein AfD-Sprecher erklärte später, Höcke habe aus »gesundheitlichen Gründen« lediglich seine Auftritte für Mittwoch abgesagt. Am Donnerstag – also heute – solle alles wieder stattfinden wie geplant.

Thüringer AfD-Chef Björn Höcke

Foto: Matthias Bein / dpa

Abgesagt hatte Höcke unter anderem eine Runde von n-tv und Antenne Thüringen. Dort wurde er gestern Abend von seinem Co-Landeschef Stephan Möller vertreten. Den löcherte der Moderator, um welche Krankheit es bei Höcke denn gehe. Möller behauptete, das wisse er nicht. Auch »Rechtspopulisten« hätten aber das Recht, gesundheitliche Schwäche zu zeigen.

Einiges spricht dafür, dass Höcke etwas ganz Banales hat(te). Heute jedenfalls soll er wieder auftreten, beim »Sommerfest« der AfD im thüringischen Nordhausen. Der Rechtsextremist teilte die Veranstaltung gestern erneut auf seinem Telegram-Kanal. Für die AfD ist die Veranstaltung ein Heimspiel: Bei der Wahl zum Nordhäuser Kreistag in diesem Jahr lag die Partei deutlich vorn.

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Update: Elektroauto

Unter den Lage-Leserinnen und -Lesern sind offenbar einige überzeugte E-Auto-Fahrer. Nachdem ich gestern von meinem Miet-Elektroauto und der Angst vor dem leeren Akku berichtete, fanden sie: Ich würde Vorurteile gegen E-Mobilität schüren.

Björn Höcke - Figure 3
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War natürlich nicht meine Absicht. Ich bin nur noch nie zuvor E-Auto gefahren und war leicht nervös. Jetzt kann ich aber Vollzug melden: Nach anfänglichen Schwierigkeiten habe ich gestern erfolgreich das Auto geladen. Und bin gut durchs Land gekommen.

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Merz und die »Notlage«

Friedrich Merz tut bekanntlich alles, um in der Migrationsfrage den Kanzler zu treiben. Er hatte sich das allerdings etwas anders vorgestellt. Sein Angebot an Scholz war, dass nur Union und SPD über einen Asylpakt verhandeln. Jetzt sind auch Vertreter der Länder und des Bundeskabinetts in der Arbeitsgruppe dabei.

Oppositionsführer Friedrich Merz

Foto: Frederic Kern / Geisler-Fotopress / action press

Für den Oppositionsführer ebenfalls unangenehm: Seine Vorschläge werden juristisch immer weiter auseinander genommen. So zum Beispiel die Idee, eine »nationale Notlage« auszurufen, um EU-Recht auszuhebeln und Migranten zurückweisen zu können, die zuerst in ein anderes EU-Land eingereist sind. Vizekanzler Robert Habeck stichelte bereits gegen Merz: »Nun weiß ich nicht, ob es Unwissen oder vielleicht auch fehlende europäische oder Regierungserfahrung ist oder ob es der Versuch ist, einfach mal einen rauszuhauen.«

Mein Kollege Markus Becker hat sich das juristisch genauer angeschaut. Fraglich ist bereits, auf welchen Artikel des »Vertrags zur Arbeitsweise der EU« Merz sich überhaupt bezieht. Bei den beiden, die infrage kämen, ist es höchst strittig, ob man damit einfach das EU-Recht außer Kraft setzen könnte. So ein Schritt würde zudem zu politischen Verwerfungen innerhalb der EU führen.

Björn Höcke - Figure 4
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Unabhängig von solchen Fragen ist aber auch klar: Die neue, von Scholz einberufene Arbeitsgruppe muss jetzt liefern. Sie darf kein Placebo sein. Sonst produziert sie nur Enttäuschungen und mehr Verdruss. Ein Konsens zwischen Regierung, Opposition und Ländern wäre angesichts der heißgelaufenen Debatte ein wichtiges Signal.

Mehr Hintergründe: Warum Merz’ Notlagenidee eine Idee bleiben wird 

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Die Stabilität der Union ist brüchig: Die Union ruft nach einem Ende der Ampel. Aber ist sie wirklich in der Verfassung, es besser zu machen? 

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Die Startfrage heute: Wie heißt die Landeshauptstadt von Nordrhein-Westfalen?

Verlierer des Tages…

… ist der ungarische Regierungschef Viktor Orbán. Sein Land hat zwar noch immer die EU-Ratspräsidentschaft inne. Doch statt in der ungarischen Hauptstadt Budapest treffen sich heute die EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel.

Viktor Orbán in Brüssel

Foto: Nicolas Economou / NurPhoto / IMAGO

Orbán hat sich das selbst zuzuschreiben. Kurz nach dem Beginn seiner EU-Ratspräsidentschaft war er zu Russlands Präsident Wladimir Putin, Chinas Staatschef Xi Jinping und Ex-US-Präsident Donald Trump gereist. Er versuchte dabei den Eindruck zu erwecken, als sei er in offizieller Funktion unterwegs.

EU-Chefdiplomat Josep Borrell hielt das für völlig inakzeptabel. Für das erste Treffen der EU-Staats- und Regierungschef nach der Sommerpause lud er deshalb nach Brüssel ein.

Björn Höcke - Figure 5
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Gänzlich unumstritten war Borrells Entscheidung allerdings nicht – im Gegenteil. Als im Juli die EU-Außenminister darüber diskutierten, lehnten Luxemburg, Spanien, Deutschland und andere Länder den Boykott des Treffens ab. Man solle die Kritik an Orbán vor Ort vortragen, fanden einige. Doch Borrell blieb dabei. Auch Außenministerin Annalena Baerbock wird heute bei dem Treffen in Brüssel erwartet.

Mehr Hintergründe: Willkommen in Orbáns Lügenshow 

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

Anzeige gegen Trump-Team nach Gerangel auf Soldatenfriedhof: Auf Teilen des Nationalfriedhofs Arlington sind Fotos verboten: Donald Trump wollte bei einem Besuch trotzdem welche. Es kam zu Handgreiflichkeiten zwischen seinen Mitarbeitern und Personal – und nun zur Anzeige.

Griechische Hafenstadt kämpft mit massenhaft angeschwemmten toten Fischen: Binnen eines Tages beseitigten Einsatzkräfte 57 Tonnen toter Fische aus dem Wasser vor der beliebten griechischen Hafenstadt Volos. Die Tourismusbranche ist alarmiert.

Und dann läuft Markus Rehm durch die Pariser Nacht: Die Paralympischen Sommerspiele beginnen mit einer stimmungsvollen Zeremonie. Es wurde musiziert, getanzt und gefeiert. Am Ende hatte Weitspringer Markus Rehm seinen großen Auftritt.

Diese Geschichte möchte ich Ihnen heute besonders empfehlen:

Betrugsopfer Gärtner und Freundin: Ein Bindestrich in der Webadresse macht den Unterschied

Foto: Nancy Jesse / DER SPIEGEL

Paul Gärtner und seine Freundin sind auf ImmoScout24 an hochprofessionelle Betrüger geraten. Die nahmen in seinem Namen, mit seinen Daten einen 30.000-Euro-Kredit auf. Bank, Polizei und die Plattform selbst sind jetzt keine große Hilfe. Mein Kollege Matthias Kreienbrink hat den Fall recherchiert .

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Maria Fiedler, stellvertretende Leiterin des SPIEGEL-Hauptstadtbüros

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