USA: Druck der Demokraten auf Präsident Biden zum Rückzug wächst

Die Stunde der Wahrheit für Biden naht

Zwei demokratische Spitzenpolitiker im amerikanischen Kongress drängen den Präsidenten zum Rückzug seiner Kandidatur. Die Angst vor einem Erdrutschsieg Trumps erschüttert die Demokraten.

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Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Jetzt auch noch das – Präsident Biden ist an Covid erkrankt und muss auf geplante Wahlkampfauftritte verzichten.

Susan Walsh / AP

Es ist wohl ein Zufall, aber es wirkt wie ein Symbol: Der amerikanische Präsident Biden ist an einer Corona-Infektion erkrankt und musste am Mittwoch auf einen geplanten Wahlkampfauftritt in Las Vegas verzichten. Stattdessen hat er sich zur Selbstisolation in sein Haus in Delaware zurückgezogen. Zwar betonte die Sprecherin des Weissen Hauses, die Symptome seien leicht. Biden werde sich daheim mit voller Kraft den Amtsgeschäften widmen. Doch der unfreiwillige Rückzug wirkt wie ein Fanal dafür, was dem Präsidenten in den nächsten Tagen politisch bevorstehen könnte.

So wurden am Donnerstag Hinweise aus vertraulichen Gesprächen zwischen den beiden höchsten demokratischen Politikern im Kongress in amerikanischen Medien verbreitet. Der Mehrheitsführer im Senat, Chuck Schumer, und der Minderheitsführer der Demokraten im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, hatten Biden in der vergangenen Woche separat getroffen. Auch wenn sich die Politiker nicht öffentlich zum Inhalt der Gespräche äusserten, sollen sie laut den Berichten Biden gegenüber sehr deutlich gemacht haben, wie besorgt sie über die Chancen seiner Präsidentschaftskandidatur seien. Biden habe ihnen nicht zugestimmt, aber immerhin zugehört, heisst es. Er sei in den letzten Tagen empfänglicher für kritische Argumente gewesen.

Beide Politiker sollen auch hinter dem Entscheid der Parteispitze von dieser Woche stehen, eine ursprünglich für nächste Woche geplante vorgezogene Online-Wahl Bidens zum Präsidentschaftskandidaten auf Anfang August zu verschieben.

Die Scheinwerfer richten sich wieder auf Biden

Bisher haben nur 23 Abgeordnete und ein Senator öffentlich den Rückzug Bidens gefordert. Das Attentat vom vergangenen Wochenende hatte die sich langsam aufbauende Welle von öffentlich geäusserter Kritik und Rückzugsforderungen innerhalb der Partei zunächst gebrochen. Bidens fortschreitende Altersschwäche wurde dadurch und durch den nationalen Parteitag der Republikaner in Milwaukee auch aus den Schlagzeilen der Medien verdrängt.

Doch mit der am Donnerstag zu Ende gehenden grossen Trump-Show in Milwaukee werden sich die Scheinwerfer wieder auf das Führungsdrama bei den Demokraten richten. Die Debatte über Bidens Fähigkeit, eine zweite Amtszeit zu bestehen, beschäftigt weiterhin die Kommentarspalten der politischen Leitmedien. Diese scheinen sich weitgehend einig zu sein: Bidens Rückzug wird mehrheitlich gefordert.

Auch innerhalb der Demokratischen Partei brodelt der Widerstand weiter, wie die an die Öffentlichkeit gedrungenen Signale von Schumer und Jeffries zeigen. Zudem erhob am Mittwoch mit Adam Schiff ein Schwergewicht im Kongress öffentlich die Forderung nach einem Rückzug Bidens. Im Kongress geht die Angst vor einem Erdrutschsieg der von Trump angeführten Republikaner um. Ein solcher würde nicht nur bedeuten, dass Trump das Weisse Haus zurückerobert. Er würde auch den ohnehin als wahrscheinlich geltenden Verlust des Senats fast zur Gewissheit machen, zumal der in diesem Szenario als Vorsitzender des Senats amtierende Vizepräsident J. D. Vance im Falle eines Patts in der kleinen Kammer jeweils den Stichentscheid zugunsten der Republikaner geben könnte.

Zudem wird befürchtet, dass die erhoffte Rückeroberung der Mehrheit im Repräsentantenhaus an der Schwäche Bidens und der neuen Stärke Trumps scheitern könnte. Die Kontrolle über alle drei nationalen Machtzentren würde es Trump erlauben, während mindestens zweier Jahre durchzuregieren. Das muss für all jene, die in Trump eine Gefahr für die amerikanischen Institutionen und die Demokratie sehen, eine Horrorvorstellung sein.

Bidens Umfragewerte rutschen nach unten

Wie auch immer Biden diese Stunden und Tage mit sich selbst ringen wird, die Zeit des Zauderns ist vorbei. Der nationale Parteitag der Demokraten, an dem die Nomination des Kandidaten formal erfolgt, beginnt schon am 19. August. Für die Kampagne eines so spät eingewechselten Kandidaten zählt jeder Tag, an dem er sich den Wählern in dem riesigen Land präsentieren kann.

Könnte die Vizepräsidentin Kamala Harris oder allenfalls eine andere Kandidatin oder ein anderer Kandidat der Demokraten Trumps Triumph noch aufhalten? Niemand im politischen Washington weiss die Antwort. Was die neuesten Umfragen allerdings zeigen, sind die grossen Zweifel einer deutlichen Mehrheit der Amerikaner, dass Biden noch in der Lage sei, weitere vier Jahre im Weissen Haus zu regieren.

Seine Zustimmungswerte sind seit der katastrophalen Debatte mit Trump Ende Juni von bereits sehr tiefen 42 Prozent je nach Umfrage auf die Marke von 40 Prozent oder gar darunter gerutscht. Von den demokratischen Anhängern fordern laut einer am Mittwoch veröffentlichten Umfrage knapp zwei Drittel, Biden solle seinen Verzicht erklären. Aus seinem engsten Umfeld dringen bis jetzt allerdings keine Zeichen an die Öffentlichkeit, dass er diesem Wunsch nachgeben werde.

Aus Gründen der Praktikabilität und des enormen Zeitdrucks ist die Wahrscheinlichkeit, dass nach einem Rückzug Bidens die Wahl auf Harris fiele, am höchsten. Sollten Biden und die Führung der Demokraten zu diesem Schluss kommen, wäre ein sofortiger Rücktritt des Präsidenten wohl die beste Lösung für die Partei. So könnte Harris wenigstens noch für ein paar Monate mit dem Gewicht und den Ressourcen des Präsidentenamts in den Wahlkampf gegen Trump ziehen.

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