Das "hochgefährliche" Netzwerk der Burschenschafter in der AfD

14 Mai 2024

exklusiv

Stand: 14.05.2024 18:50 Uhr

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Zahlreiche Abgeordnete und Mitarbeiter der AfD in Parlamenten haben Bezüge zu Burschenschaften. Nach Recherchen von Report Mainz ist das Netzwerk größer als bisher bekannt. Experten halten es für "hochgefährlich".

"Das ist eine sehr, sehr gute Gemeinschaft. Und für diese Gemeinschaft nehme ich das gerne in Kauf." Alexander Jungbluth, rheinland-pfälzischer AfD-Politiker mit aussichtsreichem Platz für die Europawahl, äußert sich in einem Interview am Rande einer Wahlkampfveranstaltung. Es geht um die Narbe auf seiner linken Wange.

Das sei ein sogenannter Schmiss, den er von einer Mensur vor mehr als zehn Jahren davongetragen habe, sagt er Reportern des ARD-Politikmagazins Report Mainz. Mit Mensur ist ein Fechtkampf gemeint, der in Studentenverbindungen, vor allem in Burschenschaften, ausgetragen wird. Man spricht dann von "schlagenden Verbindungen".

Jungbluth ist Mitglied der Bonner Burschenschaft Raczeks, die bereits mehrfach Schlagzeilen machte. 2011 forderte sie in einem Antrag für den von der "Deutschen Burschenschaft" veranstalteten Burschentag für neue Mitglieder eine Art "Ariernachweis". Eine Person mit "nichteuropäischer Gesichts- und Körpermorphologie" könne "mangels deutscher Abstammung nicht der geschichtlichen Schicksalsgemeinschaft des deutschen Volkes angehören".

Umstrittene Redner

Immer wieder lädt die Burschenschaft umstrittene Redner ein, so wie im März den Anwalt Björn Clemens, der sich seit Jahren in der rechtsextremen Szene bewegt. Nach Report Mainz-Recherchen hetzte er bei der Veranstaltung der Raczeks gegen Menschen mit ausländischen Wurzeln, nutzte mehrfach das "N-Wort". Er selbst bezeichnet das gegenüber dem ARD-Magazin als Satire. Die Burschenschaft selbst ließ eine Anfrage innerhalb der gesetzten Frist unbeantwortet. Den Recherchen zufolge sind mindestens drei AfD-Politiker und vier Mitarbeiter eng mit den Raczeks verbunden.

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Netzwerk von mehr als 100 Personen

Verbindungen der AfD zu oft fragwürdigen Studentenverbindungen werden seit Jahren kritisch beobachtet. Report Mainz hat nun mit Hilfe von Insidern, Dokumenten und Hinweisen von Journalisten des Bayerischen Rundfunks zum ersten Mal systematisch den Bundestag, alle 16 Landtage und das Europaparlament untersucht. Überprüft wurden auch Informationen von antifaschistischen Recherchegruppen wie der Autonomen Antifa Freiburg.

Ergebnis: Mehr als 50 Abgeordnete haben Bezüge zu Studentenverbindungen. Die meisten von ihnen sind selbst Mitglied, darunter häufig in Burschenschaften, die dem umstrittenen Dachverband "Deutsche Burschenschaft" angehören. Andere Abgeordnete beschäftigen Mitarbeiter aus diesem Milieu oder haben bereits in Burschenschaftshäusern Vorträge gehalten.

Hinzu kommen rund 60 Mitarbeiter, die im Hintergrund Reden schreiben und in den Parlamenten Zugang zu wichtigen Informationen haben. Auch von ihnen haben die meisten einen einschlägigen Burschenschaftsbezug.

Die Politikwissenschaftlerin Alexandra Kurth von der Universität Gießen befasst sich seit vielen Jahren mit Burschenschaften und kommt angesichts der Zahlen zu folgender Einschätzung: "Die Größe der Zahl schockiert mich." Die Recherche mache deutlich, dass es innerhalb der AfD ein rechtsextremes Netzwerk von Burschenschaftern gibt. "Und dieses rechtsextreme Netzwerk ist meines Erachtens hochgefährlich, weil es sicherlich mit dazu beitragen wird, die ideologische Ausrichtung der AfD noch weiter nach rechts zu verschieben."

AfD äußert sich nicht

Auch Partei- und Fraktionschefin Alice Weidel beschäftigt den Recherchen zufolge mindestens drei Burschenschafter - darunter ihr Pressesprecher. Für den EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah arbeitet ein Mitglied der umstrittenen Berliner Burschenschaft "Gothia". Diese geriet zuletzt wegen mutmaßlich rechtsextremer Tendenzen in die Kritik.

In Bayern machte der Fall Daniel Halemba Schlagzeilen. Der AfD-Landtagsabgeordnete ist Mitglied der vom Verfassungsschutz beobachteten Würzburger Burschenschaft "Teutonia zu Prag". Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem, weil in seinem Zimmer im Burschenschaftshaus der Teutonia ein Polizeibefehl des SS-Führers Heinrich Himmler gefunden worden sei, der mit Nazi-Runen versehen war.

Anfragen von Report Mainz dazu ließen Halemba und der bayerische AfD-Landesverband unbeantwortet - ebenso die Parteispitze in Berlin. Nach Medienberichten soll es nun ein Parteiausschlussverfahren gegen den Landtagsabgeordneten geben.  

In Rheinland-Pfalz hatte sich zuletzt ganz offen der dortige AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Jan Bollinger, in einer Videobotschaft geäußert: "Wir stehen zu unseren Burschenschaften. Wir stehen zu den burschenschaftlichen Idealen. Und gemeinsam werden wir Deutschland verändern."

Expertin Kurth sieht die AfD inzwischen auf dem Weg zu einer Art "Burschenschafterpartei". "Das ist ja nicht zuletzt deshalb so besorgniserregend, weil wir es da mit Personen zu tun haben, die eben sicher ihre Funktionen, ihre Ämter, ihre Macht, die Informationen und auch die Gelder, die damit verbunden sind, nicht zum Wohle der Demokratie, sondern zum Schaden der Demokratie nutzen werden", so Kurth. 

Verfassungsschutz beobachtet mindestens fünf Burschenschaften

Auch die grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic sieht die Verbindungen zwischen AfD und Burschenschaften kritisch und fordert, die Sicherheitsbehörden müssten die Verbindungen genauer beobachten. "Sie dürfen nicht nur sozusagen auf Basis prominenter Fälle tätig werden, sondern sie müssen sich wirklich genau diese vernetzten Strukturen wirklich ganz genau anschauen", sagt Mihalic. 

Auf Anfrage nannten die Verfassungsschutzämter der Länder aktuell namentlich fünf Burschenschaften, die wegen extremistischer Tendenzen in deren Fokus stünden. Die Burschenschaft der Raczeks in Bonn zählt nicht dazu.

Die Dokumentation "Braune Burschenschaften - das rechtsextreme Netzwerk der AfD" sehen Sie um 21:45 im Ersten oder in der ARD-Mediathek.

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