Kämpfe in Syrien: Dschihadisten erhöhen Druck auf Assad

9 Stunden vor
Assad

Stand: 01.12.2024 16:02 Uhr

Die Dschihadisten in Syrien sind weiter auf dem Vormarsch: Laut Aktivisten hat die Regierung die Kontrolle über Aleppo verloren. Machthaber Assad rechnet fest mit der Hilfe seiner Verbündeten.

Die von der Dschihadistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) angeführte Allianz hat ihren Vormarsch in Syrien nach Angaben von Aktivisten fortgesetzt. Wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in Großbritannien den Nachrichtenagenturen dpa und AFP sagte, habe die Regierung die Kontrolle über die Millionenstadt Aleppo verloren.

Demnach stünden mittlerweile Regierungszentren und Gefängnisse in der Stadt sowie der Flughafen unter der Kontrolle der Dschihadisten, gab die Beobachtungsstelle weiter an. Zum Schutz der Bevölkerung verhängten sie demnach eine Ausgangssperre, die bis zum Nachmittag dauern sollte. Die Angaben der Aktivisten, die über ein Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien verfügen, sind nicht unabhängig zu überprüfen.

Heftigste Kämpfe seit 2020

Wie die Beobachtungsstelle weiter mitteilt, kontrollierten die Rebellen inzwischen auch Dutzende strategisch bedeutende Orte in den Provinzen Idlib und Hama, wobei es zu Hama unterschiedliche Angaben gibt. Während die Aktivisten davon sprechen, dass sich Regierungstruppen auch hier zurückgezogen hätten, bestritt eine Quelle aus der syrischen Armee laut der Nachrichtenagentur AFP den Rückzug.

HTS und ihre Verbündeten hatten am Mittwoch eine überraschende Großoffensive gegen die Streitkräfte der syrischen Regierung gestartet. Bei den heftigsten Kämpfen seit 2020 wurden laut der Beobachtungsstelle bislang mehr als 320 Menschen getötet, darunter 44 Zivilisten. 

HTS gilt als Nachfolger der Al-Nusra-Front, eines früheren Ablegers der Terrororganisation Al-Kaida in Syrien. Nach Angaben von Terrorismusexperten und Sicherheitsbehörden in den USA und Australien änderte die Gruppe 2016 jedoch ihren Namen und brach mit Al-Kaida. Trotz ihrer öffentlichen Abspaltung von Al-Kaida verfolge HTS eine salafistisch-dschihadistische Ideologie, schreibt die US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS).

Protürkische Kräfte rücken gegen Kurden vor

Die Kämpfe in Syrien beschränken sich nicht nur auf den Vormarsch der Dschihadisten. In Nordsyrien starteten von der Türkei unterstützte Rebellen einem Bericht zufolge eine Offensivegegen die Kurdenmiliz YPG. Mit der Operation "Morgendämmerung der Freiheit" solle verhindert werden, dass kurdische Milizen in der Region in der Nähe der Stadt Tal Rifat im nördlichen Gouvernement Aleppo weitere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, berichtete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Sicherheitskreise.

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte äußerte sich bislang nicht dazu. Sie berichtete aber, es habe Gefechte zwischen kurdischen Milizen und protürkischen Rebellen im Norden Aleppos gegeben. Die Türkei habe zudem Dörfer unter kurdischer Kontrolle beschossen. Aus Ankara gibt es bislang keine Stellungnahme.

Assad unter Druck

Der Vormarsch der Dschihadisten setzt Syriens Machthaber Baschar al-Assad erheblich unter Druck. Der Zeitpunkt für die Offensive ist seitens der Rebellen nach Ansicht von Experten günstig gewählt: Assads Verbündete - Russland, der Iran sowie die vom Iran finanzierte Terrororganisation Hisbollah im Libanon - sind durch Kriege in der Ukraine und in Nahost geschwächt.

Dennoch gibt sich Assad kämpferisch: Mithilfe seiner Freunde sei Syrien in der Lage, die Terrorattacken zurückzuschlagen, sagte Assad dem Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, Scheich Mohammed bin Sajid Al Nahjan, nach Angaben der staatlichen Rundfunkbehörde.

Im Laufe des Tages werde zudem der iranische Außenminister Abbas Araghtschi in Damaskus erwartet, um mit seinem syrischen Kollegen die Lage in Aleppo zu besprechen, berichtete die iranische Nachrichtenagentur Irna.

Weitere russische Luftangriffe

Russische Jets setzten nach Angaben der Beobachtungsstelle ihre Angriffe im Nordwesten Syriens fort. In der Nacht und am frühen Sonntag habe es Angriffe in den Provinzen Idlib und Hama sowie in Aleppo gegeben, hieß es. Mindestens ein Zivilist soll dabei getötet worden sein, mehrere weitere seien verletzt worden. Bereits gestern schrieben die Aktivisten, dass Russland die ersten Luftangriffe auf Aleppo seit 2016 geflogen habe.

Die russische Armee bestätigte laut russischen Medien, zur Unterstützung der Regierung in Damaskus Stellungen der Rebellen bombardiert zu haben. "Die Operation zur Abwehr der extremistischen Aggression wird fortgesetzt", zitierten russische Nachrichtenagenturen Oleg Ignasjuk, den stellvertretenden Leiter der russischen Mission in Syrien. Befehlsstellen, Artilleriestellungen und Lager der Rebellen seien angegriffen worden. Innerhalb von 24 Stunden sollen zudem etwa 300 Kämpfer getötet worden sein.

Nach Angaben aus Moskau telefonierte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seinen Kollegen im Iran und in der Türkei. In den Gesprächen habe Lawrow seine Besorgnis über die "gefährliche Eskalation" der Kämpfe in Syrien zum Ausdruck gebracht, teilte das Außenministerium mit. Zudem beteuerte er, dass Syrien weiterhin unterstützt werde.

USA: Haben nichts mit der Offensive zu tun

Der iranische Außenminister Araghtschi sagte im Telefonat staatlichen iranischen Medien zufolge, die Angriffe der Rebellen seien Teil eines Plans der USA und Israels zur Destabilisierung der Region. Den Vorwurf wiesen die USA umgehend zurück. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrats im Weißen Haus, Sean Savett, teilte mit, das Land habe nichts mit der Offensive zu tun.

Aus Sicht der USA ist die Abhängigkeit von Russland und dem Iran einer der Gründe für die Verwundbarkeit des syrischen Machtapparats. Hinzu komme die Weigerung Assads, sich auf einen politischen Prozess zur Beendigung des Krieges einzulassen, sagte Savett weiter.

Deutschland und Frankreich fordern Schutz von Zivilisten

Unterdessen drängen Deutschland und Frankreich auf den Schutz von Zivilisten in Syrien. Das Auswärtige Amt rief alle Akteure zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts auf. Es verfolge die sich rasch verändernde Lage im Nordwesten des Landes genau. "Wir unterstreichen die Notwendigkeit für eine politische Lösung im Einklang mit den einschlägigen UN-Resolutionen", hieß es aus Berlin.

Ähnlich hatte sich zuvor bereits das französische Außenministerium geäußert. Die aktuellen Entwicklungen verdeutlichten die Notwendigkeit, 13 Jahre nach Beginn des Bürgerkriegs endlich eine politische Lösung zu finden, hieß es in einer Mitteilung.

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