Kanzlerkandidat: So muss Robert Habeck den Rückzug von ...

11 Jul 2024
Baerbock
Kanzlerkandidatur der Grünen Ein Kandidat von ihren Gnaden? So muss Habeck Baerbocks Rückzug nutzen

Annalena Baerbock will nicht Kanzlerkandidatin der Grünen werden – weil sie angeblich Wichtigeres zu tun hat. Das ist absurd. Robert Habeck muss nun beweisen, dass er Transformation kann, die nicht im Desaster endet. Ein Kommentar.

Geschickter hätte Annalena Baerbock ihren vermeintlichen Rückzug nicht verkünden können. Während Konkurrent Robert Habeck durchs kleine Dortmund tingelt, gibt sie am Rande des Nato-Gipfels in Washington dem Weltsender CNN ein Interview, das sie mit einer bemerkenswerten Botschaft beendet: Sie will auf die Kanzlerkandidatur verzichten – weil sie Wichtigeres zu tun hat. Ernsthaft?

Sie wolle sich mit voller Kraft ihrer „staatspolitischen Verantwortung als Außenministerin“ widmen, erklärte die Grüne am Mittwoch CNN-Chefreporterin Christiane Amanpour: „In diesen Krisenzeiten bedeutet politische Verantwortung, als Außenministerin nicht in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein.“

Chapeau, Frau Baerbock – so muss man seine eigene Chancenlosigkeit erstmal zu inszenieren wissen! 

Baerbocks miserables Krisenmanagement

Tatsächlich ist Annalena Baerbock nur der Entscheidung ihrer Partei zuvorgekommen. 2021 hatte sie den Grünen die Aussichten aufs Kanzleramt dramatisch vermasselt: mit Ungereimtheiten im Lebenslauf, einem eilig veröffentlichten Buch, das nach Plagiatsvorwürfen zurückgezogen werden musste – und vor allem einem miserablen Krisenmanagement. 

Die Zustimmungswerte für die Grünen knickten weg wie vertrocknende Sonnenblumen: Lag die Partei im April 2021 noch bei 28 Prozent mit realistischen Aussichten aufs Kanzleramt, halbierte sie sich bis zum Wahltag im September auf 14,8 Prozent.

Von Schweinen und dem Völkerrecht 

Für Habeck, der Baerbock auch unter dem Druck der grünen Frauen den Vortritt lassen musste, war das nur schwer zu ertragen. Zumal sie schon vorher Gelegenheiten nutzte, um ihren damaligen Co-Parteichef vorzuführen.

So erklärte Baerbock 2020 bei einem gemeinsamen Interview beispielsweise, dass sie „vom Völkerrecht“ komme, Habeck hingegen von den „Hühnern, Schweinen“ und vom „Kühe melken“. „Da kommen wir aus ganz anderen Welten“, stellte sie herablassend fest, während der promovierte Philosoph und Apothekersohn Habeck, der zwischenzeitlich auf einen Bauernhof gezogen war, verdattert neben ihr saß.

Baerbock macht den Ehmke

Und nun macht Baerbock den Horst Ehmke der Grünen und erklärt sinngemäß: Lassen Sie mich durch, ich werde als Retterin an allen Krisenherden dieser Welt gebraucht – mit so schnöden Dingen wie einer Kanzlerkandidatur dürfen sich andere beschäftigen. Damit überhöht sich die Außenministerin, die bisher vor allem für ihre feministische Außenpolitik bekannt ist, selbst. Und gibt Habeck zugleich schon wieder einen mit.

Denn der Vizekanzler und Wirtschaftsminister wirkt nach diesem Auftritt wie ein Kandidat von Baerbocks Gnaden. Dabei stellt sich die Machtverteilung längst anders da.

Machtwort im Haushaltsstreit 

Erst vergangene Woche musste der Vizekanzler die Außenministerin einnorden, die im Streit um den Haushalt auf weitere Milliarden Euro für ihr Ressort beharrte und offensichtlich erst nach einem Machtwort von Habeck klein beigab. 

Dass Habeck diesen Konflikt genauso geräuschlos löste, wie er die gesamten Grünen im Zuge der Verhandlungen vergleichsweise gut im Zaume hielt, spricht für sein Führungsqualität in den eigenen Reihen – was freilich nicht von Dauer sein muss.

Gerade den linken Grünen ist der Wirtschaftsminister oft zu realpolitisch unterwegs. Dabei müsste ihnen längst klar sein, dass es auf die Zeitenwende keine andere Antwort gibt: Gaslieferungen aus Katar, Waffenexporte nach Saudi-Arabien und einen neuen Wehrdienst auf dem Weg zur „Kriegstüchtigkeit“. Willkommen in der Realität!

Wie raus aus dem 11-Prozent-Loch?

Das muss Habeck niemand mehr erklären – und doch wird er seine Partei als Spitzenkandidat nur aus dem 11-Prozent-Loch holen können, wenn er als Deutschlands Wirtschaftsminister liefern kann. „Dramatisch schlecht“ hat er die Aussichten für den Standort Deutschland selbst vor wenigen Monaten genannt. Mit der sogenannten Wachstumsinitiative der Ampel soll die Wirtschaftsleistung jetzt um mindestens 0,5 Prozent steigen, das sind zwar rund 26 Milliarden Euro mehr – aber ein echter Aufschwung sieht anders aus.

Habeck, der sich noch nicht offiziell auf eine Kandidatur festlegen will und auf die Entscheidung der Parteigremien verweist, nennt das Wachstumspaket trotzdem „wuchtig“. Und er sieht „große Chancen“, dass er die Grünen wieder Richtung 20 Prozent führen kann. 

Die nächste Kandidatin steht bereit 

Aber: wenn der Aufschwung 2025 nicht kommt, dürfte es eng werden für Habeck und die Grünen. Dann wäre sein Name verbunden mit dem Desaster um das Heizungsgesetz, mit Rezession und Deindustrialisierung – und nicht mit Veränderung und einer Transformation, die Deutschland wieder wettbewerbsfähiger macht.

Sollte Habeck dabei scheitern, steht aber schon die nächste Kandidatin bereit. Denn Baerbock schließt nicht aus, zu einem anderen Zeitpunkt zu kandidieren. „Jede Zeit hat ihre Aufgaben“, sagte sie im CNN-Interview – Habeck könnte diesen Satz als Drohung verstehen.

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