Einigung im Koalitionsausschuss: Das Grundproblem der Ampel bleibt

29 Mär 2023

Analyse

Stand: 29.03.2023 02:15 Uhr

Nach ihrer Marathonsitzung hat sich die Ampel nun also doch noch auf ein Maßnahmenpaket geeinigt - und sich anschließend um ein Bild der Einigkeit bemüht. Doch das Grundproblem der Koalition zeigte sich auch in diesen Beschlüssen.

Von Kirsten Girschick, ARD-Hauptstadtstudio

Olaf Scholz setzt den Ton. Es ist kurz nach fünf, der Kanzler spricht in der Pressekonferenz mit Kenias Präsident William Ruto. Scholz verspricht den fragenden Journalisten ein gutes Ergebnis, eines, das das Land voranbringen werde. Eine konkrete Frage zum Klima in den Gesprächen lässt er offen. Ob er denn der Kritik, er blockiere derzeit eher beim Klimaschutz, etwas entgegensetzen konnte - auch dazu kam nichts konkretes.

Kirsten Girschick

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Dazu das Scholz’sche Grinsen: die geballte Hauptstadtpresse habe beim "Topfschlagen" offenbar wenig erfahren und eine Menge Falsches geschrieben. Dann Abgang Scholz - was nun alles beschlossen wurde, bleibt offen.

Parteichefs wollen Krisennarrativ zerstreuen

Eine quälende Nachtsitzung konnte die Koalition nicht vermeiden. Doch das alte Ampel-Ziel, nichts solle nach draußen dringen, das ist gelungen. Und der immer stärkere Eindruck einer veritablen Koalitionskrise - den wollten die später am Abend auftretenden Parteichefs ganz klar offensiv zerstreuen. 

Lars Klingbeil, Ricarda Lang und Christian Lindner traten harmoniesäuselnd auf. Alle drei griffen Formulierungen auf, die Scholz bereits am Nachmittag genutzt hatte. Die Grüne Parteivorsitzende sprach davon, man habe im Koalitionsausschuss stellvertretend für die Gesellschaft Konflikte ausgetragen. Lindner griff Scholz‘ Genugtuung über das Dichthalten gegenüber Journalisten auf. Alle betonen die guten Beschlüsse.

Auffällig ist aber, dass FDP-Chef Lindner einige Einigungen aufzählt, die sich zumindest nicht wörtlich im Beschlusspapier wiederfinden. Etwa, dass Gas-Heizungen, die mit grünem (klimaneutral hergestellten) oder blauem Wasserstoff (aus Erdgas) betrieben werden können, weiter zulässig sind.

Reicht das für den Neustart?

Ist das also das Ende der Streitereien, der Neustart, den die Koalition nach den nervenzehrenden vergangenen Monaten braucht? Oder nur der Auftakt zu neuen Diskussionen?

Eine Kuh jedenfalls ist klar vom Eis: die Planungsbeschleunigung, über die Grüne und FDP erbittert gestritten hatten. Da ist klar: Die Grünen haben beim beschleunigten Autobahn-Ausbau nachgegeben - und dafür Solarpanels und Windräder auf dem Seitenstreifen (oder gleich daneben) durchgesetzt. Und: Der Ausbau soll in Absprache mit den Ländern geschehen. Das hieße etwa, ein A100-Ausbau, den der Senat von Berlin ablehnt, würde dann nicht stattfinden. Im Gegenzug wird die LKW-Maut ausgeweitet und erhöht, und rund 45 Milliarden Euro sollen in den nächsten vier Jahren in die Schiene fließen.   

Weiterer Streit um klimafreundliche Heizungen vorprogrammiert

Eine andere Kuh steht weiter drauf: Das Gesetz zum Einsatz klimafreundlicher Heizungen wird entschärft. "Das Gesetz wird dabei pragmatisch ausgestaltet, unbillige Härten auch zum sozialen Ausgleich werden vermieden." Doch konkreter wird es nicht. Und die Formulierung "es wird darauf geachtet, dass ein technologieoffener Ansatz verfolgt wird" lässt Interpretationsspielraum zu, wie Lindners Bemerkung zu Gas-Heizungen zeigt - das heißt, weiteres Streitpotential ist gegeben.

Von Seiten des Naturschutzes - und damit der grünen Basis - könnte sich Kritik daran entzünden, dass statt Ausgleichsflächen für Eingriffe in die Natur auch eine Ausgleichszahlung möglich ist - die Grüne Umweltministerin verteidigt die Änderung.  

Weniger Druck auf klimaschädlichen Verkehrssektor

Der große Knackpunkt beim Klimaschutzgesetz - die Sektorziele - sollen aufgegeben werden. So könnte etwa ein geringerer CO2-Ausstoß der Industrie dem notorisch schlechten Verkehrssektor aushelfen. Doch der Druck auf die Sektoren Verkehr und Bauen wird so schwieriger, Verbindlichkeit wird zurückgenommen.

Immerhin eine Einigung klingt klein, könnte aber Wirkung entfalten: Autofahrer sollen in Zukunft beim Kauf eines neuen Fahrzeugs erfahren, wie sich die Kosten für Treibstoff und Betrieb entwickeln. Die Energieverbrauchskennzeichnung soll dann die Belastung über den Lebenszyklus des Fahrzeugs durch CO2-Bepreisung und KfZ-Steuer klarer ausweisen.

Scholz spricht von "großem Werkstück"

Der Bundeskanzler sieht die Einigung als ein "großes Werkstück". Sie soll gleichzeitig Klimaschutz, wirtschaftliche Stärke und sozialen Frieden in Deutschland sichern. Doch nicht von dieser Einigung, sondern von ihrer weiteren Umsetzung hängt das ab. Und an vielen Stellen - siehe Heizung - bleibt darin ein Grundproblem der Ampel bestehen: bestimmte Einigungen werden so weich formuliert, dass am Ende jeder etwas anderes darunter versteht. 

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