Dokumentenaffäre: Darum ist der Bericht des Sonderermittlers so ...

9 Feb 2024

US-Präsident Joe Biden: »Ich weiß, was zum Teufel ich tue«

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Evan Vucci / AP

Biden - Figure 1
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Eigentlich sollte der Fall damit erledigt sein: Die Dokumentenaffäre wird für US-Präsident Joe Biden kein juristisches Nachspiel haben. Die Begründung des Sonderermittlers Robert Hur und dessen Bericht sind hingegen geeignet, Bidens Ansehen nachhaltig zu beschädigen. Entsprechend angefasst reagierte der US-Präsident auf die Veröffentlichung. Der Überblick:

Worum geht es?

Es war ein überraschender Fund beim Ausräumen eines alten Büros: Im November 2022 entdeckten Mitarbeiter Joe Bidens in einem verschlossenen Schrank in Washington vertrauliche Dokumente aus Bidens Zeit als Vizepräsident. In der Folge wurden Ermittler eingeschaltet, die bei Durchsuchungen Räume und Häuser an verschiedenen Orten durchkämmten – und noch mehr Dokumente tauchten auf . Biden zeigte sich daraufhin überrascht, er wisse nicht, wer die Dokumente dorthin gebracht habe oder was diese beinhalteten.

Biden ist nicht der einzige Toppolitiker, der derzeit eine Dokumentenaffäre erlebt: Ex-Präsident Donald Trump dominierte zum Zeitpunkt der Funde bei Biden die Schlagzeilen unter anderem deshalb, weil auch er geheime Regierungsdokumente illegal bei sich gehortet haben soll. Mittlerweile ist Trump deswegen angeklagt . Was würde das alles für Biden bedeuten? Justizminister Merrick Garland setzte schließlich Sonderermittler Robert Hur ein, um die heiklen Anschuldigungen gegen seinen eigenen Chef untersuchen zu lassen.

Was steht in dem Bericht über die Affäre?

Hur stellte seinen Bericht am Donnerstag vor (das Originaldokument können Sie hier lesen ). Die gute Nachricht für Joe Biden: Der Sonderermittler hält eine strafrechtliche Anklage gegen den US-Präsidenten nicht für gerechtfertigt, auch wenn Biden die Dokumente aus seiner Zeit als Vizepräsident zunächst »vorsätzlich« behalten habe. Hur hob dabei erhebliche Unterschiede zwischen der Dokumentenaffäre um Biden und jener um seinen republikanischen Amtsvorgänger hervor. Während Biden Geheimdokumente nach dem ersten Fund freiwillig dem Nationalarchiv übergeben und während der Ermittlungen kooperiert habe, habe Trump sich »über viele Monate« geweigert, die Dokumente zurückzugeben. Zudem habe Trump laut der gegen ihn erhobenen Anklage »Dritte damit beauftragt, Dokumente zu vernichten und dann darüber zu lügen«.

Was steht außerdem in dem Bericht?

Brisant wird Hurs Untersuchung vor allem durch das Bild, das er von dem 81 Jahre alten Biden zeichnet. So begründete der Sonderermittler den Verzicht auf weitere Schritte unter anderem damit, dass Bidens Erinnerung während der Befragung »signifikant eingeschränkt« gewesen sei. Der Präsident sei ein »wohlmeinender älterer Mann mit einem schlechten Gedächtnis«. Für diese Einschätzung nennt Hur mehrere Beispiele:

Die Unterhaltungen der Ermittler mit dem US-Präsidenten beschreibt Hur als schwierig. Bidens Gedächtnis habe »erhebliche Einschränkungen« offenbart und sei teils »verschwommen« gewesen. Die Gespräche seien »oft quälend langsam« verlaufen.

So heißt es, Biden habe Mühe gehabt, sich an Ereignisse zu erinnern und mitunter sogar eigene Notizen zu lesen und wiederzugeben. »Er wusste nicht mehr, wann er Vizepräsident war, vergaß am ersten Tag des Gesprächs, wann seine Amtszeit endete und vergaß am zweiten Tag des Gesprächs, wann seine Amtszeit begann.«

Auch habe sich Biden nicht mehr daran erinnern können, wann sein Sohn Beau gestorben sei. Bidens ältester Sohn erlag 2015 einem Krebsleiden.

Ausgewertet wurden auch lange Mitschnitte von Unterhaltungen Bidens mit seinem Ghostwriter für ein 2017 erschienenes Buch. Das Material hinterließ bei den Ermittlern ein desaströses Bild. Demnach sagte Biden etwa, er habe »gerade all das geheime Material im Erdgeschoss« eines Hauses gefunden, das er damals in Virginia gemietet hatte.

Was sagt Joe Biden dazu?

Biden ging im Anschluss an die Vorstellung von Hurs Bericht in die Offensive: »Mein Gedächtnis ist gut«, erklärte er auf einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. »Ich bin ein älterer Mann, und ich weiß, was zum Teufel ich tue. Ich bin Präsident, und ich habe dieses Land wieder auf die Beine gebracht.«

Aufgewühlt zeigte er sich vor allem angesichts der Bemerkungen zum Tod seines Sohnes: »Wie zur Hölle kann er es wagen, das aufzubringen«, schimpfte Biden über den Sonderermittler. Als die Frage nach seinem Sohn in den Befragungen aufgekommen sei, habe er sich gedacht, das gehe den Sonderermittler nichts an, sagte Biden weiter. Gleichzeitig wies er Anschuldigungen aus dem Bericht vehement zurück. Er beteuerte etwa, keine geheimen Informationen mit seinem Ghostwriter für ein Buch geteilt zu haben.

Wie wurde der Sonderermittler ausgewählt?

Bevor Robert Hur als Sonderermittler eingesetzt wurde, arbeitete er als Anwalt für eine Kanzlei in Washington. Davor war er Staatsanwalt im US-Bundesstaat Maryland. Für diese Position wurde Hur von dem damaligen Präsidenten Donald Trump nominiert. Vor dieser Tätigkeit arbeitete er bereits im Justizministerium – etwa zu den Themen Terrorismusbekämpfung und Unternehmensbetrug.

Justizminister Garland wählte also – womöglich als Versuch, größtmögliche Unabhängigkeit zu zeigen – ausgerechnet einen Mann, der im Fahrwasser Donald Trumps aufgestiegen ist.

Was für Auswirkungen könnte der Bericht haben?

Hurs Bericht weckt Erinnerungen an einen Pyrrhussieg einer anderen Demokratin: So gab der damalige FBI-Direktor James Comey zwei Tage vor der US-Wahl 2016 bekannt, dass er gegen Hillary Clinton in der E-Mail-Affäre nicht weiter ermitteln werde. Nur wenige Tage zuvor hatte er entsprechende Untersuchungen überraschend erst wieder aufgenommen. Clinton hatte in ihrer Zeit als Außenministerin zahlreiche dienstliche Mails über ihren privaten Server verschickt oder bekommen.

Der zeitliche Ablauf ist diesmal ein ganz anderer, Hurs Bericht erscheint in deutlich größerem Abstand zur Wahl 2024. Ähnlich ist aber das Muster: Eine eigentlich entlastende Nachricht wird in einem Kontext geliefert, der potenziell schaden kann. Im Falle Clintons war dies ihr sorgloser Umgang mit Staatsgeheimnissen – in dem Bidens seine angebliche Vergesslichkeit und Verwirrtheit. Ob dieser Vorgang allein Clinton die Präsidentschaft kostete, ist natürlich unklar. Klar ist: Eine Diskussion über seine geistige Verfassung kann Bidens Wiederwahl gefährden.

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