WikiLeaks: Assange wird erstmal nicht ausgeliefert

21 Mai 2024

In London ging es heute in einer Anhörung ein weiteres Mal um das Auslieferungsbegehren der Vereinigten Staaten gegen Julian Assange, den Mitgründer von WikiLeaks. Der britische High Court hat entschieden, dass Assange das Recht bekommt, gegen seine Auslieferung in Berufung zu gehen, und damit erstmal nicht ausgeliefert wird.

Assange - Figure 1
Foto Netzpolitik.org

Der Wikileaks-Mitgründer selbst war heute nicht im Gerichtssaal. Er hatte zwar eine Erlaubnis zur Teilnahme, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen erneut nicht erscheinen. Bereits seit Januar 2021 hat er an den zahlreichen Gerichtsterminen nicht mehr teilgenommen. Als Grund wurde stets sein schlechter gesundheitlicher Zustand genannt.

Die konkrete Frage, die das Londoner Gericht heute zu entscheiden hatte, drehte sich um drei Zusicherungen der US-Regierung an das Gericht. Wären sie für ausreichend erachtet worden, hätte Assange ausgeliefert werden können. Der High Court kam aber zu dem Schluss, dass zwei der drei US-Zusicherungen nicht hinreichend sind. So geht der mittlerweile zehn Jahre dauernde rechtliche Streit um die Auslieferung in die nächste Runde. Julian Assange hat seit dem Jahr 2012 nicht mehr auf freiem Fuß gelebt.

US-Zusicherungen nicht ausreichend

Eine der drei Zusicherungen der US-Regierung bezog sich auf die Todesstrafe, die Assange in den Vereinigten Staaten drohen könnte. Das Londoner Gericht hatte gefordert, dass diese Strafe ausgeschlossen werden müsse. Dies hat die US-Seite eindeutig und für das zuständige US-Gericht bindend zugesichert. Auch das Anwaltsteam von Assange akzeptierte diese Zusicherung in der Anhörung.

Anders sieht es bei den beiden anderen US-Zusicherungen aus. Sie beziehen sich auf den ersten US-Verfassungszusatz, der die Rede- und Pressefreiheit garantiert, und auf Assanges australische Nationalität, für die er nicht benachteiligt werden soll. Das Anwaltsteam des Wikileaks-Mitgründers bemängelte, dass ihm von US-Seite in diesen Fragen keine echten Zusicherungen gemacht worden seien. Stattdessen solle Assange nur darum ersuchen können, sich auf den ersten US-Verfassungszusatz berufen zu dürfen. Das sei aber keine Garantie. Ein faires Verfahren sei in den Vereinigten Staaten daher nicht zu erwarten.

Dieser Ansicht folgten die Richter und ließen das Berufungsverfahren zu. Es soll diese Rechtsfragen angemessen prüfen und abschließend klären.

Auch Julian Assanges Ehefrau Stella hielt nicht alle der drei abgegebenen US-Zusicherungen für ausreichend. Sie hatte heute bereits vor Beginn der Anhörung in einem kurzen Statement vor dem Gerichtsgebäude gesagt, dass sie im Falle einer Auslieferungsentscheidung einen Antrag auf einstweilige Verfügung beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg stellen werde. Ob ein solcher Antrag – sofern das Höchstgericht ihn überhaupt annimmt – aufschiebende Wirkung hat, ist aber fraglich. Eine einstweilige Anordnung des Gerichtshofs müsste Großbritannien zwar befolgen, um nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zu verstoßen. Allerdings gewährt das Gericht einen solchen vorläufigen Rechtsschutz nur in sehr seltenen Fällen bei Auslieferungsverfahren, wenn beispielsweise ein besonders schweres Gesundheitsrisiko für den Betroffenen droht. In den Jahren 2021 bis 2023 wurde lediglich in elf britischen Fällen ein solcher vorläufiger Rechtsschutz gewährt.

Nach Ende der Anhörung betonte Stella Assange, dass sie die Entscheidung des Gerichts für richtig hält. Sie und ihre Familie seien erleichtert, aber sie frage sich, wie lange die gerichtlichen Verfahren noch weitergehen sollen. Sie forderte die Vereinigten Staaten auf, das Auslieferungsbegehren jetzt zu stoppen: „Lassen Sie nicht länger zu, dass das so weitergeht!“ Auch WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson schloss sich der Forderung an, Assange freizulassen.

Die WikiLeaks-Website ist seit 2006 online. Seither wurden darauf mehrere Millionen Dokumente veröffentlicht, darunter zahlreiche geheim gestempelte Regierungspapiere, die auch die Politik der Vereinigten Staaten betreffen. Aus einigen der Veröffentlichungen folgte eine internationale Berichterstattung über US-Kriegsverbrechen in Irak und Afghanistan. Das erzürnte die US-Administration so sehr, dass sie Assange in seiner Botschaftszuflucht jahrelang mit Hilfe einer privaten Sicherheitsfirma abhören und abfilmen ließ und ihm der damalige CIA-Chef Mike Pompeo gar nach dem Leben trachtete und Entführungs- und Mordpläne schmiedete.

„Er fiele genau den Leuten in die Hände, die ein Attentat auf ihn geplant haben“

Widerstand aus Australien

Dem Australier Assange wird von US-Seite Spionage und Computerkriminalität vorgeworfen und auf seine Auslieferung aus Großbritannien gedrungen, um ihm den Prozess machen zu können. Er soll auf Grundlage eines über einhundert Jahre alten Spionagegesetzes angeklagt werden. Ihm drohen bei einer Verurteilung bis zu 175 Jahre Haft.

In seinem Heimatland stößt dieses Ansinnen auf Widerstand: Im Februar stimmte das australische Parlament einem Antrag zu, der die Überstellung von Assange nach Australien fordert. Auch die australische Regierung setzt sich mittlerweile für eine Ende des Auslieferungsverfahrens ein. US-Präsident Joe Biden hatte zwar im April gesagt, dass er das Ersuchen Australiens erwäge, die Strafverfolgung von Assange einzustellen. Allerdings blieb es bei dieser Aussage. Biden könnte das Auslieferungsbegehren jederzeit stoppen, das ist jedoch bisher nicht geschehen.

Assange befindet sich seit mehr als fünf Jahren im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in Haft und bleibt bis auf Weiteres auch dort. Die heutige Anhörung hat eine große internationale Aufmerksamkeit erregt. Der Grund dafür ist die hohe Bedeutung des Assange-Falles für die Pressefreiheit weltweit. Denn der Australier hat in Zusammenarbeit mit internationalen Medienhäusern im Kern journalistisch gearbeitet. Seine Auslieferung wäre daher ein gefährlicher Präzedenzfall für die Verfolgung von investigativen ausländischen Journalisten.

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