Alice Weidel wird Kanzlerkandidatin der AfD für die Bundestagswahl ...
Weiblich, lesbisch, AfD: Alice Weidel soll Kanzlerkandidatin werden
Erstmals zielt die rechte Partei aufs deutsche Kanzleramt. Eine realistische Chance hat sie kaum. Dennoch steht der Schritt für einen entscheidenden Kurswechsel.
Clemens Bilan / EPA
Am Ende hätte Alice Weidel wohl nur noch einer auf dem Weg zur Kanzlerkandidatur stoppen können: Tino Chrupalla, mit dem sie zusammen die Partei und die Fraktion im deutschen Parlament führt. Doch am Freitagabend gab Chrupalla bekannt, dass er Weidel unterstütze. Anfang Dezember werde er sie dem Bundesvorstand als Kanzlerkandidatin vorschlagen. Darauf hätten sich die beiden in einem Gespräch am Mittwoch geeinigt.
Die 45-jährige Weidel erreicht damit den Zenit ihrer politischen Laufbahn. Weidel zog es erst deutlich nach ihrem dreissigsten Geburtstag in die Politik. Zuvor war sie unter anderem bei einer Vermögensverwaltung tätig. Sie ist lesbisch und mit einer Frau liiert, die aus Sri Lanka stammt. Das Paar hat zwei Kinder und lebt in der Schweiz.
In ihren ersten Jahren in der AfD galt Weidel als Vertreterin des wirtschaftsliberalen Flügels, der seine Wurzeln im Westen Deutschlands hat. Längst hat sie sich aber mit dem völkisch-nationalen Flügel arrangiert, dessen Machtbasis im Osten liegt. Repräsentiert wird er von Björn Höcke. Kürzlich tauchten Bilder auf, die zeigen, wie Weidel Höcke herzlich umarmt. Genauso wichtig war wohl aber die Unterstützung ihres Co-Parteichefs Chrupalla, der, allein schon qua Amt, ebenfalls als möglicher Kanzlerkandidat infrage gekommen wäre.
«Kopftuchmädchen» und «Messermänner»Chrupalla stammt aus dem ostdeutschen Bundesland Sachsen, einer Hochburg der Rechten. Als Malermeister steht er für die Nähe zum Normalbürger, welche die Partei notorisch für sich reklamiert. Jedoch hat Chrupalla weder das intellektuelle Format noch die rhetorische Schlagkraft von Weidel. Sie hat in China geforscht, ihre Doktorarbeit mit Auszeichnung abgelegt und kann frei über komplexe wirtschaftliche Zusammenhänge reden.
Im Bundestag fiel sie allerdings immer wieder durch wüste Attacken gegen die Regierung auf. Mit kalter Wut sprach sie von «Kopftuchmädchen» und «Messermännern», was ihr Kritik einbrachte. Weidel setzte auf maximale Konfrontation. Das prägte ihr Bild als rechte Scharfmacherin. In den eigenen Reihen kamen ihre Reden jedoch gut an.
Dass die in Teilen rechtsradikale AfD nun erstmals in ihrer Geschichte eine Kanzlerkandidatin aufstellt, markiert einen Kurswechsel. Bis vor wenigen Jahren sah sich die Partei als Fundamentalopposition. Aus dieser bequemen Rolle heraus konnte sie die Regierung mit Hohn und Spott überziehen, gewann aber auf Bundesebene keine weiteren Stimmenanteile.
In Umfragen bei rund 20 ProzentMittlerweile haben sich die Zeiten geändert. Die Deutschen sind zunehmend unzufrieden mit der Asylpolitik ihrer Regierung. Da die Kritik an der unregulierten Migration seit fast zehn Jahren das Kernthema der AfD ist, profitiert sie davon. In Umfragen zur Bundestagswahl liegt die Partei bei rund 20 Prozent – und damit auf Platz zwei hinter den Unionsparteien CDU und CSU. Im Osten Deutschlands ist die AfD mancherorts Volkspartei. Sie kam bei den Landtagswahlen im September in drei Bundesländern jeweils auf rund 30 Prozent.
Rein rechnerisch hätte sie also wohl eine gewisse Chance aufs Kanzleramt, allerdings möchte keine Partei mit der AfD eine Koalition bilden. Ohne ein solches Bündnis ist eine Mehrheit im deutschen Parlament aber kaum zu erreichen. Warum will die Partei Weidel trotzdem als Kanzlerkandidatin nominieren? Vermutlich weil die AfD damit zeigen möchte, dass sie sich nicht mehr nur als reine Gegenkraft betrachtet, sondern selbst die Geschicke des Landes bestimmen will.
Bis sie möglicherweise einmal auf Bundesebene in Regierungsverantwortung gelangt, dürfte die Partei aber noch einen weiten Weg vor sich haben – allein schon, weil ihr dafür die Verbündeten fehlen. Auf ein starkes Ergebnis bei der Bundestagswahl im September 2025 kann sie dennoch hoffen. Zumindest, wenn bis dahin das Migrationsproblem ungelöst bleibt.