„Ideenreichtum, Schlafmangel“: Der endlose Koalitionsausschuss

27 Mär 2023
Ampel Koalitionsausschuss

Endlich sollte der Knoten platzen – doch am Ende kommt man nicht zu Potte. Statt Durchbrüchen nach langem Streit hat das Ampel-Bündnis nach nächtlichen Gesprächen nichts vorzuweisen. Die Hängepartie zieht sich bis in den Dienstag

Eine Nacht und ein halber Tag haben nicht gereicht: Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat ihr Spitzengespräch vorerst unterbrochen. Am Dienstagmorgen sollen die Gespräche fortgesetzt werden - Koalitionsausschuss, Tag drei.

Nach Debatten bis zur letzten Minute musste ein Teil der Beteiligten am Montagnachmittag hastig aufbrechen. Ein Helikopter wurde zum Minister-Taxi, damit Kanzler Olaf Scholz (SPD) und seine Kabinettsmitglieder noch rechtzeitig los kamen zu den deutsch-niederländischen Regierungskonsultationen in Rotterdam. Einzig Finanzminister Christian Lindner (FDP) eilte dann doch im Auto zum Flughafen.

„Ideenreichtum, Schlafmangel - Koalitionsausschuss“, hatte der FDP-Chef kurz vorher noch kryptisch getwittert. Für Ergebnisse reichte es dann aber zumindest am Montag doch nicht, Scholz' demonstrativem Optimismus vor Beginn zum Trotz. CDU, CSU und Linke aus der Opposition werteten die Unterbrechung als Blamage und spotteten, die Bundesregierung sei „stehend k.o.“.

Scholz dagegen betonte nach der Landung in den Niederlanden, man habe „sehr, sehr gute Fortschritte erzielt“ und „viele, viele Verständigungen gewonnen“. Es gehe im Koalitionsausschuss um wichtige Festlegungen für die Modernisierung des Landes, die Jahrzehnte zu langsam vorangekommen sei. Die bisherigen Gespräche seien sehr vertraulich und freundlich verlaufen.

Ansonsten drang wenig nach außen während der endlosen Runde. Nur so viel: Es gehe bei den Gesprächen „insbesondere um die Frage von Planungsbeschleunigungen“ für Infrastrukturmaßnahmen, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. „Und da sind viele Zielkonflikte miteinander zu klären.“ Es gelte da etwa, den Wunsch nach schnellerem Ausbau erneuerbarer Energien, Straßen und Schienen unter einen Hut zu bringen mit Bezahlbarkeit, Planbarkeit und der Zukunft der industriellen Fertigung in Deutschland.

Die Koalitionsspitzen wollten im Berliner Kanzleramt eine lange Liste von Streitpunkten abarbeiten. Als größtes Konfliktthema deutete sich im Vorfeld der Klimaschutz im Verkehr an. Denn hier muss die Bundesregierung eine Trendwende schaffen. Laut Umweltbundesamt stiegen die Treibhausgasemissionen in diesem Bereich zuletzt, statt zu sinken. Vor allem die Grünen verlangen von Verkehrsminister Volker Wissing mehr Anstrengung. Dessen FDP lehnt aber zum Beispiel ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen strikt ab, ebenso wie eine Reform der Dienstwagenbesteuerung.

Doch das sind nicht die einzigen Maßnahmen, die infrage kämen. Das Umweltbundesamt und Umweltverbände fordern ein Bonus-Malus-System für neuzugelassene Pkw: Der Kauf klimaschonender Pkw mit geringen CO2-Emissionen soll gefördert, der Kauf besonders hoch emittierender Pkw verteuert werden. Ob die FDP einem solchen Schritt zustimmen kann, ist fraglich – ebenso wie einer Reform der Pendlerpauschale.

Ohne konkrete Maßnahmen für mehr Klimaschutz im Verkehr dürften aber die Grünen einem schnelleren Bau von Autobahnstrecken nicht zustimmen. Die FDP will, dass nicht nur Bahnstrecken und Brücken schneller gebaut werden sollen, sondern auch bestimmte Autobahnen. Dazu könnte man etwa die Umweltverträglichkeit weniger aufwendig prüfen. Im Vorfeld des Koalitionsausschusses galt als Kompromiss eine Einigung auf ausgewählte Projekte wie Strecken, auf denen es jetzt schon ständig Stau gibt.

Auch bei anderen Fragen war der Ton in der Koalition zuletzt rau geworden:

Austausch von Öl- und Gasheizungen

Die Grundidee ist in der Koalition eigentlich längst vereinbart: Ab 2024 sollen möglichst nur noch solche Heizungen neu eingebaut werden, die zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. De facto bedeutet das ein Aus für konventionelle Öl- und Gasheizungen. Habeck goss das in einen umstrittenen Gesetzentwurf. SPD und FDP betonen beide, Hausbesitzer und Mieter dürften nicht überfordert werden. Auf der Suche nach einem Kompromiss war die Ampel schon vor dem Spitzentreffen vorangekommen - ohne dass bisher Details durchsickerten.

Finanzierung der Kindergrundsicherung

Ab 2025 soll die Kindergrundsicherung die staatlichen Leistungen für Familien und Kinder bündeln. Umstritten ist, was alles dazugehören soll. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) will eine Aufstockung, weil die bisherigen Hilfen ihrer Meinung nach Kinderarmut nicht ausreichend bekämpfen. Sie hat deshalb einen Bedarf von zwölf Milliarden Euro angemeldet. Lindner hält Aufstocken nicht für zwingend, weil die Koalition gerade das Kindergeld angehoben hat.

Unterschiedliche Haltung beim Geldausgeben

FDP-Politiker mahnten vor dem Koalitionsausschuss wiederholt Disziplin bei den Finanzen an - vor allem mit Blick auf den nun ausstehenden Bundeshaushalt für 2024. „Alle Koalitionsparteien müssen die aktuellen finanzpolitischen Realitäten anerkennen“, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai. Doch hätten die drei Parteien kein gemeinsames Grundverständnis.

Ob sich Streitfragen wie diese besser übermüdet oder ausgeschlafen klären lassen, würden die Ampel-Politiker wohl unterschiedlich beantworten. Am Montag habe man dem Kanzler schon angemerkt, dass er nicht besonders viel geschlafen habe, meinte Regierungssprecher Hebestreit. Übernachtungsmöglichkeiten im Kanzleramt kenne er keine, sagte er mit Blick auf die Mitglieder des Koalitionsausschusses. Am Dienstag soll es zunächst einmal bei Tageslicht weitergehen.

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