Syrien: Russische Armee fliegt erstmals seit 2016 Angriffe auf Aleppo
Laut der Beobachtungsstelle für Menschenrechte haben russische Luftstreitkräfte Aleppo bombardiert. Ziel sind Stellungen dschihadistischer Gruppierungen.
Aktualisiert am 30. November 2024, 17:00 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, AFP, AP, iyf , maw
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Die syrische Stadt Aleppo ist erstmals seit 2016 von Russland aus der Luft angegriffen worden. Russische Kampfflugzeuge hätten "Angriffe auf Teile der Stadt Aleppo" geflogen, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. Der syrische Ableger des Terrornetzwerkes Al-Kaida, Hajat Tahrir al-Scham (HTS), und verbündete Gruppierungen hätten zudem "den größten Teil der Stadt sowie Regierungszentren und Gefängnisse" unter ihre Kontrolle gebracht. Die russische Armee hatte zuvor mitgeteilt, gegen regierungsfeindliche Gruppierungen im Norden vorzugehen. Demnach wurden russische Angriffe gegen "Kontrollpunkte, Lagerhäuser und Artilleriestellungen von Terroristen" ausgeführt.
Zuvor hatte die Organisation mitgeteilt, dass die Terroristen bei ihrem Vorrücken im Nordwesten Syriens Aleppo zur Hälfte eingenommen hätten. Die HTS-Kämpfer und verbündete Gruppierungen hatten eine überraschende Großoffensive gegen die Streitkräfte der syrischen Regierung gestartet. Derart heftige Kämpfe hatte es zuletzt 2020 gegeben. Der Beobachtungsstelle zufolge drangen die Islamisten in die zweitgrößte Stadt Syriens ein. Die Region wurde bisher größtenteils von Machthaber Baschar al-Assad kontrolliert.
Laut der Beobachtungsstelle haben sich "der Gouverneur von Aleppo sowie die Polizeikommandeure und der Sicherheitsdienst aus dem Stadtzentrum zurückgezogen". Die russischen Luftangriffe seien mit der "Ankunft großer militärischer Verstärkung" für die Dschihadisten zusammengefallen. Im Zuge der Offensive eroberten die Dschihadisten binnen drei Tagen demnach rund 70 Orte.
Die Beobachtungsstelle mit Sitz in Großbritannien bezieht ihre Informationen aus einem Netzwerk verschiedener Quellen in Syrien. Ihre Angaben sind von unabhängiger Seite kaum zu überprüfen.
Syrische Streitkräfte kündigen Gegenangriff anDie syrische Armee bestätigte derweil die Präsenz von regierungsfeindlichen Kämpfern in "großen Teilen" Aleppos und meldete "Dutzende" Tote sowie zahlreiche Verletzte in ihren eigenen Reihen. "Bewaffnete terroristische Organisationen" hätten "einen breit angelegten Angriff" in Aleppo und Idlib gestartet. Es gebe heftige Kämpfe "in einem Streifen von mehr als 100 Kilometern". Um sich dem Großangriff auf Aleppo entgegenzustellen und Leben zu retten, müssten sich die Regierungstruppen neu formieren, teilte das Militär mit. Die Armee bereite derzeit eine Gegenattacke vor.
Bewohner von Aleppo berichteten von Schüssen und Scharmützeln, viele flohen vor den Kämpfen. Laut der syrisch-kurdischen Verwaltung im Osten Syriens sollen fast 3.000 Menschen, vor allem Studierende, vor den Kämpfen in Aleppo geflohen und in ihren Gebieten eingetroffen seien. Der regierungsnahe Radiosender Scham FM berichtete, Schulen und Amtsstuben seien am Samstag geschlossen gewesen. Die meisten Bürger seien in ihren Wohnungen geblieben. Das UN-Nothilfebüro Ocha meldete, der Flughafen von Aleppo sei geschlossen, sämtliche Flüge seien gestrichen worden. Demnach waren am Freitag zwei Hauptkrankenhäuser in der Stadt voll ausgelastet, auch private Kliniken stellten den Betrieb ein.
Augenzeugen zufolge hielten sich bereits Tausende Rebellen in Aleppo auf. Diese ließen sich den Angaben nach vor Polizeiwachen filmen und posteten Bilder in sozialen Medien. Unter anderem nahmen die Rebellen Videos auf, in denen sie Bewohnern bei Gesprächen in deren Häusern versicherten, dass sie nichts zu befürchten hätten. Syrische Staatsmedien sprachen indes von "Terroristen", darunter Schläferzellen, die Teile der Stadt infiltriert hätten. Regierungstruppen hätten sie gejagt und einige von ihnen festgesetzt, hieß es.
Russland wichtiger Unterstützer AssadsDer syrische Bürgerkrieg hatte 2011 begonnen, nachdem Assad Proteste gegen die Regierung mit Gewalt niederschlagen ließ. Eine halbe Million Menschen wurde getötet und Millionen weitere wurden vertrieben.
Mit der Unterstützung ihrer Verbündeten, insbesondere Russlands und des Iran, erlangte die syrische Regierung 2015 die Kontrolle über weite Teile des Landes zurück. Auch die Großstadt Aleppo eroberte Assad im Jahr 2016 mit Unterstützung der russischen Luftwaffe und unter Einsatz massiver Bombenangriffe zurück.
Im Norden Syriens gilt seit 2020 ein von der Türkei und Russland vermittelter Waffenstillstand, der zwar immer wieder gebrochen wurde, die Region in den vergangenen Jahren jedoch weitgehend beruhigte.