Flug von Annalena Baerbock: „Die besten Stücke der Flotte wurden ...
Flugabsagen wie jetzt bei Außenministerin Annalena Baerbock lassen die Flugbereitschaft der Bundeswehr immer wieder schlecht aussehen. Doch die Gründe sind selten echte technische Pannen, sondern eher die Einsatzplanung und Diplomatie.
Wenn die Flugbereitschaft der Bundeswehr in den Medien landet, hat Daniel Draken meist wenig Grund zur Freude. Das nämlich passiert dem Leiter der 16 Maschinen großen Regierungsfliegertruppe fast ausschließlich dann, wenn er sich wieder mal um irgendwo gestrandete Kabinettsmitglieder nebst ein bei paar Dutzend Mitreisender kümmern muss. Und wird, wie nun bei Außenministerin Annalena Baerbock gleich die ganze Reise abgesagt, haben der Oberst und seine Abteilung gleich die ganze Republik blamiert.
Das jedoch ist, vorsichtig ausgedrückt, überzogen. Es liegt nicht am schlechten Zustand der deutschen Flieger, wenn die Ministerin und ihr Tross nun statt auf den Fidschi-Inseln zu sein nach zwei Tagen Pause im gefühlt 47 Grad heißen Abu Dhabi zurück im regnerischen Berlin sind. „Es rührt eher aus an der Flottenplanung und vielleicht auch diplomatischen Erwägungen“, erklärt der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Denn aus rein technischer Sicht hätte Baerbock wohl reisen können.
Zwar gibt es bei den Regierungsfliegern gelegentlich brandgefährliche Fälle wie 2019 eine Bruchlandung nach einem Wartungsfehler oder 2018, als offenbar eine nicht gemeldete technische Neuerung Bundeskanzlerin Angela Merkel verspätet zu einem G20-Gipfel kommen ließ. Doch unterm Strich sind die Jets der deutschen Regierenden nicht schlechter gewartet oder gar anfälliger als vergleichbare Maschinen im Linienbetrieb. Zwar nennen traditionell weder die Luftwaffe noch die Hersteller Details zu „Betriebs- und Wartungsthemen“, wie es ein Airbussprecher ausdrückt. Doch klar ist: Absagen wegen technischer Probleme sind zwar Alltag, aber eine Ausnahme.
Einer von 100 Flügen fällt aus
Der im Fachjargon „Dispatch Reliability“ genannte Anteil der wie geplant durchgeführten Flüge liegt bei jeder seriösen Airline bei 98 bis 99 Prozent. Mit anderen Worten: von 100 geplanten Reisen fallen ein bis zwei aus, weil ein Teil streikt oder es auch nur eine Fehlermeldung gibt. Weil die Fliegerei in Sachen Sicherheit fast keine Kompromisse zulässt, wird auch bei solchen Fehlfunktionen abgesagt, mit denen manch einer sein Auto noch weiterfahren würde.
Umgerechnet auf die bis zu gut 2000 jährlichen Flüge der Flugbereitschaft entspricht das bis zu vier Fällen pro Monat. Da es deutlich seltener Schlagzeilen gibt, wären die Regierungsflieger sogar zuverlässiger als der Schnitt. Zudem sind die deutschen Kabinettsjets keineswegs die einzigen Regierungsjets, die ausfallen. „Nur nimmt hierzulande praktisch keiner die Panne eines Staatsfliegers aus Frankreich oder Großbritannien wahr“, heißt es aus Regierungskreisen.
Dass nun der Jet mit Außenministerin Baerbock an Bord so spektakulär ausgefallen ist und dass gleich zwei Mal hintereinander, rührt zudem wohl eher aus an der Einsatzplanung. Für die lange und darum für den Betrieb recht anspruchsvolle Reise nutzte Baerbock den mit 23 Jahren ältesten Flieger der Bereitschaft – statt den neuen A350. „Die wären nicht nur noch mal deutlich zuverlässiger gewesen und hätten weniger Kerosin verbraucht“, so Großbongardt. „Dank der hohen Reichweite hätte Frau Baerbock die Strecke nach Sydney wahrscheinlich auch schneller ohne Zwischenlandung absolvieren können.“
Und dank der moderneren Einrichtung wären wohl alle auch deutlich fitter angekommen, vermutet ein Manager der Flugbranche. „Doch aus Sicht der Planer wurden die besten Stücke der Flotte wohl anderswo dringender gebraucht, selbst als es darum ging, Baerbock eine Ersatzmaschine zu besorgen.“
2018
Oktober: Nagetiere knabbern bei einem Stopp in Indonesien wichtige Kabel der „Konrad Adenauer“ an. Scholz kehrt per Linienflug von der Tagung des Internationalen Währungsfonds zurück.
November: Die „Konrad Adenauer“ mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz, damals Finanzminister, an Bord kehrt auf dem Weg zum G20-Gipfel in Buenos Aires um – weil ein defektes Teil die Funksysteme lahmgelegt hat. Beide fliegen per Linienflug nach Argentinien.
2019
Januar: Steinmeier strandet wegen eines Druckluftproblems am Airbus A340 „Theodor Heuss“ in Äthiopien. Um drei Stunden verschiebt sich der Start in Addis Abeba.
März: Wegen eines Hydraulikschadens an seinem A319 geht es für Maas und eine rund 40-köpfige Delegation erst einen Tag später als geplant von Mali mit einer Ersatzmaschine zurück nach Deutschland.
April: Beim ersten Dienstflug nach einer Generalüberholung verliert ein Reifen der Airbus A340 „Konrad Adenauer“ bei der Landung in New York Luft. Außenminister Maas verspätet sich im UN-Sicherheitsrat.
Und: Die Besatzung des kleinen Regierungsjets Global 5000 entgeht mit einer Bruchlandung auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld nur knapp einem Unglück. Beide Tragflächen schrammen über den Boden. Ursache ist der fehlerhafte Wechsel eines Bauteils in der Steuerung und eine mangelnde Sorgfalt bei der Funktionsüberprüfung. Einen Tag später hätte das Flugzeug Steinmeier nach Stuttgart bringen sollen.
Juni: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier reist nach Karlsruhe wegen einer gerissenen Cockpitscheibe mit einem Privatjet zur Feier des 70. Jahrestags des Grundgesetzes.
August: Eine kaputte Schelle im Hydrauliksystem des vorgesehenen A340 zwingt Außenminister Heiko Maas (SPD) für seinen Flug nach Moskau auf einen Truppentransporter A310 der Bundeswehr auszuweichen.
2022
Oktober: Wegen eines Defekts am Regierungsflieger steigt Finanzminister Christian Lindner (FDP) in Washington nach der Herbsttagung des Internationalen Währungsfonds für seinen Rückflug auf einen Linienflug um.
2023
Mai: Nach einer Reifenpanne in Katar landet Baerbock mit etwa 17 Stunden Verspätung in Berlin. Für den platten Vorderreifen musste die Bundeswehr Ersatzteile aus Deutschland einfliegen.
Juni: Wegen Rissen in der Frontscheibe der Global 6000, ein kleiner Flieger der Flugbereitschaft mit 17 Sitzen, strandet die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium, Siemtje Möller (SPD), im Niger.
August: Baerbock landet in Abu Dhabi zwischen, denn die Landeklappen des Airbus A340-300 sind defekt. Nach einem Testlauf taucht das gleiche Problem dann wieder auf. Baerbock bricht ihre Reise nach Australien ab.
Weniger Ausweichflughäfen als im Linienbetrieb
Der wahre Grund für die Absage dürfte darum weniger der Technik geschuldet sein, vermutet der Flugmanager. Denn bei manchen Problemen ist eine Maschine grundsätzlich flugfähig, aber eben mit Einschränkungen. So dürfen Flugzeuge dann eben nicht in der üblichen Höhe fliegen oder müssen möglichst bald landen, wenn eine zweite Fehlermeldung dazu kommt.
Das ist für eine Linienmaschine normalerweise kein Problem, weil es in fast allen Teilen der Welt genug Ausweichflughäfen gibt. Doch bei Regierungsflügen ist die Auswahl begrenzt. Denn mit Kabinettsmitgliedern an Bord meiden die Flugbereitschaften der meisten Länder bestimmte Staaten, wenn es irgendwie möglich ist. „Ein Land, mit dem es Spannungen gibt oder wo Unruhen herrschen, will keiner mit einem Staatsbesuch ehren – selbst wenn der unfreiwillig ist“, kommentiert Großbongardt. Und das wären mit dem alten A340 wegen seiner kurzen Reichweite auf der Route nach Sydney unter anderem Myanmar oder Sri Lanka gewesen.
Sollte Baerbock ihre Reise noch nachholen wollen, hätte Flugbereitschaftschef Draken zumindest das Problem mit kürzeren Flugstrecken und anfälligen Altfliegern nicht mehr. Denn nach den jüngsten Pannen darf er seine 23 Jahre alten A340 endlich loswerden.
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