Angela Merkel ist 70 Jahre alt: der Irrtum mit der CDU

18 Jul 2024
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Stand: 18.07.2024, 15:40 Uhr

Von: Christine Dankbar

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Der Biss der Loris im Tierpark Marlow 2021. Georg Wendt/dpa © picture alliance/dpa

Altlanzlerin Angela Merkel wird 70 Jahre alt – mit ihrer Partei verbindet sie heute nicht mehr viel. Eine Analyse.

Angela Merkel - Figure 1
Foto Frankfurter Rundschau

Update vom 17. Juli 2024, 11.50 Uhr: Altkanzlerin Angela Merkel feiert heute ihren 70. Geburtstag – abseits der Öffentlichkeit. „Die Bundeskanzlerin a. D. Dr. Merkel wird ihren Geburtstag im privaten Kreis verbringen“, teilte eine Sprecherin Merkels der Deutschen Presse-Agentur in Berlin mit. Ein Geburtstagsempfang der Christdemokraten zu Merkels Ehren ist für den 25. September geplant. Heute würdigte etwa Kanzler Olaf Scholz (SPD) seine Amtsvorgängerin: Sie könne „auf eine beeindruckende politische Laufbahn“ zurückblicken, Merkel habe sich „unermüdlich hat sie sich für das Land eingesetzt.“

Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) hat derweil eine zwiespältige Bilanz von Merkels Kanzlerschaft gezogen – und ihre drei größten Fehler serviert. Während ihrer Kanzlerschaft hatten Merkel und ihre Partei stets eine wechselhafte Beziehung. Die Geschichte setzt sich auch an ihrem 70. Geburtstag fort.

Ohne CDU, nur mit der Familie: Merkel feiert ihren 70. Geburtstag

Erstmeldung vom 16. Juli 2024: Ihren runden Geburtstag feiert Angela Merkel natürlich nicht mit ihrer Partei. Sie macht seit ihrem Rückzug aus der aktiven Politik vor drei Jahren nämlich erklärtermaßen nur noch „Wohlfühltermine“. Eine Begegnung mit Friedrich Merz gehört explizit nicht in diese Kategorie.

Die Distanz zur eigenen Partei, der CDU, gab es zwar von Anfang an. Dass ihr Parteifeind Friedrich Merz den Konservativen nun vorsitzt, hat den Graben aber noch vertieft. Ab und zu macht dieser unausgetragene Konflikt einzelne Spitzen-Konservative auch heute noch richtig sauer, aber im Grunde hat man sich daran gewöhnt. Im September wird die CDU ihre langjährige und erste Frau an der Spitze mit einem Empfang in der Akademie der Wissenschaften in Berlin würdigen. Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp soll einen Vortrag halten. Ekstase sieht anders aus.

Angela Merkel blickt zurück: Im Herbst kommt ihr Buch

Interessant wird es im Herbst aber aus einem anderen Grund. Dann erscheint Merkels Buch, an dem sie mit ihrer langjährigen engen Mitarbeiterin Beate Baumann schon seit Monaten schreibt. Die Rechte hat sich der Verlag Kiepenheuer & Witsch gesichert, zum Inhalt ist nichts bekannt, auch ein genaues Erscheinungsdatum gibt es noch nicht. Das Werk wird mit Spannung erwartet. Wie deutlich wird Angela Merkel, die in den 16 Jahren ihrer Kanzlerschaft nur ganz wenige ausgewählte Personen an sich heranließ, ihr politisches Leben beschreiben? Wie deutlich wird sie das Verhältnis zur CDU thematisieren, in die sie ja eher durch Zufall geraten ist?

Nach dem Mauerfall war Merkel nicht in die CDU eingetreten, sondern Mitglied beim Demokratischen Aufbruch (DA) geworden. Erst als dieser in der CDU aufging, wurde sie Christdemokratin.

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Foto Frankfurter Rundschau

Andere Gesten als die Raute gehen auch: Merkel beim 30. Parteitag der CDU 2018. Bernd von Jutrczenka/dpa © dpa

Über Persönliches hat sie höchstens mal auf Nachfrage und dann nur widerstrebend gesprochen. Wer Emotionen zeigt, wirkt schwach, das wird ihr am Anfang der politischen Karriere unbarmherzig klar gemacht. Da passiert es ihr noch, dass sie bei besonders harten Anwürfen auch mal in Tränen ausbricht. Später zeigt sie in der Öffentlichkeit so wenig Emotionen, dass ihr das als Kälte ausgelegt wird.

Nur einmal macht sie eine Ausnahme, aber das war schon kurz vor ihrem Politruhestand. In ihrer Rede zum Tag der Einheit am 3. Oktober 2021 in Halle spricht Merkel davon, dass in einer Publikation der Konrad-Adenauer-Stiftung ihr Leben vor dem Mauerfall als „Ballast“ bezeichnet wurde – und dass sie das verletzt habe. Das Geständnis ist so ungewöhnlich, dass es Schlagzeilen macht. Es zeigt auch, wie einsam sie sich in ihrer Partei gefühlt haben muss.

In der Krise schaffte es Angela Merkel an die Spitze der CDU – und Deutschlands

Als ostdeutsche Frau an der Spitze der konservativen Volkspartei in Deutschland – für die Männer in der Partei war ihre Wahl zur Parteivorsitzenden lediglich ein Ausrutscher, der den damaligen Krisenzeiten geschuldet war. Die CDU ist tief im Spendensumpf versunken, als Angela Merkel auf dem Bundesparteitag im Jahr 2000 nach der Macht greift. Als einzige hat sich die Generalsekretärin getraut, öffentlich Kritik am Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, zu äußern und dann auch noch zu erklären, man müsse künftig wohl ohne ihn auskommen.

Das haben die ausschließlich westdeutschen, männlichen und meist katholischen Strippenzieher wie Volker Rühe, Roland Koch oder Friedrich Merz nicht gewagt. Dabei waren sie es doch, die die Partei modernisieren und selbstverständlich führen wollten. Die Kanzlerkandidatur können sie der Neuen noch abspenstig machen. 2002 verliert Edmund Stoiber gegen den SPD-Politiker Gerhard Schröder. Pech für Friedrich Merz: Er muss der neuen Oppositionsführerin den Fraktionsvorsitz überlassen. Es ist der Beginn der unverbrüchlichen Feindschaft der beiden. Merkel aber regiert durch, zumindest in Fraktion und Partei.

Kohl und „das Mädchen“, das alle auf eigene Gefahr nicht für voll nehmen: 1991 beim Parteitag in Dresden. Michael Jung/dpa © dpa

Der knappe Wahlsieg 2005 hat sie vorsichtig gemacht. Die Steuerreform, die Paul Kirchhof entwickelt hat und die sie im Wahlkampf propagiert, verschwindet in der Versenkung. Merkel hat begriffen, dass die Deutschen keine Veränderung mögen. Die Grünen werden es Jahre später auf die harte Tour lernen.

Merkel laviert sich politisch in der Mitte durch, das macht Kompromisse mit den Koalitionspartnern einfacher, sorgt aber für Ausfransung an den Rändern. Den Aufstieg der AfD lasten führende Parteimitglieder ihr direkt an, weil sie in der Migrationspolitik zu nachgiebig gewesen sei.

Außenpolitisch erlebt sie einen Honeymoon mit der Macht – zum Beispiel als sie den G8-Gipfel in Deutschland ausrichtet. Das Foto, das sie bei einem späteren Gipfel gestikulierend im Gespräch mit US-Präsident Barack Obama zeigt, der entspannt auf einer Bank sitzend zuhört, geht um die Welt.

Merkel hatte mit vielen Krisen zu kämpfen – doch ihr fehlt die Selbstkritik

Doch neben der Weltpolitik ist Durchwurschteln angesagt: Finanzkrise, Eurokrise, Wirtschaftskrise und 2014 besetzt Putin auch noch die Krim. Den russischen Machthaber will sie früh durchschaut haben. So sagt sie in einem Interview 2022, dass sie von Anfang an wusste, dass Putin die EU zerstören wolle. Warum sie dann an dem angeblich „rein wirtschaftlichen“ Projekt Nord Stream 2 festhielt, erklärt sie nicht. Billige Energie zu kaufen ist eben einer dieser Sachzwänge, wenn man Regierungschefin einer Exportindustrie ist. Merkel hört zu, wägt ab, verhandelt lange und hartnäckig – aber selbstkritisch ist sie ebenso wenig wie ihr Nachfolger.

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Den Vorwurf, dass das Land während ihrer Kanzlerschaft die wichtigsten Strukturreformen verschleppt hat, wehrt sie kühl mit dem Satz ab, dass man in der jeweiligen Situation eben sehen müsse, was man umsetzen könne. Es ist oft gesagt worden, dass Merkel vom Ende her denkt und dann versucht, ihre Ziele zu erreichen. Man muss dazu sagen, dass sie diese Ziele von vornherein nie zu hoch gehängt hat. Man kann auch sagen, dass sie sich und Deutschland jahrelang keine Visionen gegönnt hat. Sie dürfte ihren Geburtstag daher sehr im Reinen mit sich selbst begehen. Im Herbst, wenn das Buch kommt, sehen wir weiter.

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