Zurück in Afghanistan: Schweiz plant DEZA-Büro und ...

Ab Herbst ist die Schweiz wieder mit einem Deza-Büro in Kabul präsent – auch Sonderflüge für Straftäter nach Afghanistan sind vorgesehen

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Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Das nach der Machtübernahme durch die Taliban geschlossene Deza-Büro soll bald wieder eröffnet werden. Die Deza wäre eine der ersten staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen, die wieder in Afghanistan präsent sind.

Nach der Machtübernahme der Taliban haben sich die Schweiz und andere Staaten aus Afghanistan zurückgezogen.

Nali Khara / Reuters

Afghanistan ist weit davon entfernt, ein sicheres Land zu sein. Gegner des Taliban-Regimes und frühere Angehörige der Armee, der Polizei und der Verwaltung müssen nach wie vor um ihr Leben fürchten. Vor allem für Frauen und Mädchen hat sich die Menschenrechtslage seit 2021 drastisch verschlechtert. Sie werden aus der Öffentlichkeit verbannt und von Schulen und vom Arbeitsmarkt systematisch ausgeschlossen. Und bei Vergehen gegen die strengen Moralgesetze drohen in Afghanistan Körperstrafen oder die Steinigung.

Doch trotz dieser krassen Missachtung der Menschenrechte und der Menschenwürde hat sich die allgemeine Sicherheitslage in dem Land seit der Machtübernahme der Taliban vor drei Jahren verbessert. Der Bürgerkrieg ist praktisch zum Erliegen gekommen, die Zahl der Anschläge und Überfälle ist stark rückläufig. Für die westlichen Staaten stellt sich damit die Frage, ob eine Rückkehr nach Afghanistan wieder möglich wird – für diplomatische Vertretungen und Entwicklungshilfeorganisationen, aber auch für abgewiesene Asylsuchende.

Die Schweiz bereitet sich besonders offensiv darauf vor. In den nächsten Wochen wird das im August 2021 geschlossene Büro der Direktion für Entwicklungshilfe und Zusammenarbeit (Deza) in Kabul wieder eröffnet. Dieser Schritt sei für Herbst vorgesehen, bestätigt das Aussendepartement (EDA) gegenüber der NZZ. Geplant sei der Einsatz von vier Expertinnen und Experten des Schweizerischen Korps für humanitäre Hilfe (SKH) vor Ort. Ausserdem sollen zehn lokale Angestellte beschäftigt werden. Das Büro wäre damit nur unwesentlich kleiner als vor der Schliessung im August 2021, als fünf Schweizer Mitarbeitende in Kabul stationiert waren.

Hilfe für Frauen und Mädchen im Vordergrund

Die Deza wäre damit die erste staatliche Entwicklungshilfeorganisation, die in Kabul wieder präsent wäre – sieht man von den Botschaften der EU, Japans und der Türkei einmal ab. Das Team vor Ort ist laut dem EDA für die Umsetzung, die Begleitung und das Monitoring der von der Deza finanzierten Projekte zuständig. Das Programm wurde nach der Machtübernahme durch die Taliban angepasst: Schwerpunkte bilden die humanitäre Hilfe und die Unterstützung der afghanischen Zivilgesellschaft. Vor allem Frauen und Mädchen sowie die ländlichen Gebiete sollen profitieren.

Die Schweiz wäre damit wieder mit einem Standbein in Afghanistan selber präsent. Für diplomatische und konsularische Angelegenheiten wäre aber weiterhin die Botschaft in Pakistan zuständig. Die Wiedereröffnung des Deza-Büros hätte deshalb auch keine direkten Auswirkungen auf einen zweiten, möglicherweise bald bevorstehenden Normalisierungsschritt. So könnten demnächst schwer straffällige Personen aus Afghanistan, bei denen ein Landesverweis ausgesprochen wurde, in das Land zurückgeschafft werden. Solche Rückführungen seien angedacht, erklärt das Staatssekretariat für Migration (SEM) auf Anfrage, ohne allerdings einen Termin zu nennen.

Deutschland hatte mit einem solchen Abschiebeflug vor kurzem für Aufsehen gesorgt. Erstmals seit der Machtübernahme der Taliban hatte das Land 28 verurteilte Straftäter ohne Bleiberecht von Leipzig nach Kabul ausgeflogen. Die Operation erwies sich allerdings als überaus komplex. Sie wurde während Wochen vorbereitet, nach Informationen des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel» unter Mithilfe von Katar.

Auch für die Schweiz wäre eine solche Rückführung vorderhand mit grossen Schwierigkeiten verbunden. In der Regel werden solche Abschiebeflüge nämlich von Polizisten begleitet. Doch weil die Lage in Kabul nach wie vor gefährlich sei, kann die Sicherheit der Beamten laut SEM gegenwärtig noch nicht gewährleistet werden. Denn die Schweiz verfügt über keine Botschaft, die eingreifen könnte, falls die Polizisten vor Ort in Schwierigkeiten kämen.

Das SEM ist mit deutschen Behörden im Kontakt

Auch die Flüge selber sind ein Problem. Es gibt kaum Verbindungen nach Kabul, die den Sicherheitsanforderungen entsprechen, die die Schweiz voraussetzt. Bis vor einigen Monaten existierten nur Flüge mit unsicheren Fluggesellschaften. Diese stehen auf der schwarzen Liste der EU, die auch für die Schweiz gilt. Deutschland hat für die Rückschaffung der Straftäter in seinem Land deshalb ein Flugzeug der Qatar Airways gechartert. Denkbar wäre nun, dass die Schweiz mit Deutschland kooperieren könnte, falls es zu einem nächsten Flug kommt. Ob und wann es zu einer zweiten solchen Operation kommt, ist allerdings völlig offen.

Das SEM erklärt dazu nur sehr allgemein, bilaterale Absprachen und Kooperationen bei Rückführungsoperationen seien möglich und würden von der Schweiz genutzt. Im Rahmen von Frontex-Flügen wird die Zusammenarbeit mit Partnerstaaten praktiziert. Das SEM tausche sich ausserdem regelmässig mit den europäischen Partnerländern aus und stehe auch mit Deutschland in Kontakt, schreibt es vage. Wann es zu einem Abschiebeflug für afghanische Straftäter in der Schweiz kommen könne, könne derzeit nicht abgeschätzt werden, «da dies von diversen Faktoren abhängt». Laut SEM befinden sich derzeit 15 Personen afghanischer Herkunft im Wegweisungsprozess. Gefährder befänden sich nicht unter ihnen.

Bei einer zwangsweisen Rückführung erhält die betroffene Person 200 Franken Reisegeld, wie das SEM auf Anfrage schreibt. Dieser Betrag könne bei «besonderen Umständen» erhöht werden. Freiwillige Rückkehrer erhalten eine Rückkehrhilfe in Höhe von insgesamt 6000 Franken. In Deutschland hat dieses Thema nach der erfolgten Rückführung zu heftigen Diskussionen geführt. Dort erhielten die 28 betroffenen Männer ein Handgeld in Höhe von je 1000 Euro. Das deutsche Bundesinnenministerium erklärte dazu, es gehe dabei nicht zuletzt darum, ein gerichtliches Abschiebeverbot wegen unmenschlicher Behandlung zu verhindern.

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